Klimawandel stellt Leineverband vor neue Aufgaben

1958 wurde der Leineverband gegründet, um seine damals 500 Mitglieder vor Hochwasserschäden zu bewahren. Sollten die Mitarbeiter anfangs vor allem für einen ordnungsgemäßen Wasserabfluss sorgen, sind die ökologischen Aspekte mit den Jahren immer weiter in den Vordergrund gerückt. Hinzu kamen zuletzt die deutlich spürbaren Auswirkungen des Klimawandels: Trockenphasen, Starkregen und Sturm sorgen in den letzten Jahren beim Leineverband für volle Auftragsbücher. Ortstermin an der Rase zwischen Rosdorf und Tiefenbrunn. Ein Baum ist umgestürzt und liegt mitten im Bach. Eine klassische Aufgabe für die Männer der Südkolonne des Leineverbands. Mit Minibagger, Motorsägen und Seilwinde rücken sie dem Hindernis zu Leibe. Die Bedingungen an dieser Stelle sind ideal. Die Uferböschung ist flach und neben dem Gewässer ist ausreichend Platz für das schwere Gerät und die Verarbeitung des geborgenen Baumes. Mehr als Wasserabfluss: Das ist nicht immer so. „An manchen Stellen müssen wir den Bagger mit einem Kran in das Flussbett heben“, erklärt Geschäftsführer Jens Schatz. Es steht daher weit ober auf der Wunschliste der Verbandsführung, dass die Gewässer von Wegen gesäumt werden. Das hätte nicht nur einen Vorteil für die Unterhaltungsarbeiten, sondern würde die Gewässer auch für die Naherholung erschließen. Denn längst werden die Flüsse und Bäche nicht mehr nur als reiner Wasserabfluss verstanden. Sie sollen nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in ihrer Form erhalten bleiben oder wieder hergestellt werden. Schatz: „Früher haben wir vom Leineverband begradigt und ausgebaut. Heute machen wir das wieder rückgängig.“ Die gesetzliche Erfordernis hat sich gedreht. Damit beschreibt er den Grundkonflikt, in dem sich Unterhaltungsverbände heute bewegen. Eine Einzelfallentscheidung: Natürlich will noch immer niemand, dass die Abläufe bei Hochwasserereignissen über die Ufer treten und angrenzende Flächen oder gar Gebäude fluten. Gleichzeitig sollen aber die Eingriffe in die Natur so gering wie möglich gehalten werden. „Es ist immer eine Einzelfallentscheidung“, so Schatz. Hinzu kommt noch, dass die Zuständigkeiten oft ungeklärt sind, denn der Leineverband bewegt sich meist auf fremden Grund und sein gesetzlicher Auftrag ist ungenau definiert. So kommt es also nicht selten zu Situationen, in denen die Mitarbeiter vor Ort mit Anwohnern oder Passanten diskutieren müssen, warum sie eine Maßnahme überhaupt durchführen oder warum sie nur den einen Baum entfernen und nicht gleich die ganze Böschung abholzen. „Ich bewundere die Geduld der Kollegen manchmal“, so Schatz. Etwa einmal pro Jahr wird der Verband dennoch vor das Verwaltungsgericht zitiert, weil sich Interessenkonflikte nicht lösen lassen. Kein Prozess verloren: Andreas Friedrichs, Vorsteher des Leineverbands, erinnert sich an Verhandlungen, die „fast philosophische Ausmaße“ angenommen hatten. „Es ging mal um eine Mauer, die einerseits ein Gewässer begrenzte, andererseits aber auch das Fundament eines Gebäudes bildete. Jetzt musste geklärt werden, wer für die Unterhaltung zuständig ist.“ Am Ende teilte der Richter die Mauer salomonisch in zwei Teile. Man ist stolz beim Leineverband, dass bis heute noch kein Prozess verloren ging. Der Leineverband ist für die Unterhaltung von 93 Gewässer II. Ordnung im Verbandsgebiet zuständig. Dazu zählen unter anderem die Gewässer Leine, Garte, Weende, Ilme, Saale und Despe. Mitglieder sind Kommunen, Landkreise, Straßenbau- oder Forstverwaltung und einige Firmen. Von den 500 Mitgliedern zur Gründung im Jahr 1958 sind aufgrund von Verwaltungsreformen heute noch 76 übrig. Der Verband versteht sich als Dienstleister und Interessenvertretung. Neben den gesetzlichen Unterhaltungsarbeiten unterstützt der Leineverband die Mitgliedsgemeinden beim Hochwasserschutz und wirbt dafür Fördermittel ein. Dies gilt auch für Vorhaben der Gewässerentwicklung soweit dies personell zu leisten ist und durch Dritte die Kosten dafür weitestgehend getragen werden. Aktuell arbeiten in der Geschäftsstelle in Northeim und den drei Bauhöfen in Gronau, Hevensen und Einbeck insgesamt 24 Mitarbeiter. Tatsächlich versucht man aber, Konflikte zu vermeiden und appelliert an den Verbandsgedanken. „Keiner kann das alleine“, betont Friedrichs. Der Gründungsgedanke, dass die Pflege der Gewässer in einer Hand liege, sei nach wie vor richtig. Gleichzeitig müsse aber von allem berücksichtigt werden, dass die Aufgabe vielschichtiger und arbeitsintensiver geworden sei. Beim Ortstermin bleibt die Arbeit des Leineverbands an diesem Tag übrigens ohne Gegenwehr, auch wenn es sicher auch dazu verschiedene Meinungen gegeben hätte. Friedrichs zeigt den Bachlauf entlang, an dem weitere dicke Äste ins Wasser ragen. Die bleiben unangetastet – eine Einzelfallentscheidung. Von Markus Scharf