Stehen Berufsschüler im Landkreis Göttingen vor einem Krisenjahr?

Die Corona-Pandemie hat das Schuljahr für Berufsschüler extrem abgekürzt. Über Wochen konnten sie nicht zum Präsenzunterricht in die Berufsbildenden Schulen (BBS) kommen. Womöglich haben einige Schüler die Aussetzung anfangs als Entlastung empfunden. Längst aber sind Unsicherheiten entstanden in der Frage, wie es mit der eigenen beruflichen Ausbildung und Zukunft weitergeht. Schließlich drohen in den Firmen Einschnitte aufgrund von Umsatzrückgängen. Läuft der Ausbildungs- oder Praktikumsvertrag weiter? Ist eine Übernahme nach der Ausbildung gesichert? Wie ist die Stimmung in den BBS? Dazu sprach das Tageblatt mit Rainer Wiemann. Er leitet die BBS I in Göttingen und ist zudem Sprecher des Arbeitskreises der Schulleitungen der berufsbildenden Schulen im Landkreis Göttingen. Wie sind die Berufsbildenden Schulen in den Präsenzunterricht gestartet? Wir freuen uns, dass unsere Schülerinnen und Schüler wieder zu uns kommen dürfen. Natürlich waren die letzten Wochen angesichts der Vielzahl von Bildungsgängen und Abschlussprüfungen eine große Herausforderung. Das gilt natürlich insbesondere für die Berufsbildenden Schulen in Göttingen, wo zwischenzeitlich die Situation der erneuten Schulschließung zu bewältigen war. Dennoch würde ich sagen, konnten wir bisher die Wiederaufnahme des Schulbetriebs erfolgreich gestalten, wenn auch mit einem ganz erheblichen Organisationsaufwand. Sorgen bereitet uns eher der Ausblick auf das nächste Schuljahr. Welches Problem sehen Sie für das nächste Schuljahr? Als berufsbildende Schule können wir die Bedarfe nur schwer kalkulieren. Wir wissen nicht, inwieweit wir aufgrund der Corona-Krise mit einem deutlichen Einbruch der Ausbildungszahlen rechnen müssen. Weiter haben wir das Problem, dass der Besuch der Klasse 11 der Fachoberschule ein ganzjähriges, schulbegleitendes Praktikum erfordert. Offenbar fällt es vielen unserer Bewerberinnen und Bewerber aufgrund der Zurückhaltung in den Unternehmen derzeit aber besonders schwer, einen Praktikumsplatz zu finden. Ich kann nur an alle Unternehmen appellieren, in Zeiten des strukturellen Fachkräftemangels nicht auf die Einstellung von Auszubildenden und Praktikanten zu verzichten. Dann befürchten Sie einen Schülereinbruch für das nächste Schuljahr? Nicht unbedingt. Schulpflichtige Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden, müssen sich für eine Vollzeitschulform an einer Berufsbildenden Schule anmelden. So könnte die Bewerberzahl hier kurzfristig noch steigen. Wichtig ist, dass sich die noch unversorgten Jugendlichen umgehend an einer berufsbildenden Schule anmelden. Außerdem könnte aufgrund der schwierigen Situation am Arbeitsmarkt eine zusätzliche Nachfrage nach unseren Weiterbildungsangeboten entstehen. Welche Möglichkeiten haben denn die Auszubildenden, die aufgrund der Corona-Krise nach der Ausbildung nicht übernommen werden? Neben den Möglichkeiten des Arbeitsmarktes oder eines Studiums steht ihnen zum Beispiel der Besuch der Klasse 12 der Fachoberschule offen. Diese wird von allen berufsbildenden Schulen des Landkreises Göttingen angeboten. Hier können Schülerinnen und Schüler mit abgeschlossener Berufsausbildung und Realschulabschluss innerhalb eines Jahres die Fachhochschulreife erwerben. Dabei haben sie einen Anspruch auf Förderung durch ein nicht rückzahlbares BAföG für Schülerinnen und Schüler bis zu 675 Euro. Das kann eine gute Möglichkeit sein, um ein Krisenjahr sinnvoll zu überbrücken. Was können denn junge Menschen tun, die sich weiterbilden möchten, ihren Job in unsicherer Wirtschaftslage aber nicht kündigen wollen? Auch für diesen Fall gibt es Angebote an berufsbildenden Schulen. So bieten zum Beispiel die BBS 1 Göttingen und die BBS 1 Northeim in Kooperation die Fachschule Betriebswirtschaft an, in der man sich berufsbegleitend zur staatlich geprüften Betriebswirtin oder zum staatlich geprüften Betriebswirt fortbilden kann. Im Unterschied zu vielen anderen Weiterbildungsangeboten ist der Besuch der Fachschule kostenlos. Außerdem kann der Schulbesuch durch Kooperation mit Hochschulen mit einem Hochschulstudium kombiniert werden. Stehen denn genug Schulplätze an den Berufsbildenden Schulen zur Verfügung? Das ist im Einzelfall unterschiedlich. Grundsätzlich gilt aber aufgrund des fortgeschrittenen Schuljahres: Je frühzeitiger die Anmeldung erfolgt, desto höher ist die Chance, dass die Schulen noch Planungen anpassen und gegebenenfalls zusätzliche Klassen einrichten können. Interessierte Schülerinnen und Schüler sollten sich daher umgehend anmelden. Die Berufsausbildung in Deutschland erfolgt überwiegend im Dualen System. Dieser Begriff bedeutet Ausbildung in einem Betrieb der Wirtschaft, in der Verwaltung oder in Praxen eines freien Berufs einerseits und in der Berufsschule andererseits, also an zwei Lernorten: im Betrieb und in der Berufsschule. So erklärt es das niedersächsische Kultusministerium auf seiner Internetseite. Die Berufsschule wird in Form von Teilzeitunterricht oder von Vollzeitunterricht in zusammenhängenden Teilabschnitten (Blockunterricht) geführt. In Teilzeitform begleitet sie ein- bis zweimal wöchentlich die betriebliche Ausbildung. Die Rechtsgrundlage der Berufsschule ist das Niedersächsische Schulgesetz. Die wichtigste Bestimmung ist die Berufsschulpflicht: Alle Auszubildenden müssen grundsätzlich die Berufsschule besuchen, unabhängig davon, ob die allgemeine 12-jährige Schulpflicht bereits erfüllt ist oder nicht. Orientierung für ihren beruflichen Weg können Schüler im Internet finden, etwa unter der Adresse meinpraktikum.de oder ausbildung.de. oder hannover.ihk.de. Lesen Sie auch: Gastronomie in Hannover: Dieser Mann steckt hinter Duke-Burger Jugendforscher Hurrelmann: „Die Sorgen um die Zukunft sind berechtigt” Schüler und Corona: Viele "arbeiten zu Hause nur Arbeitsblätter ab” Von mei