Post an Verstorbene: Göttinger Bundestagsabgeordnete äußern sich zum Vorfall

Es kommt tagtäglich vor, dass verstorbene Menschen Post erhalten. Wer mit seiner Adresse bekannt ist, erhält fortlaufend Infoschreiben, etwa von Händlern. Wenn allerdings eine Behörde der Absender ist, erscheint ein solcher Fall als besonders peinlich. So hat es Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ein Malheur genannt, als jetzt eine nicht genau bekannte Anzahl verstorbener Personen Post vom Landessozialministerium erhielt. Inhalt des Schreibens waren Infos zum Corona-Impfstart für Über-80-Jährige. Um schnell zu sein, hatte das Landesministerium mit dem Verschicken der Briefe die Deutsche Post als Dienstleister beauftragt. Aus Datenschutzgründen darf die Post aber nicht auf die Melderegister der Kommunen zugreifen. So kam es dazu, dass auch mehrere bereits verstorbene Menschen angeschrieben worden sind. Einer von ihnen war laut „Bild“ der Vater des Göttinger Polizeipräsidenten Uwe Lührig, Willi Lührig, der im November 2020 verstorben ist. In dem Bericht ist von Corona-Chaos am Beispiel einer Familie die Rede. Lührigs Mutter Irmgard habe überhaupt keine Post erhalten, obwohl sie 87 Jahre alt ist. Sollten also künftig besser Kommunen mit dem Verschicken solcher Schreiben beauftragt werden, auch wenn die Aktion dann länger dauert? Wären einige Kommunen vielleicht überfordert? Oder sollte in einem solchen Fall der Datenschutz hintenan gestellt und einem beauftragten Dienstleister Zugriff auf die Melderegister gewährt werden? Die drei Göttinger Bundestagsabgordneten Jürgen Trittin (Grüne), Fritz Güntzler (CDU) und Konstantin Kuhle (FDP) äußern dazu ihre Meinungen. Jürgen Trittin: „Die ganze Diskussion ist völlig absurd und nicht mehr nachvollziehbar. Um die Über-80-Jährigen zu informieren, wird auf die unvollständigen Daten eines Paketdienstes zurückgegriffen, mit den erwartbaren Folgen. Es werden teilweise Impfberechtigte nicht erreicht, aber auch, wie leider passiert, schon Verstorbene oder jüngere Personen informiert. Es ist fraglich, ob eine Information über die Kommunen wirklich so viel länger gedauert hätte, auf jeden Fall wäre die Versendung verlässlicher. Privatunternehmen oder auch Parteien dagegen können von Kommunen alle freigegebenen Meldedaten der kommunalen Melderegister erwerben, um gezielt nach Altersgruppen Werbung zu verschicken. Ich verstehe nicht, warum dieser Weg hier nicht gewählt wurde. Ich denke nicht, dass einige Kommunen überfordert wären. Es ist zwar eine zusätzliche Aufgabe, aber manche Landkreise oder Städte hatten das freiwillig angeboten. Die Infrastruktur dafür, zum Beispiel kommunale Rechenzentren, müssten die Landkreise und Städte haben, da sie die Daten auch für ihre Gesundheitsämter vorliegen haben müssten. Vielleicht sollte sich die Landesregierung in Hannover auch bei anderen Bundesländern umschauen. Dort sind die Kommunen teilweise dazu verpflichtet, die Betroffenen zum Impf-Prozedere zu informieren. Ich sehe da gar nicht die Notwendigkeit. Seit Monaten warten gerade viele ältere Menschen auf das Impfen. Die Kommunen haben die Impfzentren aufgebaut und frühzeitig eröffnet. Es war reichlich Zeit für die Landesregierung zu klären, wie eine verlässliche flächendeckende Information an die Bevölkerung zum Impfen sichergestellt werden kann. Es scheint, als seien die Verantwortlichen mit der Corona-Pandemie gerade überfordert, wie auch in anderen Bereichen, wie Schulen.“ Fritz Güntzler: „Die Corona-Pandemie stellt uns alle vor große Herausforderungen. Die Impfkampagne läuft nun auch in Deutschland. Personen, die in der ersten Phase der Impfkampagne stehen, insbesondere die Über-80-Jährigen, warten auf Informationen zur Impfung. Die Impfhotline des Landes verzeichnet bis jetzt schon über 100.000 Anrufe. Daran sieht man, wie hoch der Informationsbedarf ist. Ich war von Anfang an skeptisch, dass die Informationskampagne vom Sozialministerium durchgeführt wird. Die Städte und Gemeinden können das viel besser. Die Impfzentren liegen ja schließlich auch in deren Verantwortung. Die Kommunen hätten schnellstmöglich die Informationen an die richtigen Adressaten weitergeleitet. Dies ist ja eine ihrer zentralen Aufgaben und in Zeiten der Digitalisierung auch nicht mehr so kompliziert. Warum das Ministerium also den Weg über einen Dienstleister gewählt hat, erschließt sich mir nach wie vor nicht. Ein Desaster mit Ansage. Alle Warnungen der kommunalen Spitzenverbände wurden in den Wind geschlagen. Ich kann in keinster Weise verstehen, dass man für solch einen wichtigen Brief, auf den die Bürgerinnen und Bürger ja warten, einen Dienstleister beauftragt. Und das auch noch sehr gut bezahlt. Es sind sogar Menschen angeschrieben worden, die bereits seit mehr als 25 Jahren verstorben sind. Das ist einfach nur beschämend. Mein eigener Schwiegervater, der in diesen Tagen 98 Jahre alt wird, hat im Übrigen bislang noch keinen Brief erhalten, so wie viele andere auch nicht. Und über die Probleme bei der Vergabe der Impftermine will ich jetzt mal gar nicht reden. Ministerin Reimann muss jetzt endlich mal handeln. Eine Weitergabe von Daten wäre möglich gewesen. Dies hat die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen, Barbara Thiel, klargestellt. Denn eine Weitergabe an Dritte ist unter engen Voraussetzungen möglich. Leider hatte sich das Sozialministerium hier nicht im Vorhinein erkundigt, sondern hat in Kauf genommen, dass nicht alle Betroffenen vom Schreiben erreicht werden. Von einem Ministerium erwarte ich eigentlich eine andere Arbeitsweise. Für die Versendung könnte das Ministerium hier auch einen privaten Dienstleister einsetzen. Sofern dieser Dienstleister mit personenbezogenen Daten in Berührung kommt, wäre der Abschluss eines Auftragsverarbeitungsvertrages erforderlich.“ Konstantin Kuhle: „Die Impfung ist der wesentliche Schritt zur Bewältigung der Corona-Pandemie. In den letzten Wochen und Monaten sind insbesondere bei den besonders gefährdeten Gruppen enorme Hoffnungen und Erwartungen geweckt worden. Aktuell wird die Organisation der Impfungen in Deutschland und Niedersachsen diesen Hoffnungen nicht gerecht. Dass Briefe an bereits verstorbene Bürgerinnen und Bürger versendet werden, ist ein Fehler, der sich in die vielen Pannen des holprigen Impfstarts einreiht. Vor allem für die Angehörigen können solche Schreiben sehr verletzend sein.“ Es wäre besser gewesen, wenn die Landesregierung mit den Kommunen zusammengearbeitet hätte, anstatt sich auf die unvollständigen Adressdaten der Deutschen Post zu verlassen. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Landesregierung in Niedersachsen die Kommunen nicht von Anfang an besser eingebunden hat, zumal ja auch der Städte- und Gemeindebund schon im Vorfeld für ein Einbinden der Kommunen geworben hatte. Aus diesem Grund wären die Kommunen auch nicht überfordert mit einer solchen Aufgabe – schließlich schreiben sie alle noch in diesem Jahr die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger zur Kommunal- und Bundestagswahl an. Allzu oft wird der Datenschutz vorgeschoben, wenn das Verwaltungshandeln bloß schlecht organisiert ist. Es muss möglich sein, eine bestimmte Altersgruppe mit Informationen zur Impfung anzuschreiben. Wer das nicht organisiert bekommt, braucht sich über mangelnde Impfbereitschaft nicht zu wundern.“ Das Land Niedersachsen geht von einem durchwachsenen Start der Terminvergabe für Corona-Impfungen am Donnerstag, 28. Januar, aus. Eine Hotline solle wie geplant zusammen mit einem Online-Portal ab acht Uhr morgens freigeschaltet werden, sagte der Leiter des Corona-Krisenstabs Heiger Scholz am Dienstag in Hannover. „Aber wir müssen davon ausgehen, dass diese Hotline am Anfang überlastet sein wird.“ Die Software der Online-Terminvergabe werde aktuell „gehärtet“, um eine große Zahl von Zugriffen verarbeiten zu können und sicher gegen Angriffe zu sein. Zum Start sind zunächst Über-80-Jährige berechtigt, einen Termin in einem Impfzentrum anzufordern. Allerdings könne selbst für diesen überschaubaren Personenkreis zunächst die Nachfrage nicht abgedeckt werden, kündigte Scholz an. „Die allermeisten Anrufer werden nur auf die Warteliste gesetzt werden können.“ In der ersten Februarwoche stünden in Niedersachsen rund 31.500 Impfdosen zur Verfügung. Die Hälfte davon werde jedoch noch zu Impfungen in Alten- und Pflegeheimen benötigt. Grundsätzlich solle es möglich sein, landesweit Termine zu vereinbaren. Die Impfzentren seien angehalten, stets für rund zwei Wochen Termine vorauszuplanen. Angesichts der knappen Impfdosen werde aber voraussichtlich nicht jedes Impfzentrum am 1. Februar seine Arbeit aufnehmen, sagte Scholz. Die drei Impfzentren im Landkreis Göttingen gehören zu den Zentren, die ihre Arbeit noch nicht ab dem 1. Februar aufnehmen können. Wie die Stadt Göttingen mitteilte, sei zwar am Montag, 25. Januar, eine Lieferung im Impfzentrum Siekhöhe angekommen, mit der allerdings nur die Zweitimpfung begonnen werden könne. Weitere Impfstoffe seien nach Ankündigung durch das Land Niedersachsen frühestens ab Anfang der 6. Kalenderwoche zu erwarten, sodass das Impfzentrum Siekhöhe nicht wie vorgesehen zum 1. Februar 2021 starten könne. „Die Impfzentren des Landkreises in den Sporthallen der OBS Herzberg und der BBS II Göttingen sind bereit. Im Moment sind sie die logistische und organisatorische Basis für die mobilen Teams, die in Alten- und Pflegeheimen Impfungen anbieten. Das Impfangebot in den Einrichtungen hat derzeit Priorität“, teilte Ulrich Lottmann mit. Wie der Pressesprecher der Kreisverwaltung Göttingen weiter ausführte, stehe allerdings noch nicht fest, wann in den Impfzentren selbst die Impfungen beginnen und entsprechend Termine vereinbart werden könnten. „Der Krisenstab des Landkreises geht im Moment davon aus, dass dies im Februar der Fall sein wird. Nimmt man den bisherigen Rhythmus der Impfstoff-Lieferungen an den Landkreis als Grundlage, beginnen die Impfungen in den Impfzentren möglicherweise in der Woche ab dem 8. Februar“, sagte Lottmann. Einen Termin könnten zunächst Personen mit höchster Priorität vereinbaren, also vor allem Menschen im Alter ab 80 Jahren. Die Terminvereinbarung wird zentral über das Land gesteuert über die Hotline 0800 998 86 65. (epd/bam) Von Ulrich Meinhard