Theaterperformance BlackboxIWF in Göttingen

In der aktuellen Diskussion über Flucht und Migration werden alte Stereotype des sogenannten „kulturell Anderen“ sichtbar, heißt es in der Ankündigung der Freien Theatergruppe „boat people projekt“. Mit „Blackbox IWF“ begeben sich die Beteiligten auf diese Spuren und haben dazu das ehemalige Göttinger „Institut für den wissenschaftlichen Film“, kurz IWF, als Ort entdeckt. Aufgeführt wurde die Performance in Kooperation mit dem Schweizer Kollektiv „Firma für Zwischenbereiche“ im WERKRAUM Göttingen. Einleitend zur Vorstellung wird der elfminütige Film „unlearning flow“ von Christoph Oeschger, Mario Schulze und Sarine Waltenspül gezeigt, der sowohl die nationalsozialistischen Vorgeschichte als auch das Erbe des IWF thematisiert. In der eigentlichen Performance geht es dann um die aktuelle Diskussion über Flucht und Migration sowie „die damit verbundene Notwendigkeit und die Unmöglichkeit, Bilder des sogenannt ,kulturell Anderen’ zu überwinden“. Dazu stehen mit Michael Westrich ein Kulturanthropologe, mit Ute Sengebusch und Pakkiyanathan Vijayashanthan zwei Schauspieler sowie mit Reimar de la Chevallerie ein Medienkünstler als Dokumentierende im kontroversen Dialog auf der Bühne. Struktur mit acht Versuchen: Weiße Stellflächen dienen als Projektionsflächen und werden innerhalb einer Struktur von acht Versuchen als bewegliche Requisiten genutzt. Eine Kamera verfolgt und projiziert das Geschehen live auf eine der Flächen. Nach jedem Versuch heißt es „Cut“ und ein grelles Licht geht an. Eine Bilder- und Geräuschflut leitet den ersten Versuch ein. Es geht um den Blickwinkel. Zwei Menschen nehmen im ständigen Wechsel des Ortes die gleiche Stellung ein und werden zu Projektionsflächen. Gemeinsame Projekte mit Geflüchteten : Die Stadt Göttingen mietete das nach der Schließung 2010 an einen Investor veräußerte IWF als Flüchtlingsunterkunft an. Auch die Freie Theatergruppe „boat people projekt“ fand hier ihr Zuhause. Tür an Tür mit den Geflüchteten banden sie diese in ihre Projekte mit ein. So kehrten die Bilder zurück an den Ort, von dem aus früher ethnologische Filmreisen in die Länder der nun dort Untergebrachten geplant wurden. In einem weiteren Versuch wird ein Fragenkatalog aufgerufen. Wie schwer sind 3000 Filme? Ist Google ein Archiv? Does it hurt to be shot? Die vier Akteure bewegen sich zwischen den Stellflächen und werfen in Monologen einen multiperspektivischen Blick auf die ethnologischen Filme des IWF, die heute in der Technischen Informationsbibliothek in Hannover lagern. Ein Handout für ethnologische Filme wird verlesen. Entsprechende Masken zeigen Commander Fox und Captain Wolf, die mit den Worten „And the Mission starts now! Anything is interesting as long as no one has filmed it before“ zum nächsten Drehort fliegen. Kritische Fragerunde: Es gehe ihnen um die Auseinandersetzung mit dem strukturellen Rassismus in der Gesellschaft speziell aus europäischer Sicht, sagt Reimar de Chevallerie im Anschluss. In einer abschließenden, teils sehr kontroversen Fragerunde mit dem Publikum wird der einseitige Blick nur auf die ethnologischen Filme des IWF kritisiert, ohne die vielen anderen dort ansässigen Fachbereiche zu berücksichtigen. Kunst versuche Denkräume zu schaffen, ohne Fragen zu beantworten, betont Sengebusch. Zu dem sehr komplexen Thema blieben viele Fragen offen. War das experimentelle Kunst, Dokumentation, Performance oder Theater? Wohl von jedem etwas. Dabei blieb viel Nachdenkliches, aber auch Ratlosigkeit zurück. Das Konzept und die Projektidee des Stücks wurden von dem Kulturanthropologen und ethnographischen Filmemacher Michael Westrich aus Berlin und der Schauspielerin und Regisseurin Ute Sengebusch aus Basel entwickelt. Sie haben sich an der Züricher Reseaerch Academy getroffen. Westrich hatte zeitgleich einen Lehrauftrag an der visuellen Anthropologie der Universität Göttingen inne, in dessen Rahmen er auf das IWF aufmerksam wurde. Sengebusch ist Mitglied der „Firma für Zwischenbereiche“, einem Schweizer Kollektiv von Kunstschaffenden unterschiedlicher Bereiche, die das Projekt in Kooperation mit der Freien Theatergruppe „boat people projekt“ umsetzte. Bei der Umsetzung waren zusätzlich Reimar de la Chevallerie für Video, Sounds und Technik, Ntando Cele für die Dramturgie, Thomas Giger für Bühne und Licht und Salome Egger für die Kostüme tätig. Die Produktion lag in den Händen von Kathrin Walde und Nina de la Chevallerie. Am 28. November vergangenen Jahres fand die Premiere im schweizerischen Birsfelden statt. Es folgten weitere Vorstellungen in Bern. Nach den Vorstellungen im WERKRAUM Göttingen, Stresemannstraße 24C, am 24., 25. und 26. Januar sind noch zwei weitere am 7. und 8. Februar jeweils um 19.30 Uhr im Kulturzentrum Pavillon Hannover geplant. Weitere Infos: www.boat-people-projekt.de www.firma-zwischenbereiche.ch Lesen Sie auch: „Werkraum“ wird neue Spielstätte Boat-People-Projekt zeigt „Blackbox IWF“ Von Jörg Linnhoff

Werkraum Göttingen - Theaterperformance zu Flucht und Migration