Hainberg-Gymnasium Göttingen: Arbeitsgruppe "HG Queer" tritt für Vielfalt ein

Hainberg-Gymnasium Göttingen, kurz nach 13 Uhr an einem Montag. Nach und nach treffen die Jugendlichen im Klassenraum ein, dessen Fenster weit offen stehen. Die Pause wird für den Luftaustausch genutzt. Hier trifft sich einmal in der Woche „HG Queer“, eine Arbeitsgruppe, die sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt an ihrer Schule einsetzt. Inzwischen sind alle da, die heute mitmachen wollen, insgesamt acht Lernende. Sandra Wolf ist die LSBTIQ*-Vertrauenslehrerin des Gymnasiums und begleitet die AG. Alle duzen sie, normalerweise gibt es Kekse – es herrscht eine vertraute Atmosphäre. „Queer“ ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, deren Identität von der heterosexuellen Geschlechternorm abweicht. Dieses Spektrum an ihrer Schule zu vertreten ist seit Frühjahr 2018 das Anliegen der AG. Nicht alle, die mitmachen wollen, müssen sich als queer identifizieren. Queersein an die Öffentlichkeit tragen: Wie kam es zu „HG Queer“? „Anstoß war der Wunsch der Schülervertretung, dass es geschlechtsneutrale Toiletten gibt“, erzählt Cosma, die vor zwei Jahren den ersten Göttinger Christopher Street Day mitorganisiert hat. Das Akronym LSBTIQ* steht für unterschiedliche sexuelle und geschlechtliche Identitäten: Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans*, Inter* und Queer. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts aus dem Jahr 2015 fühlen sich 24 Prozent der Jugendlichen in Deutschland nicht dem zweigeschlechtlichen, heterosexuellen System zugehörig. Diese Jugendlichen werden häufig diskriminiert, was gerade in der vulnerablen Jugendphase schwerwiegende Folgen haben kann. Laut Schulwebsite hat die Schülervertretung des Hainsberg-Gymnasiums eine LSBTQI*-Vertrauenslehrerin gewählt, um eine Ansprechpartnerin zu haben. Zugleich unterstütze Sandra Wolf in dieser Funktion das Engagement der Jugendlichen, ein Schulklima zu schaffen, in dem sich alle Lernenden unabhängig von ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität wohl fühlen können. Unter „@hgqueer“ ist die Arbeitsgruppe „HG Queer“ auf Instagram zu finden. Ihre eigene Website lautet hgqueer.llamanet.de. Eine geschlechtsneutrale Toilette gibt es inzwischen, doch das Engagement der Jugendlichen speist sich aus einer Motivation, die nicht nur an ein Projekt gebunden ist: „Ich finde es wichtig, dass hier an der Schule ein offenes Klima herrscht und das Thema an die Öffentlichkeit getragen wird“, sagt Lilly. „Normalerweise dauert es, bis man mit dem Thema in Kontakt kommt.“ In gängiger Jugendliteratur kämen beispielsweise „hauptsächlich heterosexuelle Beziehungen“ vor, nach Alternativen müsse man aktiv suchen. Positive Resonanz: Die Reaktionen auf die Gründung von „HG Queer“ seien am Hainsberg-Gymnasium durchweg positiv gewesen, aber auch mit Verwirrung einher gegangen: „Viele wussten nicht, dass es mehr als zwei Geschlechtsoptionen gibt“, erklärt Cosma. Wolf ergänzt: „Es hat eine Welle von Gesprächen hervorgerufen. Aber es war immer gut, im Dialog zu sein.“ Negative Resonanz sieht die Gruppe eher nüchtern: „Es ist sehr auffällig, dass viele Personen, die sich negativ über Queersein äußern, so erzogen und sozialisiert sind“, sagt Cosma. Daher sei es gerade in Bildungseinrichtungen wichtig, „dass junge Menschen lernen, auf Konfrontation mit queerem Leben aufgeschlossen zu reagieren.“ „HG Queer“ erhielt beim Jugenddemokratiepreis der Bundeszentrale für politische Bildung eine Sonderehrung, zuvor hatte die Gruppe beim Wettbewerb „fair@school“ den zweiten Platz belegt. Was bedeuten den Jugendlichen solche Auszeichnungen? „Es bedeutet, dass unser Projekt gesehen wird“, sagt Mio. So könne man andere Lernende zu ähnlicher Arbeit motivieren. Darin besteht für die AG laut Cosma eine zentrale Aufgabe: „Wir wollen auf andere Schulen zugehen und nicht der einzige sichere Hafen sein, an den sich queere Menschen wenden können.“ Wenige, die viel erreichen: Aktuell steht außerdem ein Kunstprojekt auf der Agenda von „HG Queer“. Dabei gehe es darum, „innerhalb der Schule mit Kunst Sichtbarkeit zu schaffen“, so Wolf. In der Vergangenheit hat die AG die verbindliche Teilnahme an Antidiskriminierungsworkshops für das Lehrpersonal und die achten Klassen durchgesetzt. Lesen Sie auch Auszeichnung für Schülergruppe HG Queer am Hainberg-Gymnasium Göttingen Göttingen: Projektgruppe des Hainberg-Gymnasiums erhält Sonderehrung CSD in Göttingen: Trotz Corona ist queere Solidarität sichtbar Das Engagement der jungen Leute hat auch über ihre konkreten Errungenschaften hinaus einen positiven Effekt. Es finde praktisches Demokratielernen statt, die Jugendlichen erführen Selbstwirksamkeit, erklärt Wolf. Demokratie dauert leider manchmal etwas länger. Ab und an fühle man sich ausgebremst, erzählt Lilly. Sie betont dennoch: „Es ist schön zu sehen, wie wenige wir sind, aber wie viel wir erreichen können.“ Von Franziska Wessel