Landkreis Göttingen: Eltern erfahren erst spät, ob ihr Kind Anspruch auf Notbetreuung hat

Die Schließung der Kindertagesstätten stellt Eltern vor große Herausforderungen. Denn sie müssen jetzt die Betreuung ihrer Kinder organisieren. Doch das gestaltet sich in vielen Fällen schwierig, denn auch wenn ab Montag die Notbetreuung in den Kindertagesstätten startet, wissen viele Eltern noch nicht, ob ihrem Kind ein Platz in der Notbetreuung zusteht oder nicht. Grund hierfür ist, dass das Land Niedersachsen die zur Anmeldung notwendige Checkliste, ob das Kind aufgrund der Arbeit eines Elternteils in einem systemrelevanten Beruf einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz hat, erst spät an die Träger der Kindergärten verschickt hat. Daher konnten die Einrichtungen die Formulare, die von den Eltern ausgefüllt werden müssen, zum Teil erst am Donnerstagabend an die Eltern schicken. In Verordnung eingelesen: Doch auch wer seine Unterlagen abgegeben hat, hat nicht automatisch seinen Platz in der Notbetreuung sicher. Diese Erfahrung musste auch Anja Aschenbrandt machen, die Mutter dreier Kinder im Alter von zwei, acht und zwölf Jahren wollte das jüngste Kind gern in der Betreuung geben. Doch obwohl sie im systemrelevanten Beruf arbeitet, wurde ihr zunächst kein Platz zugewiesen, da sie derzeit im Homeoffice arbeite. Mittlerweile steht fest, dass sie ihr Kind in die Notbetreuung geben kann. Doch damit dies möglich wurde, war viel Eigeninitiative gefragt. „Ich habe mich in die Verordnung eingelesen und dabei herausgefunden, dass ich trotz Homeoffice einen Anspruch auf den Betreuungsplatz habe“, sagt Aschenbrandt. Am Freitagnachmittag habe sie dann von der Kita-Leitung die Rückmeldung erhalten, dass sie ihr Kind in die Notbetreuung bringen könne. Auch sie findet es schwierig, dass die notwendigen Vorgaben vom Land erst am Donnerstag an die Eltern weitergeleitet wurden. Denn die nötigen Bescheinigungen zu bekommen, sei ja auch mit Aufwand verbunden. Aus ihrer Sicht werden Eltern in der jetzigen Situation von Bund und Land ziemlich allein gelassen: „Wenn die ganze Situation für uns schon so schwierig ist, wie ist es dann erst für Alleinerziehende, die keinen Partner an ihrer Seite haben?“, sagt Aschenbrandt. Im ersten Lockdown hätten ihr Mann und sie noch Verständnis gehabt, und auch die Notbetreuung nicht genutzt. Doch jetzt hätte den Verantwortlichen bewusst sein müssen, dass es aufgrund der hohen Infektionszahlen wieder zu einem Lockdown mit Kita-und Schulschließungen kommen werde. Deshalb sei es unverständlich, warum mit der Herausgabe der Verordnung vonseiten des Landes so lange gewartet worden sei. Viel Eigeninitiative eingebracht, um einen Platz in der Notbetreuung zu bekommen, hat auch Yvonne Ahlroth, Elternvertreterin des evangelischen Kindergartens in Obernjesa. Sie habe sich bereits um eine Bescheinigung vom Arbeitgeber bemüht, als die erneute Schließung bekannt gegeben worden war. Aber auch sie betont, dass die offiziellen Vorgaben vom Land zu spät gekommen seien und die Träger sowie die Einrichtungen keine Chance gehabt hätten, frühzeitig zu reagieren. „Ansonsten läuft die Kommunikation bei uns in der Kita wirklich gut“, sagt sie. Auch Angela Lott, Elternvertreterin im evangelischen Kindergarten in Groß Schneen betont, dass die Umsetzung der Vorgaben für die Kindergarten-Leitung und die Mitarbeiter mit großem Organisationsaufwand verbunden seien und sie auf Anweisungen vom Kirchenkreisamt angewiesen seien. „Und jetzt muss geguckt werden, wie viele Anmeldungen zur Notbetreuung es gibt, wie viele Gruppen tatsächlich benötigt werden“, so Lott. Sie selbst benötige zwar keinen Platz in der Notbetreuung, doch sie könne verstehen, dass die Situation für alle, die den Platz benötigten, sehr schwierig sei, nicht zu wissen, ob man einen Platz hat. Verantwortung wird auf Eltern übertragen: Dies sieht auch Kathrin Hölscher so. Die Mutter zweier Kinder hat zwar einen Anspruch auf Notbetreuung, doch da die Formulare erst Donnerstagabend kamen, kann sie ihre Kinder noch nicht ab Montag in die Notbetreuung schicken. „Da die Chefs am Freitag nicht da waren, konnten weder mein Mann noch ich die Formulare ausfüllen lassen“, berichtet sie. Deshalb habe sie jetzt für die ersten Tage eine andere Möglichkeit zur Betreuung der Kinder finden müssen. Auch die Formulierungen in den Vordrucken zur Beantragung der Notbetreuung hält sie für schwierig, so beispielsweise die Frage, ob es Alternativen zur Notbetreuung gebe: „Wenn ich Alternativen hätte, würde ich die Notbetreuung nicht nutzen.“ Sie stellt sich zudem die Frage, warum es jetzt nicht möglich war, die Formulare aus dem Frühjahr zu nutzen. Ähnlich wie Aschenbrandt meint auch sie, dass ein weiterer Lockdown vorherzusehen gewesen sei. „Es hätten bereits über den Sommer Lösungen gefunden werden können“, so Hölscher. Ähnlich denkt auch der Vorsitzende des Duderstädter Stadtelternrates, Dirk Eickhoff. Seiner Meinung nach seien von der Politik im Sommer großzügige Lösungen versprochen worden, die jetzt aber nicht da wären. „Stattdessen schiebt die Politik die Verantwortung auf die Eltern ab“, sagt er. Anders beurteilt er allerdings die Situation direkt vor Ort. Hier seien die Träger auf den eingetretenen zweiten Lockdown vorbereitet gewesen und hätten schnell gehandelt. „Hier gilt unser Dank den Verantwortlichen, die wirklich gut gehandelt haben“, so Eickhoff. Dass die Verantwortlichen vor Ort aus den Erfahrungen des ersten Lockdowns gelernt hätten, zeige sich auch daran, dass er jetzt deutlich weniger Anrufe besorgter Eltern erhalten habe als im März. Dazu zähle aber auch, dass die jeweiligen Einrichtungen ein gutes Hygienekonzept hätten, und die Eltern sich sicher fühlten, wenn sie ihre Kinder in den Kindergarten brächten. „Da gilt auch ein Dank den Erziehern, die, obwohl sie zum Teil zur Risikogruppe gehören, versuchen, alles möglich zu machen“, sagt Eickhoff. Als Problematisch bewertet er, dass die Unterscheidung, welche Kinder in die Notbetreuung dürfen und welche nicht, in Niedersachsen nicht einheitlich geregelt seien. Dazu zähle zum Beispiel, dass Homeoffice in manchen Landkreisen ein direkter Ausschluss der Notbetreuung sei. „Eigentlich kann nur der Arbeitgeber entscheiden, ob eine Betreuung der Kinder im Homeoffice durch den Arbeitnehmer übernommen werden kann oder nicht“, so der Elternratsvorsitzende. Kindkrank-Tage könnten später fehlen: Eine weitere Problematik in der Kommunikation der Landesregierung sei, dass das Thema Kindkrank-Tage nicht vollständig erläutert werde, meint Eickhoff. Zudem sei das zwar eine Möglichkeit, aber diese sei für die Familien mit finanziellen Einbußen verbunden, da Eltern in dieser Zeit nur 67 Prozent ihres Einkommens erhalten. „Das ist für Familien, die auf die restlichen 33 Prozent angewiesen sind, nicht großzügig“, macht Eickhoff deutlich. „Es mag sich im ersten Moment ganz gut anhören, dass der Satz von zehn auf 20 Tage erhöht werden soll. Durch Verbrauchen solcher Tage während des Lockdowns fehlen die Tage dann eventuell später im Jahr, wenn das Kind tatsächlich erkrankt“, sagt Susann Graupner, Vorstandsmitglied des Göttinger Stadtelternrates. Zudem würden sie für Beamte, Studierende, Freiberufler, andere Selbstständige und anderweitig Privatversicherte ihren Zweck verfehlen. Nach ihren Angaben verlief die Information der Eltern zur Kita-Schließung in Göttingen sehr unterschiedlich. Während viele Einrichtungen gut kommuniziert hätten, hätten andere erst spät und unzureichend Informationen an die Eltern weitergegeben. Sowohl für Eltern als auch für die Kinder bedeute der erneute Lockdown eine Zeit mit vielen Herausforderungen. „Die Vereinbarkeit von Job und Familie ist nicht nur schwierig, sondern zudem auch enorm kräftezehrend für alle Beteiligten. Kinder haben sehr wohl gute Antennen, wenn die Erwachsenen beim Malen nicht ganz bei der Sache sind, sondern im Ohr noch einen Kopfhörer haben, um dem Teammeeting beizuwohnen“, erklärt Graupner. Lesen Sie auch Verschärfter Lockdown in Niedersachsen : Was ist jetzt noch erlaubt – und was nicht? Kommentar: Die neuen Corona-Regeln in Niedersachsen sind kinderfeindlich Kinder in Corona-Pandemie mit „Lockdown versöhnen“: Interview mit Psychiaterin Ein weiteres Thema, das für die Eltern noch mit Fragezeichen verbunden ist: Wird es eine Rückzahlung des Elternbeitrages geben? Beim ersten Lockdown wurden die Beiträge weitgehend zurückerstattet. Doch diesmal wurde von den Trägern hierzu noch keine Entscheidungen getroffen. Dies sei insbesondere für finanziell schlechter gestellte Eltern zusätzlich zur Kinderbetreuung eine weitere Herausforderung, so Graupner. Von Vera Wölk