Stadt Göttingen: Graffiti am Mühlengraben sollen bleiben

Die großformatigen Graffiti am „Mühlengraben“ zwischen Bürgerstraße und Wiesenstraße sollen an Ort und Stelle erhalten bleiben. „Eine Entfernung der Graffiti ist derzeit nicht vorgesehen“, erklärt Verwaltungssprecher Dominik Kimyon. Die Wände, auf denen die Bilder Mitte Dezember aufgebracht wurden, befinden sich im Besitz der Stadt. Gleichwohl betont Kimyon, dass es sich „völlig unabhängig vom dargestellten Inhalt“ um eine Sachbeschädigung handele. „Denn die Graffiti wurden ohne Abstimmung beziehungsweise Genehmigung aufgesprüht“, sagt Kimyon. Einen entsprechenden Strafantrag habe die Stadt bei der Polizei gestellt, wie auch deren Sprecherin Jasmin Kaatz bestätigt. Seit dem 17. Dezember hatte der Staatsschutz der Polizei zunächst nach Hinweis einer Passantin in dem Fall der Graffiti wegen Sachbeschädigung ermittelt. Sie geht wegen der Inhalte von einer politisch motivierten Protestaktion aus. Bei einem angenommenen politischen Hintergrund einer Straftat komme automatisch der Staatsschutz ins Spiel, hatte Kaatz in der vergangenen Woche betont. Hinweise auf die Verursacher hatte es bis Dienstag ebenso wenig gegeben wie Hinweise aus der Bevölkerung nach einem Zeugenaufruf durch die Polizei. Inzwischen, so Kaatz, liege der Fall bei der Staatsanwaltschaft. Sachbeschädigung zählt zu „relativen Antragsdelikten“: Im Strafgesetzbuch heißt es in Paragraf 303 zur Sachbeschädigung: „(1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. (3) Der Versuch ist strafbar.“ Sachbeschädigung gehört zu den relativen Antragsdelikten. Antragsdelikte sind zunächst Straftaten, denen die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nur auf Antrag des Geschädigten nachgehen. Relative Antragsdelikte können hingegen auch ohne Strafantrag durch den Geschädigten verfolgt werden, wenn die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Michael Laue, Sprecher der Göttinger Staatsanwaltschaft, nennt dafür etwa das Anbringen von Hakenkreuzen und anderen verfassungsfeindlichen Symbolen. Rettung von Flüchtlingen, Gewalt gegen Frauen: Die Stadtverwaltung als Geschädigte will die Graffiti inhaltlich nicht bewerten. Sie setzen sich mit Themen wie Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer und Gewalt gegen Frauen auseinander. Ungeachtet der begangenen, dahinterstehenden Straftat spricht Göttingens Bürgermeister Ulrich Holefleisch (Grüne) bei den Graffiti von „Kunst“. Es sei die Funktion von Kunst, wie in diesem Fall auch jenseits von Museen, auf Missstände hinzuweisen, sagt Holefleisch, der betont, auch im Namen von der Grünen-Fraktion im Rat der Stadt Göttingen und für die Partei zu sprechen. In die Diskussion hatten sich auch der grüne Landtagsabgeordnete Stefan Wenzel und die Linke/ALG-Ratsgruppe zu Wort gemeldet. Beide kritisierten die Ermittlungen des Staatsschutzes. „Stellwerk“ setzt sich für Erhaltung ein: In der vergangenen Woche hatte der Verein „Stellwerk“, ein Netzwerk der Göttinger Kreativwirtschaft mit nach eigenen Angaben 85 Mitgliedern, die Erhaltung der Graffiti an Ort und Stelle gefordert und angeregt, die Wandgemälde als hochauflösende Fotografien im Fotoarchiv des Städtischen Museums für die Zukunft zu bewahren. Auch die Tageszeitung „taz“ und der NDR hatten das Thema aufgegriffen. Lesen Sie auch Staatsschutz ermittelt – Göttinger Verein Stellwerk setzt sich für Rettung von Graffiti ein Göttingen: Graffiti an mehreren Stellen angebracht Stilistisch, technisch und inhaltlich deutet einiges daraufhin, dass sich die Graffiti-Ersteller vom Mühlengraben in der jüngsten Vergangenheit auch an anderen Orten in Göttingen verewigt haben. Bilder ähnlicher Machart und ähnlichen Inhalts lassen sich etwa am Wallaufgang am Geismar Tor und unter den Leinebrücken finden. Ähnliche Motive, ähnliche Thematik: Von Michael Brakemeier