Klassenzimmer ohne Corona-Viren: Welche Technik soll in Göttingen zur Anwendung kommen?

Mit technischer Hilfe statt nur mit einfachen Lüften will die Stadt Göttingen als Schulträger Corona-Viren in den Klassenzimmern bekämpfen. „Lüften alleine reicht nicht“ – zu dieser Erkenntnis war die Stadtverwaltung Göttingen nach Recherche, Austausch mit Göttinger Wissenschaftlern und dem Drängen aus Politik und Elternschaft gekommen. Spätestens in der nächsten Ratssitzung soll es einen haushaltswirksamen Beschluss des Rates geben, damit zügig mit dem Kauf und Einsatz von technischen Anlagen gegen das Corona-Virus im Klassenzimmer begonnen werden kann. Bis zum 15. Januar hatten Göttingen Schulen nach einer Abfrage der Verwaltung den Bedarf für 340 technische Anlagen angemeldet. Allerdings hatte nur etwa die Hälfte der Göttinger Schulen bis dahin eine Rückmeldung gegeben. Mehrbedarf für die insgesamt 1039 Klassenzimmer in Göttingen ist also nicht ausgeschlossen. Doch welche Technik soll zu Anwendung kommen? In einer zehnseitigen Vorlage benennt die Bauverwaltung fünf verschiedene Möglichkeiten und listet Vor- und Nachteile auf. Auf dieser Grundlage soll die Politik nun entscheiden. Reiner Luftaustausch durch das Öffnen von Fenstern: Die von der Landesregierung bislang bevorzugte Methode. Alle 20 Minuten für fünf Minuten zu lüften bedeute, dass rund 90 Prozent der Schulstunde keine Lüftung erfolge. Im Idealfall könnte so die Aerosollast so im Mittel nur um etwa 55 Prozent reduziert werden. In der Praxis werde oft durch widrige Umstände weniger erreicht. Lesen Sie auch Mit Technik gegen das Coronavirus: Göttingens Klassenzimmer sollen Ausstattung bekommen Landkreis Göttingen: Schulleiter investieren in Corona-Schutzausrüstung Wie gut fangen Luftfilter Aerosole ein? Stadtelternrat macht Druck: Offener Brief für besseren Corona-Schutz in Göttinger Schulen Göttingen: Coronagerechte Belüftung von Klassenräumen noch nicht geklärt 162 Luftreinigungsgeräte an Duderstädter Schulen und Kitas geliefert Luftaustausch durch stationäre, zentrale raumlufttechnische Anlagen: Anlagen dieser Art gibt es bereits an der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule, am Otto-Hahn-Gymnasium und an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule. Zukünftig sollen sie bei Neubauten und größeren Sanierungen standardmäßig eingebaut werden. Strittig ist hierbei, wie leistungsstark die Raumluftumwälzung sein muss. Die Wissenschaft nennt Werte von drei- bis sechsfachem Luftaustausch. Bei diesem Verfahren werde die Raumluft nicht zu 100 Prozent ausgetauscht, sondern nur „verdünnt“, wie es in der Vorlage heißt. Zu klären sei daher, wie oft die Luft in einem Raum austauscht werden soll und wie hoch bei einer Restkontamination die Wahrscheinlichkeit ist, dass man sich infiziert. Luftaustausch durch eine dezentrale Abluftanlage in den einzelnen Räumen: Einzelne Ventilatoren bieten hierbei einen stetigen Luftaustausch. Diese könnten im Fenster oder in der Wand installiert werden. Auch hierbei wird die Viren-angereicherte Luft immerwährend verdünnt. Die Virenbelastung könne auf einem sehr niedrigen Niveau gehalten werden. Ein Ansteckungsrisiko etwa beim Ansprechen, Anschreien und Anhusten bleibe aber. Und je häufiger die Luft ausgetauscht wird, desto kälter wird es im Raum – ähnlich wie beim Stoßlüften durch die Fenster. Versuche am Felix-Klein-Gymnasium sollen weitere Erkenntnisse zu dieser Möglichkeit liefern. Nachteil hier: Teils größere bauliche Eingriffe in die Schulgebäude. Luftfilteranlagen – Hochleistungsschwebstofffilter (HEPA-Filter): Hierbei wird die Luft gefiltert – die Luft bleibt im Raum erhalten, Partikel werden herausgefiltert. Nachteil: Die Viren werden im Filter gefangen, aber nicht zerstört. Und: Die Wartung mit Erneuerung der Filter über Service-Personal ist teuer. Alternativ müsste Personal der Stadt ausgebildet und entsprechend ausgestattet werden. Filterkosten blieben aber. Einzelpreise dieser Geräte liegen bei 2900 bis 4900 Euro. Für kleinere Räume gibt es erheblich günstigere Geräte Luftreiniger: Die Geräte dekontaminieren mit unterschiedlichen Systemen die Luft. Sie zerstören oder zerlegen zudem Viren, sodass sie sich nicht mehr reproduzieren können. Hier gibt es verschiedene Techniken – etwa die organische Zerlegung der Viren, wie sie ein Gerät der Näder Holding bietet und die Plasmatechnologie. Einzelpreise dieser Geräte liegen bei 3200 bis 3500 Euro. 15 Plasmageräte sind bereits bestellt und sollen am Otto-Hahn-Gymnasium in Betrieb gehen, der wissenschaftlich begleitet werden soll. Derzeit läuft nach Angaben der Verwaltung ein Fördermittelantrag zum Wettbewerb „Gesundheitswirtschaft vor den Herausforderungen der SARS-CoV-2-Pandemie: innovative und anwendungsorientierte Lösungsansätze in Forschung und Entwicklung für Prävention, Diagnose und Analyse zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten“ vonseiten der HAWK mit Prof. Wolfgang Viöl, des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation mit Prof. Eberhard Bodenschatz sowie der Universitätsmedizin Göttingen mit Prof. Simone Scheithauer in Zusammenarbeit mit der Stadt Göttingen, dem Felix-Klein- und Otto-Hahn-Gymnasium und mehreren Arztpraxen in Niedersachsen. Ziel sei es, die Entscheidungsträger in die Lage zu versetzen, bei der konkreten Ausarbeitung von Raumluftkonzepten, Entscheidungsgrundlagen an die Hand zu geben, die im Sinne der Präventionswirkung zielführend seien. „Das Wissen über die Zusammenhänge von Luftreinigung, Luftfiltern und Luftaustausch hat erhebliche Forschungsdefizite“, heißt es in den Ausführungen der Stadtverwaltung. Von Michael Brakemeier