Schieflage beim Straßenmagazin Tagessatz Göttingen Mitarbeiter soll 50.000 Euro veruntreut haben, Rettung kommt vom Asphalt-Magazin aus hannover

Neuanfang für die Straßenzeitung „Tagessatz“ aus Göttingen und Kassel: Seit Donnerstag erscheinen die redaktionellen Inhalte aus beiden Städten als eigene Regionalausgabe des Asphalt-Magazins aus Hannover. Der Tagessatz als eigenständige Straßenzeitung für Göttingen und Kassel ist damit nach 25 Jahren eingestellt. „Finanzielle Turbulenzen“ im Trägerverein des Tagessatzes nennt Asphalt-Geschäftsführer Georg Rinke als einen der Gründe für die nötige Rettungsaktion aus der Landeshauptstadt. Hinter den „Turbulenzen“ verbirgt sich die Veruntreuung von rund 50.000 Euro aus Kasse und Geschäftskonto des Vereins durch einen Mitarbeiter aus Kassel in den Jahren 2017 bis 2019. Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt: Dem Mitarbeiter wird nun Untreue in mehreren Fällen vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt in dem Fall. „Im Laufe dieser Woche haben die Ermittlungsbehörden die Wohnung des Beschuldigten durchsucht und unter anderem seine private EDV sichergestellt. Die Ermittlungen dauern noch an“, sagte Andreas Thöne, Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel. Ute Kahle, zweite Vorsitzende des Vereins, will den Vorgang, mit dem die Staatsanwaltschaft Kassel in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit ging, nicht kommentieren. Sie verweist auf das laufende Verfahren. Rettung aus Hannover: Kahle führt aber „mehrere Todesfälle Umzüge und Veränderungen im Lebensplan“ bei wichtigen Stützen des Vereins als weitere Gründe für die Schieflage beim Tagessatz an, die eine Rettung durch das Asphalt-Magazin nötig gemacht hätten. Hinzukommt, dass das „Ehrenamt weggebrochen“ ist, sagt Kahle. Hier neue Helfer zu finden, sei schwer. Rinke ergänzt: „Der Tagessatz ist auf ehrenamtlicher Basis nur noch schwierig zu betreiben.“ Bereits Ende 2019 sei es ernst geworden, sagt Rinke. Die Mitglieder des Vereins Tagessatzes stimmten dann Anfang Februar für die Rettungsmission durch Asphalt. Ihm sei es darum gegangen, die 50 Verkaufsplätze von Armen und Obdachlosen in Kassel und Göttingen zu erhalten, betont Rinke. Und weiter: „Auch wenn dies, da die finalen Entscheidungen erst kurzfristig getroffen werden konnten, sehr ambitioniert war, haben wir gesagt, das machen wir.“ Hilfe für 50 Straßenverkäufer: Für 50 arme und obdachlose Menschen in Göttingen und Kassel bedeutete der Verkauf des Tagessatzes Hilfe zur Selbsthilfe, Tagesstruktur, Kommunikation mit Käufer und Wertschätzung. Und natürlich einen Zuverdienst durch die Einnahmen pro verkauften Heft. 50 Prozent des Verkaufspreises von 2,50 Euro bleiben direkt bei den Verkäufern. Der Verkauf von Straßenmagazinen sei eine Arbeit, „die honoriert werden muss“, fordert Alfred Bulmahn vom Verein Hannoversche Initiative obdachloser Bürger (Hiob), der mit dem Diakonischen Werk Hannover Gesellschafter des Asphalt-Magazins ist. 5000 Exemplare pro Monat: Einer der Verkäufer ist Stefan Marx. Schon „seit einiger Zeit“ verkaufe er den Tagessatz in Göttingen. „Ich bin froh über den Neuanfang“, sagt er. Er sei optimistisch, dass der gelingt. Und auch Kahle blickt nach vorne: „Wir schaffen das“, sagt sie. Bislang seien vom Tagessatz Monat für Monat rund 5000 Exemplare verkauft worden. Rinke konstatiert für das Asphalt-Magazin eine leicht rückläufige Auflage. Um den Neuanfang zu schaffen, sucht Kahle weiterhin ehrenamtliche Helfer. Interessierte können sich unter Telefon 0551 / 5311462 melden. Seit 1994 gibt es in Hannover das Straßen-Magazin, das von armen und obdachlosen Menschen in der Landeshauptstadt verkauft wird. 2015 ging zudem eine Nordwest-Ausgabe an den Start. Einige der Seiten der beiden Ausgaben seien identisch, manche Teile aber sind als regionale Seiten ganz unterschiedlich, erklärt Redaktionsleiter Volker Macke. „Mit der März-Ausgabe erscheint nun auch Asphalt-Tagessatz nach diesem Prinzip: andere Veranstaltungstipps, andere Szenenachrichten, andere Lokalgeschichten, anderer Titel. Neben Asphalt, Asphalt-Nordwest nun also quasi Asphalt-Süd“, sagt Macke. Derzeit gibt es 95 aktive Verkäufer in Hannover und 65 in Niedersachsen. Hinzukommen künftig 50 Verkäufer in Göttingen und Kassel für die Tagessatz-Ausgaben. Seit 1994 waren mehr als 3000 Asphalt-Verkäufer für das Magazin unterwegs. Bis Dezember 2018 hatte das Magazin knapp sechs Millionen Exemplare verkauft. 32 Prozent der Asphalt-Einnahmen stammen nach eigenen Angaben aus dem Magazinverkauf, knapp 60 Prozent aus Spenden. Knapp 60 Prozent der Asphalt-Leser haben einen Hochschulabschluss oder mindestens Abitur. Die neue Redaktion besteht aus fünf Mitgliedern, unter der Leitung des ehemaligen HAZ-Redakteurs Macke. Asphalt-Gesellschafter sind das Diakonische Werk Hannover und die Hannoversche Initiative obdachloser Bürger. Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Von Michael Brakemeier

Staatsanwaltschaft ermittelt - Tagessatz: Mitarbeiter soll 50.000 Euro veruntreut haben – Rettung vom Asphalt-Magazin