Schulen in der Region Göttingen: Mit Quereinsteigern gegen den Lehrermangel?

Es ist ein Thema, das seit Jahren diskutiert wird: der Lehrermangel an deutschen Schulen. Ein mittlerweile häufig angewandtes Mittel dagegen ist die Einstellung von Quereinsteigern – Menschen, die kein Lehramtsstudium absolviert haben, aber aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation als Lehrer arbeiten können. Aber wie wird dieses Modell in Göttingen und der Region umgesetzt – und funktioniert es? Erfolgsgeschichte Quereinstieg: Für Tamara Rabe ist der Quereinstieg in den Lehrberuf eine Erfolgsgeschichte. Seit einem Jahr unterrichtet die Göttingerin an der Oberschule in Seesen Chemie und Biologie. Vorher arbeitete sie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Auf die Idee, es als Lehrerin zu versuchen, kam sie durch ihren Mann, der als Lehrer ebenfalls Chemie und Biologie unterrichtet. Zwölf von 18 Monaten Qualifikationsmaßnahmen hat sie bereits absolviert. Weder von Schüler- noch von Lehrerseite habe sie bislang Vorbehalte oder Ablehnung erlebt, im Gegenteil: Rabe fühlt sich von allen Seiten sehr gut unterstützt. Schulleitungen und Behörden gewöhnten sich wohl immer besser an das Quereinsteigermodell, vermutet Rabe. Vor einigen Jahren hätten Quereinsteiger anfangs noch deutlich mehr Probleme gehabt. Elternräte beklagen Lehrermangel: Ein vereinfachter Einstieg ist laut Andrea Reschke vom Verband der Elternräte der Gymnasien Südniedersachsens auch dringend nötig: Sie warnt davor, dass im kommenden Schuljahr an südniedersächsischen Gymnasien zwölf Prozent mehr Lehrkräfte gebraucht werden. Grund dafür sei die Rückkehr zu G9, also neun Jahrgangsstufen. Ohnehin liege der Mittelwert der Unterrichtsversorgung an Gymnasien in Südniedersachsen mit 101 Prozent deutlich unter den angestrebten 108 Prozent, die zur Kompensation von Krankheiten, Fortbildungen oder anderen Ausfällen nötig wären. „Dadurch entsteht bis zum nächsten Schuljahr ein Personal-Mehrbedarf von bis zu 20 Prozent“, erklärt Reschke. In vielen Fächern fehlen Lehrer: Mangel herrsche an den verschiedenen Schultypen in Niedersachsen in unterschiedlichen Fächern, sagt Andreas Herbig, Referent im Niedersächsischen Kultusministerium. An Grundschulen fehlten vor allem Lehrkräfte in den Fächern Musik, Kunst, Werken und Sport. Haupt- und Realschulen suchen laut Herbig vor allem nach Lehrkräften in Französisch, Musik, Physik und Technik. Gymnasien fehle es verstärkt an Kunst-, Musik-, Physik- und Informatiklehrern. Quereinstieg als neue Zukunftsperspektive: Besonders an weiterführenden Schulen werden Physiklehrer gesucht. So ist Benjamin Beeck in den Lehrberuf geraten. Der promovierte Physiker unterrichtet an der Carl-Friedrich-Gauß-Schule in Groß Schneen. Er unterrichtet Physik, Mathematik, Biologie und Chemie. Ebenso wie Rabe arbeitete Beeck vor seinem Quereinstieg in einem Max-Planck-Institut – für Sonnensystemforschung. „Als ich meine Zukunft nicht mehr langfristig in der Forschung sah, habe ich 2015 angefangen, an verschiedenen Schulen zu hospitieren“, sagt Beeck. 2016 beantragte er die Gleichstellung seines Physik-Diploms mit einem Lehramtsstudium in Physik und Mathematik. Nach seinem Referendariat ist er mittlerweile seit zwei Jahren fester Bestandteil der Gauß-Schule. Quereinsteiger werden nicht überall gesucht: Quereinsteiger gibt es indes längst nicht an allen Schulen im Landkreis, etwa an der Integrierten Gesamtschule Bovenden. Anja Schmidt, stellvertretende Schulleiterin, sagt, die Schulfächer, in denen niedersachsenweit Mangel herrsche, seien in Bovenden gut besetzt. Für Gesamtschulen sei es außerdem schwierig, Quereinsteiger anzuwerben. Denn sie müssen Lehrstellen gymnasial ausschreiben – das mache die Kandidatensuche nicht einfacher. Die blanken Zahlen lassen für den Landkreis Göttingen auf eine gute Unterrichtsversorgung schließen: In einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion aus dem Oktober 2019 liegt die Unterrichtsversorgung an den staatlichen Schulen im Landkreis für das Schuljahr 2019/2020 bei 101,9 Prozent – das bedeutet, die Lehrkräfte könnten mehr Unterrichtsstunden geben als eingeplant sind. Zum Vergleich: Im niedersachsenweiten Schnitt können 98,63 Prozent der Unterrichtszeiten auch gegeben werden. Das sind zwar 0,5 Prozent weniger als im Vorjahr – ließe jedoch vermuten, dass kaum Unterrichtsstunden ausfallen dürften. 31 von 112 staatlichen Schulen in Stadt und Landkreis Göttingen weisen laut Landesregierung eine Unterrichtsversorgung von weniger als 100 Prozent auf. Schlusslichter sind drei Förderschulen in Duderstadt, Göttingen und Hann. Münden mit weniger als 90 Prozent Unterrichtsversorgung. Die größte Überversorgung (mehr als 120 Prozent) gibt es an drei Grundschulen in Herzberg, Göttingen und Duderstadt. Lesen Sie auch: „Das Leben auf dem Schulhof ist ein anderes“ Lehrermangel: Droht an Niedersachsens Schulen ein Notstand? Zurück zu G9: Eltern warnen vor massivem Lehrermangel an Gymnasien So erreichen Sie die Autoren: E-Mail: lokales@goettinger-tageblatt.de Von Pascal Wienecke und Tammo Kohlwes

Schulen in der Region - Quereinsteiger gegen Lehrermangel – so funktioniert das Modell in der Region Göttingen