Neuntes Inklusives Theaterfestival in Göttingen Schauspieler mit Behinderung

Zum neunten Mal hat Tobias Wojcik das inklusive Theaterfestival initiiert, bei dem am Sonnabend Menschen mit und ohne Behinderung im Rampenlicht standen. Wie auch in den vorigen Jahren besuchten viele Gäste das Festival: Bis auf zwei waren alle Sitzplätze in dem Gemeindesaal der Evangelisch-Reformierten Kirche besetzt. Ein Besuch lohnte sich für all diejenigen, die vermuteten, eingeschränkte Menschen besäßen keinen Humor. Drei Theatergruppen brachten die Zuschauer mit satirischen und provokanten Sprüchen dazu, herzhaft zu lachen – was wiederum die Schauspieler strahlen ließ: Darsteller und Publikum glucksten und gackerten gemeinsam. Gleichzeitig, ohne die Stimmung zu trüben, zog sich Gesellschaftskritik durch die Texte der selbst erarbeiteten Kurzstücke. Insbesondere der Göttinger Verein „Selbsthilfe Körperbehinderter“ förderte das Festival. Die Jungen Eriks: Die erste Gruppe, die an diesem Sonnabend auftritt, nennt sich „Die jungen Eriks“. Ihr Stück heißt „Wir melden uns zu Wort“. Gemeinsam mit dem Freien Theater „Boat People Project“ konzipierte Wojcik die Nummer. Sie handelt von einer Wohngemeinschaft, in der unterschiedliche Charaktere zusammen leben. Sie sind sich uneinig bei der Frage, wie man leben sollte und was wichtig im Leben ist. Des Öfteren streiten sie, doch manchmal verschlägt es sie gemeinsam in eine Traumwelt. In diesen skurrilen Träumen tauchen Politiker auf, und so findet sich auch hier Kritik an Klima, Krisen und Kapital. „Jetzt wird’s uns zu bunt!“: Die Gruppe „Schmetterlingseffekt“ gehört dem Verein „Selbsthilfe Körperbeinderter“ an und bespaßt das Publikum als nächstes. Abwechslungsreiche Szenen führt die Gruppe auf – diese spielen in Vergangenheit, Gegenwart und einer fiktiven Zukunft. Die Sketche verweisen auf geschichtliche Ereignisse und Politiker. So tritt Jens Spahn im Jahre 2044 auf und verkündet, er wolle die erste Translerin werden – als transsexuelle Kanzlerin könne er noch besser die Menschen am Rande der Gesellschaft erreichen. „Ah, sie sind ein Diktator, äh Reformator“, fasst der Moderator zusammen. Altbundeskanzler Helmut Kohl (1930-2017) liest im Jahr 1985 aus seinem (tatsächlich existierenden) Buch vor – und spricht über Libido und erogene Zonen der Frau. Außerdem werden Alltagssituationen thematisiert, bei denen Personen im Rollstuhl zu hadern haben: Eine Frau besucht einen Wissenschaftler und verkündet, sie wolle im Rollstuhl fliegen lernen. Ob er ihr dabei helfen könne? „Ich tue mich schwer mit der Barrierefreiheit“, erklärt sie. In einer anderen Szene wird ein Gedrängel an der Supermarktkasse nachgestellt – die Menschen sind in Eile und hören die zahlreichen Rufe der Frau im Rollstuhl nicht: „Können Sie mir bitte beim Einpacken helfen?“ Die Schauspieler sorgen mit einer neuen Version der Deutschland-Hymne „Über alles steht das Geld“ und dem selbst geschriebenen Rap „Weck mich aus dem grünen Albtraum“ für musikalische Einlagen. So präsentieren sie sich als Nazis, Kapitalisten – und als Satiriker. Boing! „The Simples“ stehen als letzte Gruppe auf der Bühne und imitieren „The Simpsons“ – die gelbe Cartoonfamilie aus Amerika. Mit Sprüchen, die teilweise aus der Zeichentrickserie stammen, ahmen sie die Fernsehhelden nach. Homer wird in der Fiktion arbeitslos, da das Atomkraftwerk schließt. Er trifft auf einer Abenteuerreise gemeinsam mit seiner Familie auf Viktor Orlan, Theresa May und FKK – Frau Krank Karrenbauer. Doch auch sie können die Klimakatastrophe nicht verhindern, die am Ende des Stücks durch die Nachahmung des Titanic-Liedes „Die Welt vergeht, jetzt ist es zu spät“ angekündigt wird. Von Anja Semonjek

Drei Kurzstücke - Inklusives Theaterfestival: Satirische Kritik an Klima, Krisen und Kapital