Seniorenbetrug am Telefon: Neue „Schockanruf“-Masche erreicht Göttingen und Duderstadt

Die Betrüger am Telefon werden immer gewiefter. Nach dem klassischen Vorgaukeln eines Enkels, der dringend Geld von seinen Großeltern braucht, und falschen Polizeibeamten, die Wertgegenstände vor Dieben in Sicherheit bringen wollen, wendet die organisierte Kriminalität jetzt auch in Göttingen, Duderstadt und der Region ein weiteres perfiden Vorgehen an. Bei den sogenannten „Schockanrufen“ hört der Mensch am Telefon Hilfeschreie im Hintergrund, die von Enkeln oder anderen Verwandten kommen könnten. „Das ,Kind’ schreit dann: ,Hilf mir, oh Gott, ich hab jemanden totgefahren!’“, schildert es Marko Otte. Otte ist Teil des Präventionsteams der Polizeiinspektion Göttingen (PI). Außerhalb der Coronazeiten schult er Senioren, Bankangestellte und andere Betroffene, damit sie sich nicht täuschen lassen. Aus Gründen: 2015 gab es noch 45 Straftaten (12 vollendet) dieser Art im Bereich der PI, 2018 waren es schon 202 (15 vollendet) und 2019 dann 779 (49 vollendet), so Otte. Auf Panik folgt Stärkung des Opfers: „Bei den Anrufen übernimmt irgendwann ein Mensch, der sich als Polizist oder Anwalt vorstellt und ganz ruhig den Sachverhalt erklärt: Der Enkel habe beispielsweise ein kleines Kind überfahren, das müsse jetzt in Rumänien oder einem anderen Land auf die Intensivstation“, schildert Otte. Die Oma oder der Opa sollten sich nicht sorgen, sie würden da einen deutschen Richter kennen, der den Enkel überstellen könnte, sodass er in Deutschland zum Anwalt gehen könnte – so ginge die Geschichte weiter, bis die Menschen zur Bank gingen und Geld an „einen Mitarbeiter einer Göttinger Kanzlei“ übergeben würden. Lesen Sie auch Wie falsche Polizisten mit fiesen Psycho-Tricks eine Seniorin um viel Geld gebracht haben Nach Unfall Bitte um Bargeld: Seulinger Seniorin ist Opfer des Enkeltricks Enkeltrick am Telefon: Betrüger haben es auf Senioren in Duderstadt und Umgebung abgesehen Göttingerin mit Enkeltrick um mehrere Tausend Euro betrogen „Es geht meist um Gefängnis oder hohe Strafen“, erklärt Otte. Die Hilfeschreie schürten die Panik bei den Opfern, die ruhige Art des Anrufers bestärke das Opfer, bis es zur Zahlung bereit sei. „Die Täter fordern Kautionen zwischen 40 000 und 55 000 Euro“, berichtet Otte von derzeitigen Ermittlungen in Duderstadt und Göttingen. Eigentlich zahlen Geldinstitute solche Summen nicht direkt aus. „Das ist alles bedacht. Die Täter bleiben oft bis zu drei Stunden am Telefon, also auch während des Bankbesuchs und geben den Opfern Tipps mit: Die Oma soll sagen, dass sie das Geld für ein großes Fest braucht und ihren acht Enkeln dabei große Summen überreichen will“, so Otte. „Spätestens, wenn sie sagt ,Man gibt doch lieber aus der warmen Hand als aus der kalten’, überzeugt das so manchen Bankangestellten.“ Bankangestellte extra geschult: Auf die Bankangestellten lässt Otte aber wenig kommen. „Wir schulen sie gezielt, mit vielen Geldinstituten in der Region stehen wir in gutem Kontakt, damit das nicht passiert. Das ist aber auch wichtig – sie sind die letzten Ansprechpartner, die sich zwischen die Täter und das Opfer stellen können“, sagt Otte. Familienangehörige oder die Polizei riefen viel zu wenige Menschen in der Situation an. Dabei wäre genau das richtig: „Die wenigsten denken, dass sie Opfer werden könnten – aber die Betrüger gehen emotional sehr schlau vor.“ Ein Bein kann ihnen aber jeder Mensch stellen. „Ändern Sie den Eintrag im Telefonbuch“, rät Otte. Falls jemand Ihnen weismachen möchte, Ihre Enkelin oder Ihr Enkel zu sein, gehen Sie diese Schritte durch: 1. Misstrauisch zu sein, hat nichts mit Unhöflichkeit zu tun. Fragen Sie nach, bis Sie sicher sind, dass Sie den Anrufer kennen. Dazu gibt es einen Trick: 2. Nennen Sie einen Namen, der nicht in Ihrer Familie vorkommt („Hans, bist du’s?). Steigt der Anrufer darauf ein, ist es sicher nicht Ihr Enkel. Beenden Sie das Gespräch und rufen Sie stattdessen die Polizei unter 110 an. 3. Sind Sie schon weiter in der Schleife, und es geht darum, wie viel Geld Sie aufbringen könnten: Vermeiden Sie Prahlereien. Nennen Sie keine Wertgegenstände oder Bargeldsummen, die Sie beschaffen könnten. 4. Legen Sie auf, sobald Ihnen etwas komisch vorkommt. Rufen Sie auf keinen Fall zurück, sondern direkt bei der 110 an. Erzählen Sie den Polizeibeamten, was soeben passiert ist. 5. Übergeben Sie weder Geld noch Wertgegenstände an Personen, die Sie nicht persönlich kennen. Die Betrüger, die meist in Callcentern in der Türkei säßen und nur die „Geldabholer“ durch Deutschland schicken, gehen nach Polizeierkenntnissen systematisch vor. „In Duderstadt wurden neulich 30 Marias nacheinander angerufen“, erklärt Otte. Die Täter schauten im Telefonverzeichnis auf alte deutsche Vornamen, Doktor- und Professorentitel und reimten sich so das Alter der potenziellen Opfer zusammen. „Den Vornamen kann man vom Telefonanbieter entfernen lassen oder gleich den ganzen Eintrag herausnehmen“, so Otte. „Das ist das Einzige, was wirklich hilft.“ Von Lea Lang