Lammzeit: Schäfer im Landkreis Göttingen sind mitten drin

Im Frühjahr blöken auf dem Land Lämmer. Bis Mai kommt Nachwuchs auf die Welt. Dort, wo es bereits soweit war und ist, herrscht rege Betriebsamkeit im Stall. In dem bleiben die Tiere noch ein paar Wochen. Ihr Futter muss erst richtig wachsen. Im Betrieb von Rüdiger Grossert hat die Lammzeit am 10. Januar begonnen. „Wir sind mittendrin“, sagt der Diplom-Agraringenieur, Chef der Schäferei Gutinga, deren Hauptsitz in Ischenrode liegt und die er im Haupterwerb führt. Der Nachwuchs macht sich in der Zweigstelle bei Dramfeld in der Gemeinde Rosdorf bemerkbar: Gut 160 Leinelämmer waren es Mitte der Woche, sagt der 58-Jährige – „70 Prozent Zwillinge, 25 Prozent Einzellämmer“. Zufütterung mit Magertrocken-Milchpulver: Auch Drillinge hat er im Stall in Mariengarten: „Die Mütter haben zwei Zitzen, also füttern wir mit der Flasche nach.“ Diese Nahrung besteht aus Magertrocken-Milchpulver, angerührt mit warmem Wasser. „Das ist zusätzliche Arbeit, die ich sehr gerne mache“, sagt Grossert. Wichtig ist, so der Schäfer, dass die Jungtiere zügig Extraportionen erhalten: „Wenn man sie rechtzeitig an die Flasche gewöhnt, klappt das ganz gut. Gleich nach der ersten Milch der Mutter. Dann wissen schwache Lämmer, dass ihnen auch Milch von Menschen gut tut.“ Mit der Flasche gefütterte Schafe bleiben dem Menschen treu: Dieses Gefühl tut auch dem Schäfer gut: „Mit der Flasche gefütterte Schafe bleiben dem Menschen ein Leben lang treu.“ Sie sind zahm, so Grossert, folgen dem Schäfer zum Beispiel beim Umweiden – und ihnen laufen alle anderen nach: Die Masse setzt auf den Herdentrieb. Die eisige Kälte bis Mitte Februar sei für die Lämmer kein Problem gewesen, sagt Grossert. „Auch nicht bei minus zehn Grad im Stall. Trockene Kälte macht ihnen nichts aus. Das war nicht dramatisch.“ Bei Grosserts Schäferei Gutinga dauert die Lammzeit bis Anfang März. Hobby-Schafhalter: In der erste Märzwoche geht’s los: Genau dann beginnt der Geburtszeitraum im Betrieb von Heiko Rubbert, der Harster Natursaftkelterei: In der nächsten Woche soll es losgehen. Für Rubbert ist die Haltung von zurzeit sieben Kamerunschafen ein Hobby. „Und wir züchten auch Skudden, eine alte, vom Aussterben bedrohte Haustierrasse.“ Rubbert betreibt eine Mosterei. Und Landwirtschaft als Nebenerwerb. „Wir beteiligen uns an Agrarumweltmaßnahmen, legen Blühstreifen und Blühflächen an“ – sein Einsatz für Insekten, insbesondere für Bienen, so der 51-jährige Gärtner. Er bewirtschaftet einen Gemüsegarten und vermostet neben Äpfeln der Kunden auch Rhabarber. Im vergangenen Jahr hatte er acht Muttertiere, die zwölf Lämmer gebaren. „Die Lämmer bleiben erstmal im Stall. Anfang April bringen wir die Schafe auf die Weide.“ Deren Gras wächst auf einer Streuobstwiese. Thielemanns Skudden lammen im Mai: Noch später werden die Lämmer im Betrieb von Sarah Thielemann in Waake geboren: Start ist im Mai. Thielemann hält mit einer Freundin „aktuell knapp 30 Schafe“ im Nebenerwerb: „ostpreußische Skudden, die älteste Schafrasse Europas“. Und die haben sogar Namen – wie Martha, Matilda, Zuckerwatte oder Muffin. Zu ihnen kommen Kinder aus Kitas oder Grundschulen, die ihre Schafe, Hühner und Gänse bestaunen. „Wir erklären, was Eier sind, und wo sie herkommen. Dass Schafe, wie unsere Hunde, Namen haben, ist für die Kinder ganz selbstverständlich.“ Flaschenlämmer sind „bei uns ganz selten“, sagt die 30-Jährige. Dass die Lämmer im Mai zur Welt kommen, ist Absicht. Deckgruppen, so Thielemann, werden im Dezember und Januar gebildet, „da weiß man, wann die Lämmer kommen. Im Mai ist das Gras nahrhaft“. Ihre Schafe begrasen Flächen, „die sonst verdichten oder verwalden“. Diese Landschaftspflege wird „entsprechend pro Hektar vergolten“, so Thielemann. Skudden sind sehr klein, und keine guten Lieferanten für Fleisch und Milch. Fleischverkauf gibt es bei ihr nicht. Schaffleisch im Hofladen zum Verkauf anbieten: Bei Emil Kratzert schon: Der gelernte Landwirt hat den Betrieb seiner Mutter in Reyershausen übernommen. Er hält Kühe, will ab Anfang März Hühnereier verkaufen und: „In diesem Jahr wollen wir auch mehr schlachten, Schaffleisch in unserem Hofladen anbieten“, sagt der 21-Jährige. 24 Muttertiere leben auf dem Hof. „Wir sind gerade voll in der Lammzeit und erwarten insgesamt etwa 40 Lämmer.“ Kratzat hält Leineschafe, Coburger Füchse und ein paar Schafe der Rasse Kerry Hill. Jetzt herrscht Bewegung im Stall. Anfang Februar sind die ersten Lämmer von Leineschafen und Coburger Füchsen zur Welt gekommen – „nur ein einzelnes Lamm, Zwillinge und viermal Drillinge. Sie mussten wir teilweise zufüttern.“ Seitdem das Wetter mitspielt, spielen die Lämmer jetzt draußen, „für ein paar Stunden, auf einer Weide gleich hinter dem Stall, den wir zwischenzeitlich für die Nacht vorbereiten“. Weidegründe von der Ex-Grenze bis zum Bosch-Areal: Thielemann lässt ihre Tieren bei Friedland und im Raum Waake/Ebergötzen weiden – und seit vergangenem Jahr einen Teil der Schafe auch auf dem Betriebsgelände der Robert Bosch AG in Göttingen. Der Landschaftspflegeverband hatte das Projekt ausgeschrieben, „und ich habe mich gemeldet“. Etwa 8500 Schafe lebten, Stand 2019, im Landkreis, so Klaus König, Geschäftsführer des Landschaftspflegeverband (LPV) Göttingen. „Tendenz rückläufig“, sagt der 60-Jährige, „weil sich Weidetierhaltung betriebswirtschaftlich nicht rechnet.“ Er verzeichnet „alle fünf Jahre einen Rückgang von zehn bis 15 Prozent. Das ist der Trend seit 20 Jahren.“ Etwa 500 Schafhalter gibt es im Landkreis, sagt König. „Davon 90 Prozent Kleinstbetriebe, Hobbyhaltung, mit unter zehn Schafen.“ Es gebe nur wenige Betriebe mit 20 bis 50 Schafen im Nebenerwerb und drei Haupterwerbsbetriebe mit mehr als 300 Schafen, zu denen Rüdiger Grosserts Schäferei zählt. Sie seien die „allerletzten“ ihrer Zunft – „danach kommt nichts mehr“. Die Löhne im Bereich der Schafhaltung liegen „bei zwei bis fünf Euro“, so König: „Viel Arbeit, wenig Geld, 365 Tage im Jahr Dienst.“ Im Landkreis seien gelegentlich Einzelwölfe gesichtet worden, „die nicht geblieben sind“. Kein Problem also. Zum Problem könnten Hunde werden, wenn ihre Halter nicht aufpassten. „Hunde dürfen nicht an die Schafzäune“, sagt König. Schäfer Grossert hat Weidegründe für etwa 250 Skudden und 150 Graue Gehörnte Heidschnucken in Hessen, Thüringen und Südniedersachsen, „vorwiegend am Grünen Band, entlang der ehemaligen Grenze“. Seit vergangenem Jahr kann er 200 Leineschafe an der Leineaue in Göttingen weiden lassen. Das Projekt „Leineschafe an die Leine“ hatte die Stadtverwaltung auf den Weg gebracht. Lesen Sie auch Bosch in Göttingen: 13 Schafe pflegen den Rasen Leineschafe als Rasenmäher in der Stadt Göttingen unterwegs Reyershausen: Junge Landwirte treiben Landwirtschaftsprojekte voran Göttinger Hundehalter zu „99 Prozent“ vernünftig: Schutzhunde sind hier, anders als am Grünen Band, nicht dabei. Hunde gibt es natürlich – die von Spaziergängern. Deren Tiere müssen ebenfalls an die Leine. „Die Hundehalter sind zu 99 Prozent vernünftig“, betont Grossert. „Ich sage Danke an die Göttinger für die positive Rückmeldung an uns Schäfer. Wir freuen uns, im April nach Göttingen zu kommen.“ Von Stefan Kirchhoff