Schneidezahn weg - was tun? Göttinger Experten geben Tipps

Ungefähr jedes zweite Kind oder jeder zweite Jugendliche erleidet vor dem Ende der Schulzeit einen Zahnunfall. Dabei sind die häufigsten Ursachen für ein Zahntrauma Stürze, Verkehrsunfälle sowie diverse Sportarten – wie beispielsweise Fußball, Mountainbiking oder Skateboarding. In mehr als 90 Prozent der Fälle sind die Oberkiefer-Schneidezähne und nur zu ungefähr zehn Prozent die unteren Schneidezähne betroffen. Die Schäden an den Zähnen reichen von sichtbaren Frakturen an den Zahnkronen über nicht sichtbare Wurzelfrakturen bis zum vollständigen Zahnverlust. Aber auch wenn zunächst keine offensichtlichen Schäden an der Zahnkrone zu erkennen sind, können langfristig noch erhebliche Probleme auftreten, die zum vollständigen Verlust des traumatisierten Zahnes führen können. Welche Arten des Zahntraumas gibt es? Grundsätzlich sind zwei Verletzungsarten zu unterscheiden: Zahnhartsubstanzfrakturen und Verletzungen des Zahnhalteapparates. Bei den Zahnfrakturen sind Schmelz und Dentin, häufig auch mit Beteiligung des Zahnnerven, in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Lesen Sie auch: Alternative zum Rauchen? Auch Dampfen verursacht Entzündungen im Mund Verletzungen des Zahnhalteapparates sind durch eine Lockerung und/oder Stellungsveränderung des Zahnes gekennzeichnet. Im schlimmsten Fall ist der Zahn dabei vollständig aus seinem Zahnfach herausgelöst. Neben den Zahnverletzungen liegen häufig auch Schürf- oder Schnittwunden der angrenzenden Weichteile vor. Darüber hinaus kann auch der die Zähne umgebende Knochen frakturiert sein. Wie verhält man sich am besten im Notfall? Als Erstes gilt es Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln. Bei allgemeinmedizinischen Verletzungen, starken Blutungen oder Verdacht auf Gesichtsfrakturen sollte sofort ein Rettungswagen alarmiert werden. Handelt es sich ausschließlich um die Zähne betreffende Verletzungen, sollten folgende Tipps beachtet werden: • Alle abgebrochenen Zahnfragmente suchen und in Leitungswasser lagern, • vollständig ausgeschlagene Zähne nicht austrocknen lassen, nicht an der Wurzel anfassen oder desinfizieren und den Zahn umgehend in einer Zahnrettungsbox (beispielsweise eine SOS-Zahnbox) oder kalter H-Milch lagern (Leitungswasser oder Speichel sind ungeeignet!), • gelockerte und verschobene Zähne in der Stellung belassen, • sofort eine Zahnärztin / einen Zahnarzt aufsuchen. Wie ist der Ablauf einer zahnärztlichen Notfallbehandlung? Nach der Dokumentation des Unfallhergangs werden eine gründliche Untersuchung durchgeführt und Röntgenaufnahmen angefertigt. Zahnfragmente können bei guter Passung wiederbefestigt werden (siehe Abbildungen), ansonsten werden die abgebrochenen Zähne mit provisorischen Füllungen versorgt. Ausgeschlagene Zähne werden replantiert und mit einer Schienung für ungefähr zwei Wochen an den Nachbarzähnen fixiert. Gelockerte und verschobene Zähne werden in ihre ursprüngliche Position gebracht und ebenfalls geschient. Sollte kein ausreichender Tetanus-Impfschutz vorliegen, muss dieser innerhalb von zwei Tagen beim Hausarzt aufgefrischt werden. Welche Nachsorge ist notwendig? Nach jedem Zahnunfall müssen in regelmäßigen Abständen klinische und röntgenologische Untersuchungen der betroffenen Zähne erfolgen, da ein frühzeitiges Erkennen von Komplikationen, wie zum Beispiel das Absterben der Zahnnerven oder Resorptionen der Wurzel, für einen langfristigen Zahnerhalt notwendig ist. In diesen Fällen muss rechtzeitig eine Wurzelkanalbehandlung durchgeführt werden, um einen Verlust des Zahnes zu vermeiden. Die Häufigkeit der Kontrollen richtet sich dabei nach dem Schweregrad der jeweiligen Verletzung. Welche weiterführenden Therapiemöglichkeiten bei Zahnverlust bestehen? Gerade der Verlust von Schneidezähnen führt teilweise zu großen ästhetischen Einschränkungen, mit der Folge, dass nicht nur die Kau- und Abbeißfunktion gestört, sondern auch die Phonetik, also das Sprechen, beeinträchtigt wird. Deshalb sollte in der ersten Phase der Weiterversorgung zumindest eine provisorische prothetische Versorgung angefertigt werden. Lesen Sie auch: Zahnarztkosten – was übernimmt die Krankenkasse? Für die definitive Versorgung spielt das Alter des Patienten eine entscheidende Rolle. Während bei Kindern und Jugendlichen das Setzen von künstlichen Zahnwurzeln, also Implantaten, aufgrund des nicht abgeschlossenen vertikalen Kieferwachstums in der Regel nicht möglich ist, stellt diese Therapieform beim erwachsenen Patienten oftmals die Therapie der „Ersten Wahl“ dar. Das Ziel dieser Versorgungsvariante besteht in der Vermeidung eines weiteren Knochen- und Weichteilverlustes, sowie die Wiederherstellung der Form, Funktion und Phonetik bei individueller Ästhetik. Das Schließen der Lücke führt zu Substanzverlust: Das Schließen einer Schneidezahnlücke mit Hilfe einer Brückenversorgung bedeutet grundsätzlich einen weiteren Hartsubstanzverlust, da die lückenbegrenzenden Zähne für die Aufnahme der Brückenkonstruktion beschliffen werden müssen. Aufgrund der ausgeprägten Zahnnerv-Anatomien bei Kindern und jungen Jugendlichen ist dieses Verfahren jedoch nicht angezeigt. In diesen Fällen sollte zur Abwägung der unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten auch grundsätzlich immer eine Vorstellung beim Kieferorthopäden erfolgen. In einigen Fällen lassen sich die entstandenen Lücken mit Hilfe kieferorthopädischer Geräte schließen, sodass nur geringfügige Korrekturen an den Nachbarzähnen erforderlich werden. Kieferwachstum darf nicht beeinträchtigt werden: Kommt eine kieferorthopädische Therapie nicht in Frage, so müssen für Kinder und Jugendliche andere prothetische Lösungen gefunden werden. In dieser Entwicklungsphase darf das Kieferwachstum nicht beeinträchtigt und die entstandene Lücke muss für eine mögliche spätere Implantation offen gehalten werden. Zur Anwendung kommen hier so genannte Adhäsivbrücken. Die „einflügligen Adhäsivbrücken“ bestehen meist aus einer Vollkeramik und werden an den intakten Nachbarzähnen verklebt. Als vorbereitende Maßnahme ist in der Regel nur ein minimalinvasives Beschleifen oder Anrauen der Zahnoberflächen erforderlich. Die guten Langzeitergebnisse dieser Versorgungsform lassen unter bestimmten Voraussetzungen auch eine definitive Therapie im Erwachsenenalter als sinnvolle Alternative zur klassischen Brückenversorgung erscheinen. Lesen Sie auch: Wenn schlechter Atem zum Problem wird Die Autoren: Prof. Dr. Tina Rödig ,Poliklinik für Präventive Zahnmedizin, Parodontologie und Kariologie, und Dr. Jens Wehle, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, beide Universitätsmedizin Göttingen (UMG) Ihre Fragen an die Experten: Liebe Leser, stellen Sie Ihre Frage zum Thema „Schneidezahnverlust“ bitte bis Montag, 14. September, 10 Uhr. Hierfür gibt es eine eigene E-Mail-Adresse. Sie lautet sprechstunde@goettinger-tageblatt.de Ihre Fragen werden dann von Prof. Dr. Rödig und Dr. Wehle beantwortet. Die Antworten finden Sie am kommenden Sonnabend im Tageblatt – wiederum auf der Seite „Gesund in Göttingen“. Lesen Sie auch Fehlstellungen korrigieren Elektro-Zahnbürsten im Test: Auch günstige putzen gut Zahngesundheit wird weltweit vernachlässigt Von Prof. Dr. Tina Rödig und Dr. Jens Wehle