Klimawandel: Warum Hausbesitzer Retkowski in Göttingen keine Fotovoltaik-Anlage bauen darf

Sauber und umweltfreundlich, so wollte Christian Retkowski Strom erzeugen – mithilfe einer Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach seines Hauses am Rande des Ostviertels. Doch bauen darf er die Anlage nicht. Das habe ein Gespräch mit der Bauverwaltung der Stadt ergeben, berichtet Retkowksi. „Ich habe für mein Haus im Friedländer Weg 22 einen Bauantrag für eine Installation einer Fotovoltaikanlage auf dem Dach beim Bauamt der Stadt Göttingen gestellt“, berichtet Hausbesitzer Retkowski. Das war im April 2020. Auf den Erkerdächern mit Ausrichtung nach Süden und den nach Osten und Westen angrenzenden Hauptdachflächen sollten 20 Fotovoltaik-Module installiert werden. So geht es aus der Anlagenbeschreibung hervor, die Retkowski an die Bauverwaltung übergeben hatte. Knapp 7 Kilowatt (kWp) sollten die Module nach ersten Berechnungen über das Solardachkataster Südniedersachsen in der Spitze leisten. Mit dem Großteil des so erzeugten Stroms wollte Retkowski den Verbrauch im Haus decken. Den überschüssigen Strom habe er einspeisen wollen. „Die Dächer sind flach geneigt und verschattungsfrei gelegen. Von der Straße aus sind die Dachflächen kaum einsehbar“, hatte Retkowski die Situation im Friedländer Weg 22 beschrieben. Die Stadtverwaltung sah das anders: Denn das Aus für das Vorhaben, so schildert Retkowski, sei dann bei einer mündlichen Anhörung mit der Bauverwaltung gekommen. Sein Antrag sei mit einem Verweis auf die Erhaltungssatzung „Schildweg“ abgelehnt worden. Begründung der Stadtverwaltung laut Retkowski: Fotovoltaik-Anlagen würden dort das Stadtbild negativ beeinträchtigen. So gebe es grundsätzlich für Anträge in Gebieten mit Erhaltungssatzungen einen Genehmigungsvorbehalt, erläutert Verwaltungssprecherin Claudia Dankert. „Insbesondere das Stadtbild betreffende Dachseiten sind besonders zu prüfen; dies trifft auch auf denkmalgeschützte Gebäude zu. Es erfolgt jeweils eine Beratung und Einzelfallprüfung.“ In der Erhaltungssatzung „Schildweg“ von 1991 heißt es: „Im Geltungsbereich dieser Satzung befindet sich eine große Anzahl erhaltenswerter baulicher Anlagen, die im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild des Viertels prägen und von städtebaulicher, geschichtlicher und künstlerischer Bedeutung sind.“ Retkowski sieht zwar die Berechtigung von Bestandssatzung im Allgemeinen. Sie verhinderten, „dass erneut schöne alte Villen abgerissen werden“, sagt er und nimmt Bezug auf einen Abriss am Friedländer Weg. „Aber dass keine Fotovoltaik-Anlagen installiert werden dürfen, ist nicht mehr zeitgemäß und sollte schnellstmöglich abgeändert werden“, meint er. Lesen Sie auch Göttingen: 1000. Photovoltaik-Anlage im Stadtgebiet geht ans Netz Energieagentur Göttingen bietet Solar-Check für Hauseigentümer an Thema: Solarenergie - Nachrichten und Informationen im Überblick Göttingen: Klimabeirat fordert verbindliche Solaranlagen bei Neubauten Stadtwerke Göttingen installieren Photovoltaik Anlage Göttinger Bauausschuss beschließt Verträge für Wohngebiet „Zimmermannstraße“ Wätzolds Woche: Zero Plan im Göttinger Wahlkampf In Konsequenz bedeutet das Nein der Verwaltung für Retkowski nun, dass ihm nur eine Installation auf der Straße abgewendeten Seite seines Daches erlaubt ist. „Da diese Seite aber schattiger ist, lohnt sich eine solche Installation nicht“, sagt er. Statt der knapp 7 kWp Leistung würde eine so abgespeckte Anlage nach ersten Berechnungen nur noch knapp 3 kWp liefern. „Dies ist meines Erachtens sehr schade, da wir so sicherlich nicht die längst notwendige Energiewende schaffen werden, wenn einem selbst der Bau einer Fotovoltaik-Anlage im Ostviertel verwehrt wird“, kommentiert Retkowski. „Ich dachte, dass die Stadt Göttingen wirklich nachhaltiger werden möchte und dies nicht nur eine oberflächliche Werbekampagne sei.“ Wie lassen sich Regelungen aufweichen? Auch die Stadtverwaltung sieht den „wichtigen Beitrag“ von Fotovoltaik-Anlagen zum Schutz des Klimas. „Es ist ausdrückliches Ziel der Stadt Göttingen, die Klimaziele zu erreichen und gemeinsam mit den Eigentümern Lösungen zu finden. Dazu wird derzeit intern geprüft, inwieweit bestehende Regelungen aufgeweicht oder durch neue ersetzt werden können, um einerseits städtebauliche Eigenarten zu bewahren und andererseits wichtige Klimaschutzziele erreichen zu können“, sagt Dankert. Über Änderungen in den Satzungen entscheidet der Rat. Zuletzt hatte dieser eine ähnliche Satzung im Jahr 2020 für den Großteil des Göttinger Ostviertels auf den Weg gebracht. Auch sie schließt die Installation von Fotovoltaik-Anlagen aus. Fotovoltaik mit „Riesen-Potenzial“: Für Nils König, Mitglied im Vorstand des Klimaschutzbeirats der Stadt Göttingen, birgt die Fotovoltaik ein „Riesen-Potenzial“, das erschlossen werden muss, will die Stadt die selbstgesteckten Ziele der Klimaneutralität erreichen – „egal ob 2030 oder 2050“, sagt König mit Blick auf die aktuelle Debatte um den Göttinger Klimaplan. Erschlossen ist von dem „Riesen-Potenzial“ Fotovoltaik in Göttingen derzeit aber nur ein Bruchteil. Zwar sind derzeit auf den Dächern Göttingens gut 1000 Anlagen installiert, mehr als fünf Prozent der geeigneten Flächen werden in der Stadt laut Dankert aber nicht genutzt. Sie erläutert, dass das Fotovoltaik-Potenzial nicht nach Anzahl der Dächer oder Anlagen angegeben werde, sondern nach installierter Leistung. Das Bild gleicht sich aber: So seien laut Solarkataster in Göttingen etwa 15 000 kWp Fotovoltaik-Leistung installiert. Das seien etwa fünf Prozent der möglichen 310 000 kWp. Angebote der Stadt Göttingen: Mithilfe des Solarkatasters können Hauseigentümer eine erste Einschätzung für ihre Dächer abrufen. Zudem bieten die Energieagentur Region Südniedersachsen kostenlose Erstberatungen und die Stadtwerke ein Contracting für Fotovoltaik-Anlagen an, beschreibt Dankert das Engagement der Stadt auf diesem Gebiet. Sie prüfe außerdem in regelmäßigen Abständen ihren eigenen Gebäudebestand und baue entsprechend selbst Anlagen darauf oder biete Investoren Dachflächen für Anlagen an. Ebenso würden die städtischen Gesellschaften verfahren, erläutert Dankert. Aus den Angaben des von der Stadtverwaltung vorgelegten Evaluationsbericht zum „Masterplan 100% Klimaschutz“, der Daten bis 2018 berücksichtigt, geht indes hervor, dass die Fotovoltaik-Leistung auf Dächern in städtischem Besitz von 2012 bis 2018 gleich geblieben ist. Im Bericht heißt es dazu: „Die Entwicklung der vergangenen 19 Jahre zeigt, dass nach einem stärkeren Wachstum in der letzten Dekade der Zubau an neuen Photovoltaik-Anlagen seit 2012 deutlich abgeflacht ist. Etwa ein Viertel der Photovoltaik-Leistung entfällt auf Dächer städtischer Gebäude.“ Durch den systematischen Ausbau in den vergangenen Jahren sei ein weiteres Ausbaupotential auf städtischen Dächern inzwischen weitgehend ausgeschöpft. „Die Potentiale auf Privatdächern und an Fassaden sind hingegen bislang nicht ansatzweise ausgeschöpft, sodass die im Masterplan gesteckten Ausbauziele insgesamt deutlich verfehlt werden.“ Dankert schränkt ein: In Bebauungsplänen könnten Fotovoltaik-Anlagen nicht festgesetzt werden. Sie ergänzt aber: Über Städtebauliche Verträge oder bei Kaufverträgen werde dies aber je nach Vorhaben geregelt. Streit um Zimmermannstraße: Zuletzt hatten die städtebaulichen Verträge für das künftige Wohngebiet „Zimmermannstraße“ in Weende für Ärger im Bauausschuss des Rates gesorgt. Den Grünen und Linken war der dort formulierte Passus zu Fotovoltaik-Anlagen nicht weitgehend genug. Die Grünen wollten die Anlagen bindend vorschreiben. Baudezernentin Claudia Baumgartner berichtete hingegen von „zähen Verhandlungen“ mit den Investoren: „Ich weiß nicht, wie die reagieren, wenn wir da noch etwas draufpacken.“ Es sei schon „Spitz auf Knopf“ gewesen, die Verträge so auszuhandeln, wie sie vorliegen, sagte sie. Eine Mehrheit für den Vorstoß der Grünen fand sich im Ausschuss nicht. Kritik vom Klimaschutzbeirat: „Es ist uns unverständlich, wieso das Thema nicht bereits beim Klimafaktencheck für Bebauungspläne und damit rechtzeitig diskutiert wurde, und jetzt als ,zu spät eingebracht’ zurückgewiesen wird“, hatte der Göttinger Klimaschutzbeirat im Nachgang der Sitzung kommentiert. Die Ablehnung verpflichtender Fotovoltaik-Installationen durch CDU und SPD stehe im direkten Gegensatz zu den Klimazielen der Stadt, heißt es weiter. Klimaziele der Stadt und des aktuell neu formulierten Masterplans Klimaschutz könnten nicht eingehalten werden, wenn effektive Klimaschutzmaßnahmen nicht jetzt schon bei allen Neubauten verpflichtend umgesetzt, sondern in eine ferne Zukunft verschoben würden, kritisiert der Beirat. Der Klimaschutzbeirat verweist dazu auch auf seinen Antrag im Umweltausschuss des Rates auf eine Solarsatzung, die in Neubaugebieten Fotovoltaik-Anlagen auf Dächern verpflichtend vorschreiben soll. Nils König bemängelt, dass dieser Antrag aus dem September bis heute noch nicht im Ausschuss diskutiert werden konnte. So liege eine Stellungnahme der Verwaltung dazu bisher immer noch nicht vor. Von Michael Brakemeier