Groner Landstraße: So hilft das Jugendhaus Kindern in der Corona-Krise

Die letzten Tage stecken dem Team der Jugendhilfe Göttingen noch in den Knochen. Seit bekannt wurde, dass sich zwei Frauen im Gebäudekomplex Groner Landstraße 9 mit dem Corona-Virus angesteckt haben, sind Christian Hölscher und seine Mitarbeiter im Dauereinsatz. 42 Mal habe er allein am ersten Tag zum Hörer gegriffen, erzählt der Geschäftsführer des Vereins. Warum sie so gefragt sind? Die Jugendhilfe verfügt über einen Kanal, über den sich Informationen im Quartier besonders gut verteilen lassen: es ist der Kontakt zu den Kindern der dort lebenden Familien. Wie schon im Iduna-Zentrum, wo rund um Pfingsten das Virus ausbrach, ist die Jugendhilfe auch an der Groner Landstraße mittendrin im Corona-Geschehen. „Wir wurden früh informiert“, lobt Hölscher. So konnten seine Mitarbeiter das gesamte Wochenende lang über die sozialen Medien über den bevorstehenden Massentest und mögliche weitere Konsequenzen informieren. Vorbei an allen Sprachbarrieren, denn die Kinder sind die perfekten Dolmetscher. Eigener Instagram-Account: Die digitale Kommunikation hatte sich durch das Virus in den vergangenen Wochen bereits etabliert. Seit sie nicht mehr als reale Anlaufstelle fungieren können, haben sich Anna-Lena Graefe, Ivana Bičvić, Kilian Fenzl, Marvin Loh und Cornelia Manthey alternative Wege gesucht, um mit den Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. So legten sie für das Jugendhaus Gartetalbahnhof einen Instagram-Account an, auf den alle Besucher der Einrichtung Zugriff haben. Es ist ihr digitaler Treffpunkt. „Da ist kein Externer dabei“, sagt Bičvić. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach An fünf Tagen liefert das Team rund um die Uhr unterhaltsame und informative Angebote im Story-Format. Hier gibt es Ivanas Boxtraining, Anna-Lenas Tanzkurs, ein Kochangebot oder ein Tutorial zum Maskennähen – und das alles kann in Echtzeit abgerufen werden. Jeder Nutzer könne zudem eigenen Content hochladen und sich mit den anderen austauschen, sagt Loh, der seinen Job am Gartetalbahnhof während der Pandemie angetreten hat. Die Jugendlichen haben ihn schon aufgenommen, sagen seine Kolleginnen – und das ganz digital. In Quarantäne: Eigentlich hatte man sich gerade darauf vorbereitet, die reguläre Arbeit langsam wieder anlaufen zu lassen, erzählt Hölscher. Dann aber kam am vergangenen Wochenende der erneute Stopp und am Donnerstag für einen Großteil der regelmäßigen Besucher auch noch die Quarantäne. Graefe schätzt den Anteil derer, die aus dem Wohnkomplex an der Groner Landstraße zu ihnen kommen, auf etwa 80 Prozent. Es ist nicht weit und hier finden sie Ansprechpartner, Problemlöser und einen Raum abseits der beengten Verhältnisse. Die Bemühungen des Teams geht dabei oft genug über die klassische Jugendarbeit hinaus. „Bei der täglichen Arbeit haben wir festgestellt, dass viele Kinder individuelle Hilfe brauchen“, berichtet Hölscher. Und so besuchen seine Mitarbeiter die Familien zuhause, verhandeln mit Schulen über verpasste Prüfungen. Sie helfen bei Bewerbungen oder der Suche nach einer Ausbildungsstelle. Und sie trösten bei Liebeskummer. „Manchmal sind es auch die ganz normalen Probleme von Jugendlichen“, sagt Graefe und lächelt. Doch die Situation ist für die Kinder aus der Groner Landstraße mit dem Virus noch einmal schwieriger geworden. Nicht nur dass sie jetzt auf engstem Raum eingesperrt sind und keinen sozialen Austausch außerhalb des Wohnkomplexes mehr pflegen können. Das Virus trägt außerdem weiter zur Stigmatisierung der Kinder und Jugendlichen aus der Groner Landstraße bei. Um so wichtiger ist für sie, dass die Jugendhilfe weiter für sie erreichbar bleibt. Bedeutung des Quartiers: Graefe und Bičvić sind optimistisch, glauben nicht, dass ihnen einzelne Kinder oder Jugendliche in der Corona-Pause verloren gehen. Die Bindung an das seit 2015 existierenden Jugendhaus Gartetalbahnhof sei stark. „Wir sind uns der Bedeutung dieses Hauses für das Quartier bewusst“, sagt Hölscher. Offenbar auch der daraus erwachsenden Verantwortung für die Kinder, die derzeit dank der Quarantäne-Verordnung der Stadt eingesperrt sind. „An einem Ort, an dem sich Kinder eigentlich gar nicht aufhalten sollten.“ Von Markus Scharf