Inzidenzen im Landkreis Göttingen: Sollten sie veröffentlicht werden?Das sagen Bürgermeister

Stadt und Landkreis Göttingen haben auch am Freitag nicht die Inzidenzwerte der einzelnen Kommunen veröffentlicht – obwohl sie diese täglich ermitteln und den Kommunen zur Verfügung stellen. Angesichts der Weigerung der Behörde gingen in der Tageblatt-Redaktion weitere Mails von Lesern ein, die genau das fordern. Auch einige Bürgermeister im Landkreis schließen sich dieser Forderung an, wie eine Tageblatt-Umfrage zeigt. Andere Verwaltungschefs äußern hingegen Bedenken. „Ich hätte kein Problem damit, wenn die Zahlen veröffentlicht werden würden – ganz im Gegenteil. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu“, sagt Steffen Ahrenhold (CDU), Bürgermeister der Samtgemeinde Gieboldehausen. „Wir hatten zusammen mit Duderstadt in den letzten Wochen die höchsten Inzidenzwerte im Landkreis und ich finde es wichtig, dass die Menschen das wissen, damit sie noch vorsichtiger agieren.“ Er selbst sei immer „extrem vorsichtig“ und habe „alle Regeln beachtet“, dennoch habe er sich vor einigen Wochen mit dem Coronavirus infiziert. Das zeige, wie gefährlich und unberechenbar das Virus sei. Daher sei es wichtig, die Menschen so gut es geht zu sensibilisieren, und dazu gehöre es auch, die Inzidenzwerte der einzelnen Kommunen zu veröffentlichen. „Wir verlangen den Bürgern viel ab, verschweigen ihnen aber solche Zahlen, das verstehe ich nicht“, sagt Ahrenhold. „Wenn es ein Wunsch der Bevölkerung ist, warum nicht?“: Ähnlich sieht das Holger Frase (SPD), Bürgermeister des Flecken Adelebsen. „Wenn es ein großer Wunsch der Bevölkerung ist, warum sollte man diese Zahlen dann nicht auch preisgeben?“ Aus datenschutzrechtlichen Gründen sehe er auch kein Problem. „Ich bin da ganz tiefenentspannt“, sagt Frase. Lesen Sie auch Landkreis Göttingen: Das ist der Inzidenzwert in Ihrer Kommune am 11. März Stadt und Landkreis Göttingen mauern weiter bei kommunalen Inzidenzwerten Stadt und Landkreis berechnen Inzidenzwerte für alle Kommunen – veröffentlichen diese aber nicht Auch er hätte mit der Veröffentlichung der Inzidenzwerte kein Problem – „ganz im Gegenteil“, sagt Mathias Eilers (SPD), Bürgermeister der Samtgemeinde Dransfeld. Ein hoher Wert könnte seiner Meinung nach einen durchaus „mahnenden Charakter“ haben. „Ich hoffe, dass im Umkehrschluss bei einem niedrigen Inzidenzwert niemand leichtsinnig wird“, erklärt Eilers. Grundsätzlich sei eine Veröffentlichung der Werte aber „eher hilfreich als hinderlich“, zumal eine „Rückverfolgung angesichts der Größe der Gemeinden nicht gegeben“ sei. „Das würde die Bürger noch mehr sensibilisieren“: Arne Behre (SPD), Bürgermeister der Samtgemeinde Radolfshausen, sieht in einer Veröffentlichung der Werte ebenfalls kein Problem. Dadurch hätten die Menschen eine weitere Möglichkeit, die Lage für sich zu bewerten. „Das würde die Bürger noch mehr sensibilisieren, und das ist doch das Wichtigste“, sagt Behre. Ein Datenschutzproblem sehe er darin nicht: „Aus den Inzidenzwerten kann man nicht schließen, wer genau infiziert ist.“ Ähnlich äußert sich auch Sören Steinberg (SPD), Bürgermeister der Gemeinde Rosdorf. „Ob das hilft, weiß ich nicht, das will ich auch gar nicht bewerten. Ich finde aber, wenn man Zahlen hat, dann sollte man sie auch veröffentlichen, das ist ja kein Geheimnis. So haben wir jetzt Spekulationen, das ist auch nicht gut.“ „Weitere Zahlen könnten die Bürger verwirren“: „Natürlich würde eine Veröffentlichung der gemeindlichen Inzidenzwerte der Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dienen und kann, insbesondere bei einer hohen Inzidenz, auch zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und Beachtung der Hygiene- und Abstandsregelungen vor Ort führen“, sagt Thomas Brandes (SPD), Bürgermeister des Flecken Bovenden. „Andererseits ist die Aussagekraft aufgrund der Kleinräumigkeit der Gemeinden und der dann großen Veränderung der Inzidenz bei nur ein oder zwei weiteren Infizierten als sehr begrenzt anzusehen.“ „Ich hätte nichts dagegen, wenn die Inzidenzwerte veröffentlicht werden würden“, sagt Andreas Friedrichs (SPD), Bürgermeister der Gemeinde Friedland. Allerdings könnten weitere Zahlen die Bürger verwirren, weil es ohnehin schon viele Daten gebe, gibt er zu bedenken. Zumal es nur einen Inzidenzwert gebe, der maßgeblich für Lockerungen oder einschränkende Maßnahmen sei, und das sei der für den Landkreis. „Wir sind aber stolz darauf, dass der Wert in Friedland derzeit bei null liegt“, so Friedrichs. „Die Zahlen sind doch sehr schwankend“: Manfred Kuhlmann (SPD), Bürgermeister der Gemeinde Gleichen, argumentiert ähnlich. Er sei skeptisch, ob die Inzidenzwerte der einzelnen Kommunen relevant seien: „Die Zahlen sind doch sehr schwankend“, sagt Kuhlmann. „Ich verfolge das jeden Tag, insbesondere für Gleichen. Wenn da ein Fall rausfällt, verschiebt sich der Wert manchmal beträchtlich.“ Er sei zwiegespalten, sagt Kuhlmann: „Es könnte eher verwirren als helfen“, aber für ihn sei es grundsätzlich in Ordnung, wenn die Zahlen veröffentlicht werden würden. „Den derzeitigen Unmut der Bürgerinnen und Bürger bezüglich einer regionalen Intransparenz des pandemischen Geschehens kann ich grundsätzlich nachvollziehen“, sagt Thorsten Feike (FDP), Bürgermeister der Stadt Duderstadt. „Ausschlaggebend für etwaige Maßnahmen sind jedoch ausschließlich die Infektionszahlen und Inzidenzen auf der gesamten Landkreisebene.“ Ein Inzidenzwert auf kommunaler Ebene habe aus seiner Sicht „kaum einen Mehrwert. Denn dieser zeigt lediglich auf, dass sich Personen in einer Region über einen bestimmten Zeitraum infiziert haben. Aber leider nicht wann und wo diese Infizierung stattgefunden hat und ob es eventuell eine Häufung von Ansteckungen an bestimmten Orten, in bestimmten Einrichtungen oder zu einer bestimmten Zeit gab.“ Die Veröffentlichung von Inzidenzwerten ohne eine entsprechende Kommentierung könne ferner auch „zu Missverständnissen und Frust führen“, so Feike. Wenn aber ein örtlicher hoher Inzidenzwert dazu führe, „dass Menschen noch umsichtiger mit der Situation vor Ort umgehen, ist dies grundsätzlich positiv zu bewerten. Das darf aber im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass in Gebieten mit einer geringeren Inzidenz keine Vorsicht mehr geboten ist.“ P2+-Fraktion fordert tägliche Veröffentlichung der Inzidenzwerte: Unterdessen ist das Thema auch im Kreistag angekommen. Die P2+-Fraktion im Kreistag forderte am Freitag in einem Brief an Landrat Bernhard Reuter (SPD) den Landkreis dazu auf, „seine Informationspolitik zum Pandemie-Geschehen deutlich zu verbessern“. Bisher veröffentliche der Landkreis nur den Inzidenzwert für den gesamten Landkreis. „Da aber die Lage in den Gemeinden und Städten sehr unterschiedlich ist, kann dieser Wert für Bewohnerinnen und Bewohner von stärker betroffenen Gebieten äußerst trügerisch sein“, heißt es in einer Pressemitteilung der P2+-Fraktion. „Die trügerische Sicherheit, die hier vermittelt wird, ist dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürgern abträglich“, so Mohan Ramaswamy, Vorsitzender der P2+-Fraktion. „Die Menschen müssen die Möglichkeit haben, sich tagesaktuell zu informieren mit genauen Zahlen zu ihrer Gemeinde. Nur so haben sie auch die Möglichkeit, ihr Verhalten gegebenenfalls anzupassen.“ Daher fordere die Fraktion „die tägliche Veröffentlichung der Zahlen (...).“ Landkreis Göttingen: Inzidenzwerte werden für Krisenmanagement benötigt: Recherchen des Tageblattes hatten am Mittwoch ergeben, dass die Kommunen im Landkreis detailliertere Zahlen erhalten als die Öffentlichkeit, darunter den Inzidenzwert der jeweiligen Stadt oder Gemeinde. Dem Tageblatt liegen Statistiken vor, die die Kommunen erhalten. Darin vermerkt sind außer den einzelnen Inzidenzwerten auch die Altersverteilung aller Covid-19-Fälle im Landkreis Göttingen und die zeitliche Entwicklung der Fallzahlen. Ulrich Lottmann, Sprecher der Kreisverwaltung, hat mittlerweile bestätigt, dass der Landkreis außer den öffentlich zugänglichen Zahlen auch Daten wie die einzelnen Inzidenzwerte täglich an die Gemeinden weiterleitet. Das gehöre zum „Krisenmanagement“ dazu. Gesundheitsamt, Krisenstab und Gemeinden nutzten Daten für ein aktuelles Lagebild, so Lottmann. „Auf dieser Grundlage erfolgt gemeinsam eine Auswertung – unter Beachtung der spezifischen Bedingungen der Gemeinde – und Abschätzung, ob und gegebenenfalls welche zusätzlichen Infektionsschutzmaßnahmen erforderlich sind. Diese werden umgehend umgesetzt beziehungsweise verfügt.“ Von Andreas Fuhrmann