Kolume: Wischmeyers Logbuch das neue Jahr

Liebe Mitbürger und – innen sowie draußen an den Empfangsgeräten. Ein verfluchtes Jahr liegt endlich hinter uns, und alle, die es überlebt haben, fragen sich: Wozu? Ein Jahr ohne Ballermann, ohne Glühweinsaufen und kein Schiurlaub, da kann ich mich ja gleich in die Kiste legen. Sehr richtig, und das neue Jahr bietet dazu reichlich Gelegenheit. Man kann sich als betagter E-Bike-Pilot das Genick brechen, mit der neuzugelassenen 737 Max abschmieren oder weniger spektakulär als Impfgegner krepieren. Nie wird es so leicht sein wie 2021, seine Vorbehalte gegen die Anti-Covid-19 Spritze auszuleben, denn es wird sowieso nicht für alle reichen, weder der Impfstoff noch die Kapazitäten an Personal und Zeit. Macht aber nichts, denn 30 % der Deutschen wollen sich eh nicht impfen lassen aus Angst vor Nebenwirkungen. Liebe Freunde des freiwilligen Opfertods, ihr seid die Nebenwirkung. Bitte outet euch, tragt euch in die Listen der Impfverweigerer ein, und wenn wir 30 % zusammen haben, räumen wir für euch ein eigenes Bundesland frei – wie wär‘s mit Sachsen, vielleicht etwas eng für 25 Millionen – wenn ich richtig gerechnet habe – aber ihr rückt euch doch gern gegenseitig auf die Pelle, auch ohne Maske. Für alle anderen heißt es, 2021 die Arschbacken zusammenkneifen und zuhause im permanenten Soft-Lockdown auf den Termin im Zentrum zu warten. Wer noch keine erste und auch nicht die zweite Spritze bekommen hat, muß sich auch keine Tickets für Konzerte, Theater oder anderen system-irrelevanten Blödsinn besorgen, denn er wird sowieso nicht reingelassen. Als ungespritzte Parias dürfen wir weiter zuhause auf dem Sofa Netflix glotzen und müssen auch nicht zum Frisör. Unseren Job erledigen wir im Home-Office, und immer, wenn der Chef zur Videokonferenz ruft, räumen wir im Hintergrund die leeren Pullen weg. Das neue Jahr wird für uns alle sehr viel angenehmer als das verfluchte 2020, denn wir haben uns längst an alles gewöhnt. Wer braucht schon Restaurants und Kneipen, um fröhlich zu sein. Man kann sich doch auch zuhause einen Doppelkorn in die Hafermilch kippen und mit einem Callcenter telefonieren. 2021 werden gerade wir Deutschen zu neuen Formen des sozialen Zusammenlebens finden. Wir müssen nicht mehr unseren Nachbarn über die Kirschlorbeerhecke anschreien, wir können ihn anonym verpetzen, weil sein Schotterbeet im Vorgarten die Insekten umbringt. Und wenn wir uns aus nostalgischen Gründen nach menschlicher Wärme sehnen, dann programmieren wir die Heizdecke auf 37 Grad und gucken auf RTL „Bauer sucht Frau“. Das Fernsehgerät verschont uns im kommenden Jahr mit all den Horrormeldungen, die uns im vergangenen den Feierabend versauten, denn es gibt sie ja kaum noch die Firmen, die pleite gehen können, die jammernden Künstler und Gastronomen, das sind alles Probleme von gestern. Hier hat Covid-19 längst klar Schiff gemacht, und wenn wir im September eine neue Kanzlerin bekommen, dann wissen wir heute zwar noch nicht wie er heißt, aber schon jetzt, daß er auch nicht weiß, wie‘s weitergeht. Das nennt sich Kontinuität, wenn nicht gar Langzeitstrategie, und wieder einmal dürfen wir froh sein, in diesem herrlichen Land leben zu dürfen. Liebe Mitgefangene, ich wünsche uns allen ein frohes neues Jahr voll heiterer Verzweiflung. Das neue Buch von Dietmar Wischmeyer: Günther - Aufgewachsen unter Niedersachsen ab sofort im Handel oder unter fsr-shop.de erhältlich. Von Dietmar Wischmeyer