Landkreis Göttingen: Gewalt gegen Frauen soll intensiver bekämpft werden

Die Erhebungen darüber, wie viele Frauen im Durchschnitt Gewalt durch Männer erfahren, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das Fazit indes bleibt immer alarmierend: die Rate ist hoch - jede fünfte, vielleicht sogar jede dritte Frau könnte betroffen sein. Auf Antrag der Mehrheitsgruppe im Kreistag Göttingen wird jetzt eine Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt eingerichtet. Die CDU-Fraktion hatte sich dagegen ausgesprochen: Die Mittel dafür sollten lieber den Frauenhäusern und dem Frauennotruf zur Verfügung gestellt werden, hieß es. Eigener Partner größte Gefahr für Gewalterfahrung: „Gewalt an Frauen ist leider immer noch ein Thema, auch bei uns“, sagte Kreistagsmitglied Maria Gerl-Plein (Grüne), die den Antrag während der Kreistagssitzung in Osterode einbrachte. Gerade in der Corona-Zeit gebe es für die Opfer kaum ein Entkommen aus der häuslichen Situation, was die Problematik noch verschärfe. Die größte Gefahr für eine Frau, Opfer eines Tötungsdeliktes zu werden, gehe vom eigenen Partner aus, verwies die Göttingerin auf entsprechende Studien. Die angedachte Koordinierungsstelle soll dezernatsübergreifend und unabhängig arbeiten und – so ist es im Antrag formuliert – zur Umsetzung der Istanbul-Konvention dienen. Die 2011 vom Europarat verabschiedete Konvention ist seit 2018 auch nationales Recht. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, gegen alle Formen von Gewalt vorzugehen. Mindestens eine Vollzeitstelle soll geschaffen werden: „Wir hoffen, dass die Stadt Göttingen auch eine halbe Stelle beiträgt“, sagte Gerl-Plein. In dem Antrag der Mehrheitsgruppe heißt es nämlich: Vorbereitend sollen Gespräche mit der Stadt Göttingen über eine „gemeinsame Aufgabenwahrnehmung“ geführt werden. Bei einem möglicherweise gemeinsamen Vorgehen soll „mindestens“ eine Vollzeitstelle geschaffen werden. Geklärt werden müsse etwa, ob die Koordinierungsstelle auch als Anlaufstelle für betroffene Mädchen und Frauen dienen soll oder lediglich „übergreifende strukturelle Aufgaben“ wahrnimmt. Die CDU-Fraktion im Kreistag stehe zweifelsohne hinter der Istanbul-Konvention, beteuerte Kreistagsmitglied Monika Grammel. Aber: Der Zweck der Konvention sei doch, Frauen vor Gewalt zu schützen durch Stärkung bestehender Strukturen, durch umfassende politische Maßnahmen auf politischer Ebene, durch Kooperation der Behörden. Dann doch besser die Frauenhäuser in Göttingen und Osterode und den Frauen-Notruf mit dem veranschlagten Geld unterstützen, so Grammel. „Diese Einrichtungen sind es, die die Konfession in die Tat umsetzen“, sagte sie. Ein bürokratische Stelle brauche es nicht, die Probleme nur verwalte. Enge Zusammenarbeit mit den Frauenhäusern notwendig: Kreistagsmitglied Eckhard Fascher (Die Linke) sieht das anders. Zur Umsetzung der Istanbul-Konvention brauche es eine Stelle, die eng mit den Frauenhäusern zusammenarbeite, argumentierte er. Außerdem liege ja auch gar kein Antrag der CDU vor, die Mittel umzuschichten. In der Europäischen Union hat ein Fünftel bis ein Viertel aller Frauen schon mindestens einmal im Leben physische Gewalt erlebt, heißt es auf der Internetseite von UN Women Deutschland. Darunter mehr als ein Zehntel aller Frauen auch sexualisierte Übergriffe. Meistens waren die Täter Männer aus dem direkten Umfeld der Betroffenen. Im Fokus der Istanbul-Konvention steht geschlechtsspezifische Gewalt, also jede Form von Gewalt, die sich entweder gegen Frauen richtet oder Frauen unverhältnismäßig stark trifft. Häufige Erscheinungsformen geschlechtsspezifischer Gewalt sind sexualisierte Belästigung, Vergewaltigung, Verstümmelung der weiblichen Genitalien, erzwungene Abtreibung, Sterilisation und Zwangsehen, psychische Gewalt. Geschlechtsbezogene Gewalt kommt in allen sozialen Schichten jeder Gesellschaft vor. Die Mehrheitsgruppe im Göttinger Kreistag aus SPD, Grünen und Freie Wähler sieht in der Umsetzung der Konvention im Landkreis Göttingen „erheblichen Handlungsbedarf“. Die Gleichstellungsbeauftragte könne diese Aufgabe mit ihren personellen und sächlichen Ressourcen nicht zusätzlich bewältigen, heißt es. Lesen Sie auch Gewalt gegen Frauen geht meistens vom Partner aus „Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, auf dem jetzigen Stand der Strukturen verharren zu wollen“, sagte Kreistagsmitglied Michael Bonder (SPD) in Richtung CDU. Es gehe hier schließlich um Gewalt gegen Mädchen und Frauen, hob er hervor. Die Mitglieder des Kreistages stimmten der Schaffung der Koordinierungsstelle mehrheitlich zu. Bei der Umsetzung steht nun die Kreisverwaltung in der Pflicht. Die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises soll nun gegebenenfalls gemeinsam mit dem Frauenbüro der Stadt Göttingen und in Kooperation mit Beratungseinrichtungen für Frauen sowie weiteren interessierten Fachleuten „die Aufgabenstellung präzisieren“, wie es im Antrag heißt. Von Ulrich Meinhard