Staatsschutz ermittelt – Göttinger Verein Stellwerk setzt sich für Rettung von Graffiti ein

Für die einen ist es Kunst, für die anderen ist es Sachbeschädigung, wegen der nun der Staatsschutz ermittelt. Seit Mitte Dezember beschäftigen großflächige Graffitis am „Mühlengraben“ zwischen Bürgerstraße und Wiesenstraße die Polizei in Göttingen. Am frühen Morgen des 17. Dezembers hatte eine Passantin nach Darstellung der Göttinger Polizei an einer Mauer des „Mühlengraben“ ein aufwendiges Graffiti und eine im Wasserlauf treibende Puppe mit Rettungsring entdeckt. Auf dem unmittelbar angrenzenden Parkplatz seien Ermittler auf eine weitere bemalte Wand gestoßen, schilderte Polizeisprecherin Jasmin Kaatz in einer kurzen Mitteilung. Die Polizei gehe wegen der Inhalte von einer politisch motivierten Protestaktion aus, heißt es dort. Nun ermittele das Staatsschutzkommissariat wegen Sachbeschädigung und setzt dabei auf Hinweise aus der Bevölkerung. Die bunten, teils filigran gestalteten Wandbilder greifen Themen wie Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer und Gewalt gegen Frauen auf. „Lagerabschaffung“, „Sicherer Hafen“, „My body, my voice“, aber auch „Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Farbanschlag“ und „Eure Gewalt hat System“ ist dort zu lesen. „Die Erstellung der beiden Graffitis dürfte vermutlich mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden gewesen sein, weshalb die Ermittler auf Zeugen hoffen, die das Vorhaben beobachtet haben“, heißt es in dem Aufruf. Sachdienliche Hinweise würden unter Telefon 0551/491-2115 entgegengenommen. Einen entsprechenden Aufruf hatte die Polizei auch auf Facebook gepostet. ❗#Sachbeschädigung durch Graffiti - #Zeugen gesucht! An einer Mauer des "Mühlengraben" zwischen #Bürgerstraße und... Posted by Polizei Göttingen on Tuesday, December 22, 2020 Inzwischen hat sich der Verein „Stellwerk“, ein Netzwerk der Göttinger Kreativwirtschaft mit derzeit nach eigenen Angaben 85 Mitgliedern, zu Wort gemeldet. Die Graffitis seien „ästhetisch beeindruckend“ und „außergewöhnlich gelungene Streetart“ an „kaum als attraktiv wahrzunehmenden Flächen“. Einzelne Stellwerk-Mitglieder würden sich für einen Erhalt der Kunstwerke einsetzen, heißt es in der Stellungnahme des Vereins. Andere wollten die Graffitis als hochauflösende Fotografien im Fotoarchiv des Städtischen Museums für die Zukunft bewahren. Die Göttinger Fotografin Katrin Raabe hat die Gemälde bereits auf ihrer Internetseite gesichert. Der Verein betont den künstlerischen Wert der Arbeit: „Muss angesichts solcher Arbeiten heute noch ernsthaft darüber diskutiert werden, ob Graffiti Kunst sein kann? Oder ob Kunst politisch sein darf?“, fragt er in seiner Stellungnahme. Und weiter: „Wird hier gerade mit Kanonen auf Spatzen geschossen, auch wenn bei einem Teil der Inhalte Polizei und Staatsschutz offenbar Handlungsbedarf sehen?“ Gegenüber der Taz hatte Polizeisprecherin Kaatz in dieser Woche noch einmal deutlich gemacht, dass die Polizei gar keine andere Wahl gehabt habe, als den Staatsschutz einzuschalten. Bei einem angenommenen politischen Hintergrund einer Straftat komme automatisch der Staatsschutz ins Spiel. Das gelte gleichermaßen für Taten „von links, von rechts oder von wem auch immer“, wird Kaatz dort zitiert. Unter dem Facebook-Post der Polizei finden sich inzwischen sehr viele Kommentare, in denen sich Nutzer für die Wandgemälde aussprechen. „Ich finde, das ist keine Sachbeschädigung – das ist Kunst! Sieht doch megageil aus! Da gibt es definitiv Schlimmeres“, schreibt eine Kommentatorin. Eine andere meint: „Das ist die schönste Sachbeschädigung, die ich jemals gesehen habe.“ Sie gibt aber zu bedenken: „Trotzdem bleibt es Sachbeschädigung.“ Andere Nutzer rücken die Graffitis in die Nähe des Street-Art-Künstler Banksy. „Ist das schön“, lobt eine Nutzerin, „schade, dass der Künstler dafür bestraft wird, er hat etwas wirklich Hochwertiges geschaffen“, meint sie. Von Michael Brakemeier