Nach dem Lockdown-Beschluss: Göttinger Reaktionen aus Handel und Gastronomie

„Der Branche steht das Wasser nicht bis zum Hals. Es schwappt schon bis zum Nasenloch.“ So beschreibt der Göttinger Hotelier und Vorsitzende des Dehoga-Kreisverbandes Göttingen-Duderstadt, Olaf Feuerstein, die derzeitige Situation in seiner Branche, die an Geduld „kaum zu überbieten“ sei. „Es verlangt niemand, zu 100 Prozent wieder öffnen zu dürfen. Aber wir brauchen eine Perspektive“, sagt Feuerstein. So wie jetzt könne es nicht weitergehen. „Wir brauchen ein klares Ziel, eine zuverlässige Strategie. Kein Rumgeeiere“, sagt Feuerstein. Sonst, so fürchtet Feuerstein, mache sich der Frust breit, die Geduld gehe verloren – in seiner Branche, in der Bevölkerung. Nein, sagt Feuerstein, von der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe er sich nicht viel erhofft. Den letztlich abgelehnten Vorstoß Niedersachsens mit anderen Bundesländern, Bürgern Urlaub in Ferienwohnungen, Ferienhäusern, Appartements, Wohnwagen und Wohnmobilen im eigenen Land möglich zu machen, habe er, so Feuerstein, kritisch gesehen. „Entweder öffne ich alles oder nichts“, sagt er. In Maßen wäre das zu verantworten gewesen. Dass die Hygienekonzepte in Gastronomie und Hotellerie funktionierten, hätte die Branche beweisen, sagt Feuerstein. Nach Angaben der niedersächsischen Staatskanzlei seien in der Nacht zusätzliche Wirtschaftshilfen des Bundes für besonders belastete Branchen, die seit langem geschlossen sind, beschlossen worden. „Ich gehe davon aus, dass insbesondere auch Hotels und Gaststätten davon profitieren werden“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga forderte am Dienstag erneut finanzielle Hilfe für die Gastro-Branche und einen konkreten Fahrplan für die Wiedereröffnung. Bund und Länder hatten sich auf eine Verlängerung der derzeitigen Beschränkungen bis zum 18. April geeinigt. Feuerstein hält Tests für sinnvoll. Durch mehr Tests würden aber mehr Infektionen erkannt, die die Inzidenzwerte beeinflussten. Müssten dann nicht, so fragt Feuerstein, andere Werte für die Bewertung der Corona-Situation herangezogen werden? Er spricht sich zudem für einen Ausfuhrstopp von Impfstoffen aus, um so „eigene Lücken“ zu schließen. Generell empfindet Feuerstein die Suche nach geeigneten Maßnahmen, die Pandemie zu bekämpfen, und deren Umsetzung als „unangemessen langsam“. „Seit November kommen wir nicht voran“, sagt Feuerstein und führt die Test- und Impfstrategien und die Nutzung von digitalen Hilfsmitteln wie etwa die Luca-App für Mobiltelefone an. Dass mit dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz Gründonnerstag Lebensmittelgeschäfte schließen müssen, am Ostersonnabend aber wieder öffnen dürften, würde sich ihm „nicht sinnvoll“ erschließen. „Am Sonnabend stürmen dann alle wieder in die Supermärkte“, sagt Feuerstein. Mit einer durchgängigen fünftägigen Schließung hätte man durchaus leben können. „Tiefe Spuren bei den Händlern: Auch der Handelsverband sieht laut Alexander Grosse, Geschäftsführer der Wiederholdt GmbH und Vorsitzender des Einzelhandelsverbands Göttingen, die Schließung der Lebensmittelhändler am Gründonnerstag als „kontraproduktiv“. Das führe zu erhöhtem Kundenandrang am vorhergehenden Mittwoch und dem folgenden Sonnabend, prognostiziert Grosse. Das könne nicht im Sinne der Pandemiebekämpfung sein, meint er. Lesen Sie auch Kontaktregeln in Niedersachsen: Strenge Vorschriften an Ostern Urlaub zu Ostern in Niedersachsen: Weil scheitert mit Plänen Ostern 2021: Abgesagter Urlaub ist „absolute Katastrophe“ für Ferienhäuser und Campingplätze Stephan Weil schwört Bevölkerung auf harten Lockdown über Ostern ein Urlaub zu Ostern in Niedersachsen: Weil scheitert mit Plänen Dehoga: „Politik muss liefern“ - Gastro-Branche braucht erneut finanzielle Hilfe „Die seit fast 100 Tagen verordnete Zwangsschließung des Nicht-Lebensmittelhandels hinterlässt mittlerweile tiefe Spuren bei den Händlern“, sagt Grosse. Daher müsse die Politik endlich eine realistische Perspektive geben, fordert er. „Die Verantwortlichen müssen zurückfinden zu angemessenen und ausgewogenen Maßnahmen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Infektionsrisiken.“ Bund und Länder agierten nur noch im Tunnelmodus, fährt Grosse fort. Die alleinige Fixierung auf die Corona-Inzidenzwerte werde der komplexen Lage nicht gerecht. „Die Maßnahmen müssen sich an den wissenschaftlichen Fakten orientieren und die zeigen, dass die Infektionsgefahr beim Einkaufen niedrig ist“, fordert er. Auch der angekündigte Ausbau der Corona-Hilfen müsse jetzt zügig umgesetzt werde, fordert Grosse. Die derzeitige Überbrückungshilfe finde nach seiner Meinung „nach wie vor zu selten und zu langsam den Weg zu den notleidenden Unternehmen“. „Das ist bitter für den Handel“: „Die Perspektiven sind nicht da“, sagt Elisabeth von Alvensleben, Geschäftsführerin der Göttinger Händler-Interessengemeinschaft Pro City. Die Händler täten ihr leid. Für deren Enttäuschung über den kommenden Lockdown statt mehr Lockerungen habe sie vollstes Verständnis. „Das ist bitter für den Handel.“ Eine zuverlässige Planung sei gar nicht mehr möglich. Das gelte insbesondere auch für die Gastronomie, die sehr gebeutelt sei, sagt von Alvensleben. Ein wenig Hoffnung, so von Alvensleben, habe in der vergangenen Woche die Aussicht eines Modellprojektes gegeben, an dem sich Göttingen beteiligen wollte. Mit dieser Idee von Öffnungen kombiniert mit Schnelltests hatte sich Ministerpräsident Weil nach eigenen Angaben bei den Bund-Länder-Beratungen durchgesetzt. „Gleichzeitig soll im Rahmen von Modellvorhaben durch gezieltes Testen der Zugang zum Einzelhandel und zur Gastronomie, zu Kultur- und Sportveranstaltungen geöffnet werden.“ Durch aktuelle Negativtests könnten sichere Zonen geschaffen werden, in denen Menschen Angebote angstfrei wahrnehmen sollen. „Testungen helfen so, Freiheitsrechte wieder wahrzunehmen“, so Weil. Der Preis für all das sei der harte Oster-Lockdown. Entscheidend sei nun aber, was sich davon tatsächlich in der niedersächsischen Corona-Verordnung wiederfindet, sagt von Alvensleben. Sie selbst hält die in der Nacht zu Dienstag getroffenen Beschlüsse „grundsätzlich“ für richtig. Von Alvensleben sieht aber auch, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Experten sinkt. „Die Geduld und Toleranz der Menschen sind am Ende“, schildert sie ihre Beobachtungen. Die genaue Auslegung der Bund-Länder-Beschlüsse muss das Land Niedersachsen erarbeiten. Gelten soll die neue Verordnung voraussichtlich ab dem 29. März. Von Michael Brakemeier