Heinrich Heines Harzreise – auf alten und neuen Wegen wandern

Auf welchen Wegen wanderte Heinrich Heine im September 1824 durch den Harz? Wie hat sich seitdem das Mittelgebirge verändert? Welche Besonderheiten hat die Wanderung, die der Dichter von Göttingen bis Rübeland beschrieb? Diese und weitere Fragen hat der Göttinger Rainer Hartmann beantwortet und die historische Reiseroute recherchiert. Im Wanderführer „Die Harzreise von Heinrich Heine“ ist mehr als nur die Tour beschrieben. Sein Ziel war Weimar, um den Dichter Johann Wolfgang von Goethe zu besuchen: Im September 1824 machte sich Heinrich Heine (1797-1856) von Göttingen aus auf den Weg und wählte die Route über den Harz. Über seine Wanderung schrieb er einen literarischen Reisebericht – „Die Harzreise“, 1826 als Buch erschienen, ist eines der bekannten Werke des Dichters. Viel Hübsches für den Dichtermenschen: Heine, der zur Zeit seiner Wanderung in Göttingen Jura studierte, hatte meist beste Wanderbedingungen und beschreibt sie regelrecht verzückt: „Der Geist des Gebirges begünstigte mich offenbar; er wußte wohl, daß so ein Dichtermensch viel Hübsches wiedererzählen kann, und er ließ mich diesen Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht jeder sah“, schreibt er über den Morgen der Etappe zum Brocken. Lesen Sie auch: Heine, der Student, der das Studium und die Stadt Göttingen hasste Heine konnte einen anderen Weg nehmen als heute möglich. Ihm war keine Eckertalsperre im Weg, wie es seit 1943 der Fall ist. Hartmann, der den Harz seit Studentenjahren unter und über Tage kennt, erklärt nicht nur am Beispiel des Weges zum Brocken, wie sich dessen Erscheinungsbild verändert hat. Der Autor widerlegt auch Vermutungen über Heines Route, wonach dieser entlang des Radauwasserfalls zum Brocken gelangt sein soll. „Der Radauwasserfall wurde künstlich erst im Jahr 1859 angelegt, also 35 Jahre nach Heines Wanderung“, erklärt Hartmann, der auch Wanderleiter des Deutschen Alpenvereins (DAV) ist. Und da Heine „Die Harzreise“ unter die Leser bringen wollte, um damit Geld zu verdienen, hat er „seinerzeit keine Reisebeschreibung verfasst, sondern eine literarische Fassung seiner Erlebnisse auf der Harzreise zur ,Unterhaltung der Gesellschaft’, in welcher unter anderem der Zeitgeist überzeichnet dargestellt wurde“, erklärt Hartmann. Industrielandschaft mit Bergbau: Wissenswertes zur Geschichte des Harzes bringt Hartmann ebenfalls ein. So war bereits zu Heines Harzreise vorwiegend „dunkler Tann’“ im Harz zu sehen. Doch die Fichten waren nicht der ursprüngliche Baumbestand, sondern es waren Buche und Ahorn. Nach deren Kahlschlägen wurden Fichten gepflanzt, um das Holz für Stollenbau im Erzbergbau des Oberharzes und Verhüttung zu verwenden. Heine wanderte auch durch eine Industrielandschaft, für die ganze Landstriche abgeholzt worden waren, die heute wieder bewaldet sind. Lesen Sie auch: Neuer Wanderführer: „Die Harzreise von Heinrich Heine“, GTET-Abonnenten erhalten exklusiven Einblick Aber nicht nur der Holzbedarf der Industrie dezimierte den Baumbestand. Damals wie heute sorgte der Schädling Borkenkäfer für eine lichte Waldflächen mit absterbenden Bäumen. Dazu der promovierte Biologe Hartmann: „Überrascht war ich, als ich bei den Recherchen auf eine Reisebeschreibung aus dem Jahr 1804 stieß, in welcher eine damals bereits verheerende Borkenkäferkalamität beschrieben wurde.“ Borkenkäfer und Baumleichen: Der seinerzeitige Autor habe geschrieben: „Das Merkwürdigste, was uns unterwegs aufstieß, waren die schrecklichen Verheerungen, welche der Borkenkäfer seit vielen Jahren überall in dem Harzwalde angerichtet hat. Diese gemordeten Baumleichen, die ein höchst trauriges abgewelktes Ansehen haben. Überall sind große Strecken Waldes niedergehauen, und der so prachtvolle Harz bekommt an vielen Stellen das traurige Ansehen eines durch die Motten kahlgefressenen Kleides.“ Nach Angaben von Hartmann entspricht die über 200 Jahre alte Beschreibung auch dem aktuellen Schadensbild insbesondere rund um den Brocken und um Torfhaus. Damals war es „eine vom Bergbau und der Erzaufbereitung geprägte Industrielandschaft und nicht der Harz, wie wir ihn heute kennen. Bei gemütlichen Wanderungen durch die Landschaft lassen sich auch heute noch viele Relikte aus der damaligen Zeit erkennen“, sagt Hartmann. So wurden von den Bergleuten über 100 Teiche um Clausthal-Zellerfeld herum angelegt, um Wasser als Antriebsenergie für die Wasserräder und mit Wasser angetriebenen Mahlwerke (Pochwerke) der Erzaufbereitung anzutreiben. Hartmann: „Wenn wir heute über diese oft über 10 Meter hohen und mehrere 100 Meter langen Teichdämme laufen, bedeutet dies zugleich, dass auch noch zur Zeit von Heinrich Heine die Harzer Bergleute diese Dämme über Jahre in Handarbeit aufgeschüttet und verfestigt haben.“ Berichtiger und Besonderheiten: 157 Kilometer in sieben Etappen legte Heine zurück. Oftmals verlief er sich, traf aber immer „Berichtiger“ seines Weges und erreichte früher oder später die gesteckten Ziele. Im Wanderführer sind die Etappen, die Hartmann zusammen mit Brigitta Stammer in diesem Jahr abging, auf der Grundlage des aktuellen Wegenetzes und unter Berücksichtigung des verfügbaren historischen Quellenmaterials beschrieben. Dabei haben die beiden Harz-Kenner und DAV-Mitglieder auch viel Wert auf Service gelegt: Erreichbarkeiten, Öffnungszeiten, detaillierte Tourenbeschreibungen mit Höhenangaben sowie GPS-Tracks zum Download zeichnen die um Fotos und Kartenausschnitte ergänzten Kapitel aus. Dazu immer der Blick zurück auf die Wanderstrecke zur Zeit von Heine und die gegenwärtigen Besonderheiten. Über Heines Leben und seine Göttinger Zeit hat Günter Blümel in dem Kulturwanderbuch geschrieben. So stellt das lesenswerte Taschenbuch grundlegende Kenntnisse über den Dichter dar, stellt abwechselungsreich die neuntägige Wanderung dar und gibt alles an die Hand für eine sehenswerte Harzreise auf den Spuren von Heinrich Heine. Sein Vorhaben, auch über die weitere Harzreise zu schreiben, ließ Heine bleiben. Der Göttinger Student erreichte übrigens am 2. Oktober 1824 sein Ziel Weimar und besuchte den Dichterfürsten Goethe. Eine wohl wenig erbauliche Begegnung, weil sie beiden nur kurze Notizen wert war. Rainer Hartmann, Brigitta Stammer, Günter Blümel: „Die Harzreise von Heinrich Heine“. Bergverlag Rother 2020, 136 Seiten mit 99 Farbabbildungen, 16,90 Euro. Dichter, Feuilletonist und Reporter – Heinrich Heine (1797-1856) hat verschiedenste Stilrichtungen beherrscht, um zu unterhalten und zu informieren. Der Student aus Düsseldorf war zweimal an der Georgia Augusta eingeschrieben und legte an der Göttinger Universität sein Jura-Examen ab. Seine „Harzreise“, im September 1824 unternommen, wurde 1826 als Buch veröffentlicht und zählt zu seinen ersten bekannten Werken. Gedichte, Charakterisierungen und Ortsbeschreibungen sind das Kennzeichen des Reiseberichts, der den Weg von Göttingen nach Ilsenburg beschreibt. „Die Stadt selbst ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht“, schreibt Heine über Göttingen auf den ersten Seiten der Harzreise. Vernichtende Urteile, nicht nur über Göttingen, sowie detaillierte und liebevolle Beschreibungen kennzeichnen Heines literarischen Reisebericht. Dieser war für die Leserschaft des frühen 19. Jahrhunderts eine Besonderheit, weil bisher keine Werke in solcher Form erschienen waren. Lesen Sie auch Heine im Videostream: Premiere beim Jungen Theater Göttingen Vor 160 Jahren ist Heinrich Heine gestorben: Eine Spurensuche in Göttingen Neuer Wanderführer: „Die Harzreise von Heinrich Heine“ – GTET-Abonnenten erhalten exklusiven Einblick Heine der Student, der das Studium und die Stadt Göttingen hasste Die Autorin erreichen Sie per E-Mail an a.bruenjes@goettinger-tageblatt.de Von Angela Brünjes