Kaum Einbrüche, mehr Betrugsdelikte: in Corona-Zeiten

Alles anders macht Corona. Sogar die Ganoven müssen sich umstellen. So können sie nicht ohne Weiteres in Häuser einbrechen, weil die Gefahr zu groß ist, dass jemand daheim ist. Außerdem fehlt es an Diebesgut. Die Anzahl der in der Öffentlichkeit abgestellten Fahrräder etwa, die sich mal eben klauen ließen, ist drastisch zurückgegangen. Das bedeutet auch für die Strafverfolger: Corona verändert ihren Arbeitsalltag. „Alles nicht, aber doch vieles“, versichert Göttingens Kripochef Thomas Breyer. Und er betont: „Corona verändert auch kriminelles Verhalten.“ Mehr Zeit für ungelöste Fälle: „Wir haben insgesamt weniger Anzeigenerstattungen. Die Kollegen haben deshalb mehr Zeit, ältere Vorgänge zu bearbeiten. Es ist also ein Mehr im Abarbeiten von Fällen“, erläutert Breyer die aktuelle Polizeitätigkeit. Die Arbeit habe sich ein Stück weit von außen nach innen verlagert. Konkret auf Göttingen bezogen bilanziert Breyer: „In der Stadt hatten wir immer schon vergleichsweise wenige Autodiebstähle. Sehr wohl aber stellen wir fest, dass im Bereich Betrug keine Abnahme der Straftaten zu verzeichnen ist.“ Im Gegenteil, die Zahl steige leicht. Betrug im Internet nimmt zu: Während die Zahl der Wohnungseinbrüche wohl aufgrund der Wahrscheinlichkeit des Entdecktwerdens zurück geht, versuchen Betrüger, insbesondere über das Internet an das schnelle und unverdiente Geld zu kommen. Breyer spricht unter anderem von „Fake-Shops“, etwa im Online-Portal eBay Kleinanzeigen. Der Kripochef sagt, dass viele Menschen nun Zeit hätten, ihren Haushalt zu sichten und Dinge auszusortieren. Nicht immer stecke hinter dem Kauf-Angebot das, was versprochen werde. Da würden offenbar günstige Angebote schnell auch mal zu einer großen Enttäuschung. Manchmal stehe hinter einer Offerte überhaupt keine Ware. Mann meldet Scheinfirma an: Mit dem Fließen staatlicher Fördermittel in Milliardenhöhe betreten schnell jene Personen die Szene, die vom großen Kuchen so viel wie möglich abbekommen wollen – und zwar in krimineller Absicht. Bereits am ersten Tag der Bewilligung der Staatshilfen meldete ein 47-jähriger Göttinger eine, wie Recherchen der Polizei ergaben, Scheinfirma an. „Wir konnten ihm die Leviten lesen“, beschreibt Breyer den Erfolg der Ermittler. Der Subventionsbetrug werde jetzt strafrechtlich verfolgt. Der Mann, der zuvor schon polizeilich in Erscheinung getreten war, muss mit einer Verurteilung bis hin zu einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren rechnen. Deutlich weniger Anzeigen erstattet: Deutlich zurückgegangen ist auch die Zahl der erstatteten Anzeigen in den Polizeidienststellen. Breyer vermutet, dass jetzt einfach mehr Zeit ist, über eine Verärgerung nachzudenken, die etwa ein Nachbar ausgelöst hat. Der Zorn lege sich und die Anzeige unterbleibe. Vielleicht seien die Menschen auch durch die Gefahr einer Infektion mit dem Covid-19-Virus eher abgehalten, in die Öffentlichkeit zu gehen. Allerdings sei im Dienstgebäude an der Groner Landstraße ein extra Raum für Anzeigenerstattung unter Corona-Bedingungen eingerichtet worden. Gut genutzt jedoch werde die Möglichkeit einer Anzeigenerstattung über das Internet. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Weniger Einbrüche, weniger Unfälle: Ein Minus an Vorfällen ist bei den Verkehrsunfällen ersichtlich. Die erklärende Formel ist einfach: weniger Verkehrsaufkommen, weniger Unfälle. Der Effekt: weniger Drängeleien, weniger Stinkefinger, weniger Nötigungen. „Die Leute stehen weniger unter Zeitdruck. Das führt zu mehr Gelassenheit“, analysiert Breyer. Coronabedingt werde jetzt allerdings mehr Müll illegal entsorgt (die Deponien hatten beziehungsweise haben geschlossen). Drogenhandel ist geschrumpft: Geschrumpft wiederum ist der Drogenhandel. „Die Dealer sind unterwegs – aber die Kunden fehlen“, beschreibt Breyer das Verhältnis. Dafür würden Betäubungsmittel jetzt verstärkt mit der Post bestellt, etwa aus den Niederlanden. Der Mann, der jüngst in ein Juweliergeschäft in der Göttinger Innenstadt einbrach, ist polizeilich als Drogenkonsument registriert. Die Tat, deren Verlauf als Videosequenz durch die sozialen Medien ging, falle in den Bereich der Beschaffungskriminalität. Keine Zunahme häuslicher Gewalt: Der Kripochef hatte mit Beginn der Einschränkungen damit gerechnet, dass häusliche Gewalt zunimmt. Das bestätige sich aber nicht. Das sei wohl auch dem Wettergott zu verdanken, bei dem recht schönen Wetter würden Familien in den eigenen Garten gehen oder in Parks. Die Vermutung, dass Frauen, die Opfer einer häuslichen Gewalt geworden sind, keine Möglichkeit haben, unbemerkt die Polizei zu verständigen, teilt Breyer nicht. In Zeiten der Handy-Telefonie sei es früher oder später möglich, schnell einen Notruf abzusetzen. Auch die Verbände vom Opferschutz würden keine Auffälligkeiten feststellen. Im Übrigen gelte: Wer schlägt, der geht. „Und der geht sehr wohl“, betont Breyer. Wohin? „Es wird ihm auch im Falle einer Quarantäne eine Unterkunft zugewiesen“, ergänzt er. Taten bei Kinderpornografie nehmen zu: Mehr Zeit für Ermittlungen bestehe jetzt im Bereich der Kinderpornografie. Hier sei auch schon vor Corona und damit seit Monaten ein Anstieg der Fälle zu verzeichnen. Könnte es also sein, dass am Ende des Jahres die Aufklärungsquoten insgesamt nach oben gehen, weil einfach mehr Zeit ist für Ermittlungen? Breyer erwartet im Jahresergebnis ein reduziertes Fallzahlenaufkommen. „Ob sich dies dann auch zwingend in der Aufklärungsquote niederschlägt, bleibt abzuwarten.“ Auf jeden Fall gibt es momentan weniger Schwarzfahrer und Ladendiebe. Jetzt ist Zeit für Abbau von Überstunden: Aktuell würden Polizeibeamte die Zeit nutzen, um angefallene Überstunden abzubummeln oder Resturlaub zu nehmen. „Dieser Stau wird deutlich sichtbar weniger werden“, ist der leitende Polizeibeamte überzeugt. Und gibt es so etwas wie Homeoffice bei den Ordnungshütern? „Nur dort, wo es sinnvoll ist“, sagt Breyer. Umstrukturiert seien die Einsätze für Streifenfahrten, insbesondere, um die Ausgangsbeschränkungen zu überprüfen. „Dafür haben wir personell aufgestockt und umverteilt. Auch Kollegen aus den ermittelnden Bereichen sind dafür eingeteilt“, erläutert der 55-Jährige. Keine Ansteckungen untereinander: Im Kollegenkreis, sagt Breyer, habe sich zumindest während der polizeilichen Arbeit noch niemand mit dem neuen Corona-Virus infiziert. Erkrankte Kollegen, die in Quarantäne gingen, hätten die Krankheit zum Beispiel aus dem Urlaub mitgebracht. Zum Schutz vor einer Ansteckung gelten in den Polizeidienststellen klare Regelungen, wie etwa das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes bei Anzeigenaufnahmen oder besonderen Einsatzlagen. Es werde strikt darauf geachtet, dass der Mindestabstand eingehalten wird, dass Büros durch zeitversetztes Arbeiten ausgedünnt besetzt sind. Lagebesprechungen erfolgen aktuell fast ausschließlich per Telefonschaltkonferenzen. „Keine Selbstanzeige eines Straftäters“: Könnte es auch sein, das Corona den ein oder anderen Straftäter läutert, weil er mehr Zeit hat, sich über den Sinn seines Lebens Gedanken zu machen? Breyer ist da sehr skeptisch. „Der Ganove wird sich eher mehr Gedanken machen über ganoventaktische Dinge“, hält er dagegen. Das Auftreten von Verbrechern, die sich gerade jetzt als Polizisten ausgeben, ist für ihn so eine neu gewählte Form des Betrugs und Betrugsversuchs. „Wir haben jedenfalls bislang keine einzige Selbstanzeige eines Straftäters vorliegen, keiner hat sich gestellt“, weiß Breyer. Das persönliche Ziel, künftig auf Straftaten zu verzichten, wäre freilich ein „hehrer Ansatz“, lässt der Göttinger Kripochef keinen Zweifel am moralischen Gewinn eines solchen Umdenkens. Die Corona-Soforthilfen sind als Födermittel des Staates für notleidende Gewerbebetriebe vorgesehen. Elektronische Antragstellung, unbürokratische Sachbearbeitung und schnelle Auszahlung sollen gewährleistet sein. Die schnelle Hilfe lockt jedoch auch Betrüger an, heißt es in einer Mitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei Göttingen. So hatte Mitte April ein gewerbsmäßig handelnder 47 Jahre alter Versicherungsbetrüger aus Göttingen die Gelegenheit genutzt, um auf Grundlage falscher Angaben Soforthilfen in Höhe von fast 8000 Euro zu erlangen. Den Ermittlungsbehörden gelang es, den Großteil des ausgezahlten Geldes noch auf dem Konto zu sichern und bereits abgehobenes Bargeld einzuziehen. Das betrügerische Ausnutzen der gegenwärtigen Krisenlage werde seitens der Ermittlungsbehörden sehr empfindlich wahrgenommen, wird betont.Laut Sachbereich Verkehr haben die Unfallzahlen im Bereich der Polizeiinspektion Göttingen deutlich abgenommen. Vom 23. März bis 19. April ereigneten sich (inklusive A 7) 369 Unfälle, davon 40 auf der Autobahn. Im Vergleichszeitraum des Jahres 2019 waren es 760 Unfälle, davon 105 auf der Autobahn. Der gleiche Trend im Bereich Duderstadt: März und April 2019: 213 Unfälle; März bis 20. April 2020: 119 Unfälle. Lesen Sie auch: Blitzer in Göttingen und Region: Hier wird aktuell geblitzt Wie bereitet sich die Region Göttingen auf die Maskenpflicht vor? Von Ulrich Meinhard

Kripochef Thomas Breyer berichtet - Kaum Einbrüche, mehr Betrugsdelikte: So verändert Corona die Arbeit der Polizei Göttingen