Menschen mit und ohne Behinderung planen Wohnprojekt in Göttingen

Einen gemeinsamen Traum verfolgen Menschen mit und ohne Behinderung in Göttingen: Sie suchen nach einem Haus im Stadtgebiet, in dem sie zusammenleben und den Alltag meistern können. Einen festen Kern gibt es bereits. Einen eingetragenen Verein auch. Der nennt sich Inklusive Traum-WG. Federführend als „WG-Eltern“ sind der Vorsitzende Stefan Riemer, der selbst einziehen will, und die Krankenschwester Kathrin Lesemann (50). Das Konzept sieht vor, dass die Menschen ohne Behinderung mietfrei wohnen und ihren Mitbewohnern mit Handicap assistieren – bei der Alltags- und Freizeitgestaltung, Einkäufen, Kochdiensten, Erkrankungen, Arzt- und Behördengängen. Finanziert werden soll das über Eingliederungshilfe, persönliches Budget nach dem Teilhabegesetz und die Pflegekasse. Gemeinschaft mit acht Bewohnern: Die hygienische und medizinische Versorgung bleibe bei Fachkräften, sagt Riemer. Geplant sei eine Wohngemeinschaft mit vier Menschen ohne und vier mit Behinderung. Als neuntes Rad und „Kutscher“ der WG will sich Ergotherapeut Riemer gemeinsam mit Lesemann um Anträge, Unterstützung und Koordination kümmern. Erfahrungen mit Behinderten hat der gelernte Tischler bei den Göttinger Werkstätten gesammelt, dort auch mögliche Mitbewohner kennengelernt. Zum potenziellen Nukleus der Traum-WG gehören Carina Breustedt (28) und Philipp Vocke (31), die wegen Paresen auf den Rollstuhl angewiesen sind. Breustedt stammt aus Landwehrhagen und lebt zurzeit im Wohnheim der Göttinger Werkstätten in Dransfeld, Vocke stammt aus Nesselröden und lebt in Göttingen – im ambulant betreuten Wohnen der Werkstätten. Mit an Bord sind auch Annabelle Schunk (20) und Luisa Panten (21), die wie Anwärterin Theresa Koller (20) an der Forstwirtschaftlichen Fakultät der Göttinger Uni Molekulare Ökosystemwissenschaft studieren. Familiärer Charakter angestrebt: So abstrakt ihr Studiengang klingt, so greifbar sind ihre Erfahrungen im Sozialbereich. Schunk hat nach dem Abi an einer Schule für Heilpädagogik in Peru, Panten in einer Wohngruppe für Menschen mit Unterstützungsbedarf gearbeitet. „Die Zeit dort hat mich sehr geprägt, die Arbeit mich glücklich gemacht“, sagt Schunk. Noch einen direkteren und persönlichen Bezug zu Menschen mit Behinderung wünscht sich Panten und findet das Konzept der inklusiven WG spannend. Das gilt auch für Breustedt, die trotz Handicaps 100 Bahnen respektive 2,5 Kilometer in Rückenlage schwimmen kann, und für Vocke, der beim ASC Rollstuhl-Basketball spielt. Die inklusive WG solle Familiencharakter haben, sagt Riemer. Für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sei das Projekt nicht geeignet. Auch Schwerstbehinderte würden nicht ins Konzept passen. Die Bewohner sollten einer Arbeit nachgehen beziehungsweise eine feste Tagesstruktur haben: „Es muss ohne große Unterstützung und Betreuung von außen machbar sein.“ Auch Altersstruktur und Chemie müssen passen. „Die Vibes müssen stimmen“, sagt Lesemann. Haus mit Garten präferiert: Einkalkuliert ist eine gewisse Fluktuation, allein schon wegen der Studienzeiten von Mitbewohnern. Riemer und Legemann gehen von einem fließenden Übergang aus. „Bis zu drei Jahren sollten die jungen Leute schon dort wohnen, um eine Beziehung aufzubauen“, meint Riemer. Vieles werde sich noch finden und ergeben: „Wir wollen erst einmal als Verein bekannt werden und hoffen auf neue Impulse und Angebote für das geplante Quartier.“ Dabei sollte es sich schon um ein Haus mit Garten handeln – mit Busanbindung im Göttinger Stadtgebiet von Herberhausen bis Elliehausen: „Wir rechnen nicht damit, in der Kernstadt eine geeignete Immobilie zu finden.“ Auch Kauf oder Miete ist noch offen. Im Fall eines Kaufes wird ein KfW-Darlehn ins Auge gefasst – verbunden mit Überzeugungsarbeit, dass sich das Konzept finanziell langfristig trägt. Von acht Gründungs- auf inzwischen 20 Mitglieder angewachsen ist der Verein für eine inklusive WG in Göttingen. Mehrere Immobilien haben die Mitglieder bereits in Augenschein genommen, aber noch keine geeignete gefunden, auch Wohnungsgenossenschaften und wegen nicht mehr benötigter Kirchenimmobilien das Kirchenkreisamt kontaktiert. Das WG-Quartier sollte etwa zehn Zimmer, möglichst keine Durchgangszimmer, und barrierefreie Badezimmer haben. Für Umbaumaßnahmen vom Treppenlift bis Türverbreiterungen setzt der Verein auf Zuschüsse. Wer Interesse daran hat, sich auf das WG-Abenteuer einzulassen oder an den Vereinsaktivitäten teilzunehmen, kann via E-Mail stefanriemer1504 @gmail.com Kontakt aufnehmen. In diesem Jahr wollen die Vereinsmitglieder über kleinere Unternehmungen wie Kino- und Theaterbesuche hinaus unter anderem am Altstadtlauf, dem 24-Stunden-Schwimmen der DLRG im Freibad Brauweg und am Entenrennen teilnehmen. Lesen Sie auch: Inklusion in der Region Göttingen Aktionstag für Inklusion in Göttingen Göttinger Werkstätten ebnen Wege in den Arbeitsmarkt Masterarbeit über gemeinschaftliche Wohnprojekte Von Kuno Mahnkopf

Inklusive Wohngemeinschaft - Menschen mit und ohne Behinderung planen Wohnprojekt in Göttingen