MGV Liedertafel Nikolausberg steht nach 140 Jahren vor dem Aus

Die Mitglieder des Männergesangvereins Liedertafel Bergeshöh Nikolausberg sollen am 8. Februar durch Satzungsänderung die Auflösung des Vereins beschließen. Diese Entscheidung des Vorstands sei „unisono“ zustande gekommen, so Vorsitzender Thomas Wahle. Den Schlussstrich sollen sie am 8. Mai ziehen. Die personelle Schieflage des Chors macht das Aus notwendig, so Wahle. Gründe für fehlende Stimmen sieht der 60-Jährige in der „zunehmenden Individualisierung“ der Gesellschaft, der die Pflege des Vereinslebens abhanden komme, in der konkurrierenden Vielfalt der Freizeitgestaltung in der Stadt, im zunehmenden Alter der Sänger und – in der aussichtslosen Suche nach einem neuen Probenraum, da der Klosterkrug seit Sommer 2019 geschlossen ist. Die Besitzer wollen das denkmalgeschützte Gebäude verkaufen – dessen Zukunft sei offen, so Wahle. Nikolausberger Männergesangverein zählte zu den großen des Genre: Der 1879 von „sangesfreudigen“ Nikolausberger Handwerkern, Landwirten und Arbeitern gegründete Verein hat zu den Großen des Genre in der Region gezählt, sagt der Vorsitzende. Nach dem Bau des Senders und „der damit einhergehenden Bautätigkeit im Ort, besonders nach der Eingemeindung 1964, entwickelte sich die Mitgliederzahl des Vereins kontinuierlich nach oben“, schrieb Wahle 2012 über die jüngere Geschichte des Klubs. „Höhepunkt der neuen Chortätigkeit war im Frühjahr 1970 das Großkonzert in der Göttinger Stadthalle, wo mit dem Göttinger Symphonieorchester ,Das Lied von der Glocke’ aufgeführt wurde.“ Das nächste Highlight folgte 100 Jahre nach der Gründung: Die Liedertafel wurde vom Bundespräsidenten mit der Zelter-Plakette „für seine großen Verdienste um die erfolgreiche Pflege des Chorgesangs“ ausgezeichnet. In den 80er-Jahren hat der Chor im Zenit „seines musikalischen Schaffens“ gestanden, sagt Wahle. „Mehrere Konzerte in der Stadthalle mit Solisten und Orchestern und über 1000 Besuchern“, in der Waldorfschule, in Wohnstiften, in der örtlichen Klosterkirche und Auftritte während der Vereinsfahrten im Bonner Domizil eines Bundestagspräsidenten oder im Kanzleramt in Berlin zeugen vom Renommee der Formation. Das hatte „im Laienchorbereich nur der Göttinger Polizeichor geschafft“, sagt Wahle. „In der Spitze haben bis zu 54 Männer“ in den 80ern im Chor gesungen. Im Jahrzehnt davor hatte der Verein mehr als 90 Mitglieder – darunter 35 aktive. 36 Prozent aller Mitglieder und 48 Prozent der Sänger verloren: Als Wahle 2005 den Vorsitz übernahm, zählte der MGV „zu den größten im südniedersächsischen Raum“ – 50 waren es, aktuell singen 26 Männer im Chor, 132 Mitglieder fördern den Verein. Der hat seitdem„36 Prozent aller Mitglieder und 48 Prozent Sänger verloren“. Deshalb sei „eine sinkende musikalische Leistungsfähigkeit des Chores zu konstatieren“. Mit 60 Jahren zählt Wahle zu den Jüngsten im MGV, „die Hälfte ist älter als 70“. Die Stimmkraft lasse bei einigen nach, „die Fehlerquote“, also mangelnde Präsenz, liegt „bei 25 Prozent“. Verbleiben etwa 17, 18 Sänger, von denen vielleicht drei „vom Blatt singen können“, also nach Noten, die anderen nach Gehör – zu viele, sagt Wahle. Den Chor von vier- auf dreistimmigen Gesang zu reduzieren, wäre fast so, „als fehlen einem großen Orchester die Geigen. Jedes Lied müsste neu einstudiert werden“, habe der langjährige Chorleiter Frank Bodemeyer betont. Ein zu aufwendiges Verfahren. Gleiches gelte, wenn Frauen in den Chor aufgenommen würden. Eine Garantie für den Fortbestand bieten beide Möglichkeiten zudem nicht, so der Vorsitzende. „Diese Widerstände haben mich dazu bewogen, nicht mehr zu kandidieren. Da kein anderer bereit war, die Vereinsführung zu übernehmen, haben wir im Vorstand gesagt, es darf keinen Stillstand geben, der Chor kann nicht in der Schwebe bleiben.“ Auf keinen Fall wollen die Nikolausberger das Schicksal der Herberhäuser Sänger-Kollegen teilen, die ihren Verein aufrechterhalten, aber seit Jahren nicht mehr singen würden, so Wahle. Jahreshauptversammlung im Haus der Kirchengemeinde: In der Jahreshauptversammlung am 8. Februar im Haus der Kirchengemeinde Nikolausberg sollen Satzungsänderungen den Weg für die vorgesehene Auflösung während einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 8. Mai ebnen. Statt drei Viertel der Mitglieder (Wahle: „Die Zahl ist praktisch nicht zu erreichen“) sollen im Mai drei Viertel der abgegebenen Stimmen das Aus besiegeln. Die „letzten Vereinsaktivitäten“ kündigt Wahle für die Tage kurz vor der entscheidenden Sitzung an: Vom 1. bis 3. März wollen die Männer eine Chorfahrt an die Mosel unternehmen. Das ein oder andere Lied werden sie wohl noch zum Besten geben – quasi als vorgezogenen Abgesang und mentale Vorbereitung auf die Beendigung der 140-jährigen Vereins- und Chorgeschichte. Lesen Sie auch: Vorstand des MGV tritt 2015 zurück: Spagat zwischen Feuer und Asche. Die Jahreshauptversammlung des MGV Liedertafel Bergeshöh Nikolausberg am 8. Februar beginnt um 19 Uhr im Haus der Kirchengemeinde Nikolausberg (nicht im Hotel Beckmann, wie zuvor mitgeteilt). Im Mittelpunkt stehen die Entlastung des Vorstands, der bis zur Mitgliederversammlung am 8. Mai im Amt bleiben soll´ sowie Satzungsänderungen. Nach der Auflösung des Vereins soll dessen Sachvermögen veräußert werden. Unter anderem können Bürger Noten, ein elektronisches Klavier, eine Mikrofonanlage, Lautsprecher oder ein Notebook erwerben. Die Noten würden sicher in Hängeregistraturen in Stahlschränken aufbewahrt, so Wahle, beides stehe ebenfalls zum verkauf. Der vereinseigene Infoglaskasten sei bereits „vergeben“. Wer Interesse am Nachlass-Fundus des MGV hat, kann sich an den Vorsitzenden wenden – Kontakt: 01600/7990005. Das Geldvermögen des MGV soll im Ort bleiben, sagt Wahle, und an die Kirchengemeinde Nikolausberg überwiesen werden. Von Stefan Kirchhoff

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