Neue Corona-Regeln: Einzelhandel in Göttingen reagiert zurückhaltend

Schärfere Anti-Corona-Maßnahmen im Dezember, dann Lockerungen über Weihnachten: Auf diese Linie haben sich Bund und Länder nach zähem Ringen verständigt. Für den Einzelhandel in Göttingen und der Region bedeutet das eine Verschärfung des Teil-Lockdowns: Die Zahl der Kunden in Geschäften soll verringert, die Maskenpflicht ausgeweitet werden. Und Kneipen, Restaurants sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen bleiben weiterhin geschlossen. Entsprechend kritisch fallen die Reaktionen aus. „Es ist ein Kompromiss, mit dem die Göttinger Händler durch das Weihnachtsgeschäft kommen können“, sagt Alexander Grosse. Der Vorsitzende des Kreisverbandes Göttingen im Handelsverband Hannover kritisiert allein die Regelungen für Geschäfte mit einer Fläche von mehr als 800 Quadratmetern. Die Verordnung sieht vor, dass sich in Geschäften mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern höchstens eine Person je 10 Quadratmeter Verkaufsfläche aufhalten soll. Bei Geschäften, die größer sind, darf auf die zusätzliche Fläche dann höchstens eine Person pro 20 Quadratmeter Verkaufsfläche hinzukommen. „Das ist wenig produktiv“, sagt Grosse. Grosse: „Händlerschaft hofft auf ein Weihnachtsgeschäft auf Vorjahresniveau“: Dabei betont der zweifache Familienvater, wie außerordentlich wichtig das Weihnachtsgeschäft für den Handel ist: „Hier werden je nach Branche zwischen 15 und 25 Prozent des Jahresumsatzes generiert. Das ist für viele Händler existenziell.“ Grosse ist selbst Einzelhändler. Er führt als Geschäftsführer das Schreibwarengeschäft Wiederholdt in Göttingens Innenstadt. Lesen Sie auch: Schule, Finanzhilfen, Weihnachten: Das sind die neuen Corona-Regeln Ministerpräsident Stephan Weil: Niedersachsen wird Bund-Länder-Beschlüsse alle umsetzen Region Göttingen: Einzelhandel stemmt sich gegen Online-Riesen Corona-Lockdown ab November? So reagieren Betroffene aus Göttingen und Region Nach Absage von Weihnachtstreff: Einzelhandel in Duderstadt reagiert Advents-Shuttle in Göttingen: Busse fahren vom Schützenplatz in Stadt Corona-Krise: Diese Läden schließen in der Göttinger City Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft blickt Grosse zuversichtlich auf die Umsätze: „Die Händlerschaft hofft auf ein Weihnachtsgeschäft auf Vorjahresniveau. Alle Statistiken gehen von einem höheren Durchschnittswert der Weihnachtsgeschenke in diesem Jahr aus, dies könnte eventuell die niedrigere Kundenfrequenz kompensieren.“ Duderstadt: Vorteil der kleinen Stadt: „Der Vorteil in Duderstadt ist, dass die Geschäfte zum Großteil nicht so groß sind“, sagt Augenoptikermeister David Gerlach. Die Beschränkungen durch die 20-Quadratmeter-Regelung seien enorm. „Meine Sorge ist, dass die Regelungen gerade in großen Städten dem Online-Handel in die Karten spielen.“ Denn gerade in der kalten Jahreszeit sei es nicht schön, wenn die Kunden vor dem Geschäft warten müssen, frieren und vielleicht dadurch krank werden. Der Vorteil kleiner Städte wie Duderstadt sei, dass man kurze Wege von den Parkplätzen zu den Geschäften habe. „Man muss nicht lange durch die Stadt laufen und kann die Sachen gleich mitnehmen.“ Der Handel müsse deshalb alles tun, dass die Kunden in die Stadt kommen. Das reiche von der Einhaltung der Hygienevorschriften bis zur Betreuung der Kunden. „Unsere Händler sind bereit, sich lange mit dem Kunden zu beschäftigen.“ Die Beratung in den Fachgeschäften sei ein Pluspunkt gegenüber dem Online-Handel. Trotz Corona-Welle: „Es geht nach oben!“: Stephan Vogt leitet den Expert Herfag Elektrofachmarkt im Göttinger „Kauf Park“. Mit einer Verkaufsfläche von 2200 Quadratmetern liegt das Geschäft deutlich über der 800-Quadratmeter-Marke. Sorgen macht sich Vogt wegen der neuen Kundenbegrenzungen aber nicht: „Bis 110 Personen wären bei uns gleichzeitig erlaubt, zieht man das Personal ab, bleiben 100 Kunden übrig, die gleichzeitig da sein dürften. Aber selbst zu Stoßzeiten haben wir meist nur um die 50 Kunden gleichzeitig da.“ Zwar merke man im „Kauf Park“ insgesamt, dass die Einschränkungen in der Gastronomie sich hinsichtlich des Ausbleibens von Stammkunden oder auch in Bezug auf die Verweildauer im Einkaufszentrum auswirkten, aber die Entwicklung sei derzeit positiv: „Das Center holt auf und wird wieder besser angenommen. Es geht nach oben!“, berichtet Vogt. Einkaufen zur richtigen Tageszeit: Die positive Entwicklung ist ein Grund dafür, dass bei Expert selbst die Öffnungszeiten wieder ausgeweitet werden: Ab Freitag, 27. November, ist das Geschäft von 9 bis 20 Uhr geöffnet und nicht mehr nur von 10 bis 19 Uhr. „Da die Frequenz anzieht, ist es auch gut, wenn wir das Kundenaufkommen entzerren“, erklärt Vogt auch einen Sicherheitsaspekt hierzu. Mit Blick auf die jetzt beginnende, erwartet verkaufsstarke Zeit mit „Black Week“, „Black Friday“ und Weihnachten sagt Vogt: „Wir freuen uns auf ein tolles Geschäft.“ Sicherheitsbedenken bräuchten Kunden nicht zu haben. Sie könnten sich selbst die Hände desinfizieren, seine Mitarbeiter würden alle Hygieneregeln sorgfältig beachten und beispielsweise auch Ware desinfizieren. Die Akzeptanz der Mund-Nase-Masken erlebe er im Markt als sehr hoch. „Bei uns kann man wunderbar einkaufen“, betont Vogt und gibt abschließend noch einen Tipp: Zwischen 14 und 17 Uhr sei das Kundenaufkommen üblicherweise besonders gering und somit Einkaufen mit besonders viel Abstand möglich. Im Einzelhandel gibt es Gewinner und Verlierer der Krise: Susanne Heller, Vorsitzende des Fördervereins Pro City und Inhaberin von Betten Heller in Göttingen, sagt zu den neuen Corona-Regeln: „Die Maßnahmen kommen nicht überraschend und Gesundheit hat mittel- und langfristig natürlich Priorität.“ Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Innenstadt sieht sie insgesamt mit Besorgnis. Insbesondere dadurch, dass die Gastronomie stark eingeschränkt sei, fehle vielen potenziellen Innenstadtbesuchern der Erlebnischarakter und die soziale Komponente eines Stadtbummels. Hellers Fazit: „Es ist viel leerer als sonst zu dieser Jahreszeit.“ Wie gut die einzelnen Händler durch die Krise kämen, hänge indes stark von den angebotenen Produkten ab. „Insbesondere die Anbieter von Kleidung und Schuhen leiden. Mit Feiern, Messen und vielen anderen größeren Events fallen auch die Anlässe weg, zu denen sich sonst viele neue Kleidung besorgen.“ Deutlich besser durch die Krise kämen Geschäfte, die Waren für die Einrichtung im Homeoffice oder für ein schönes Zuhause anbieten, teilweise stünden die Händler solcher Waren sogar besser da als in anderen Jahren. „Es gibt Gewinner und Verlierer“, fasst Heller zusammen. Geschäfte in Göttingen gehen in Corona-Krise neue Wege: Dass die größere Beschränkung der Kundenzahl ab einer Ladenfläche von 800 Quadratmetern eine große Auswirkung auf den Einzelhandel in Göttingen und Umgebung haben wird, zieht Heller vorsichtig in Zweifel. Heller selbst betreibt zwei Filialen, eine hat 200, die andere 460 Quadratmeter. Bis zu 46 Personen dürften sich dort weiter gleichzeitig aufhalten. Für Heller mehr als ausreichend: „Wir kommen nicht auf 20 Kunden gleichzeitig.“ Insgesamt habe der Handel aus Ihrer Sicht die Herausforderungen rund um Corona aktiv angenommen. Fotos der Waren per Whatsapp, Verkaufsberatung per Handy und „Facetime“, verlängerte Umtauschzeiten oder Kleidung, die nach Hause geliefert wird, seien Beispiele hierfür. Bei Betten Heller selbst sei es derzeit möglich, außerhalb der allgemeinen Öffnungszeiten persönliche Beratungstermine zu verabreden oder Ware telefonisch zu bestellen und noch am gleichen Tag nach Hause geliefert zu bekommen. Dennoch hofft Heller auf viele Weihnachtseinkäufer in der Innenstadt. Mit der inzwischen angebrachten Weihnachtsdekoration und winterlicher Dekoration in vielen Geschäften sei die passende Atmosphäre bereits entstanden. Auf dem Land läuft es besser als in der Stadt: Alfred Wüstefeld, der unter anderem in Göttingen, Duderstadt und Friedland Edeka-Märkte und Backshops betreibt, ergänzt als Lebensmittelhändler seinen Blick auf das Thema. Zunächst teilt er die Einschätzung von Susanne Heller. Auch mit seinen Märkten komme er nicht über die 800-Quadratmeter-Grenze und in dem 750-Quadratmeter-Markt in Friedland mit dazugehörigem Getränkemarkt wäre er froh, wenn dort 75 Kunden gleichzeitig einkaufen würden. Insgesamt habe er aber derzeit wenig auszustehen. „Die Leute bleiben zu Hause und gehen in die Lebensmittelläden.“ Wüstefeld, der unter anderem in seinem Friedländer Einkaufszentrum die coronabedingte Möglichkeit der Sonntagsöffnung nutzte, erwähnt bezogen auf seine Geschäfte sogar ein Umsatzplus von acht Prozent und beschreibt gleichzeitig eine deutlich unterschiedliche Entwicklung bezogen auf Stadt und Land. Während beispielsweise sein Backshop „Bäckerei Wüstefeld“ im Herzen der Göttinger Innenstadt derzeit deutlich weniger Umsatz mache, würden Filialen auf dem Land dies aufgrund des Umsatzzuwachses gut ausgleichen. Von Steffen Kahl, Rüdiger Franke und Mark Bambey