Trotz Corona-Krise: Volksheimstätte Göttingen hält an Mieterhöhungen fest

Mieterhöhung in Zeiten von Corona: Mieter der Göttinger Volksheimstätte erwartet nun genau das. Eine entsprechende Ankündigung hat sie am Freitag erreicht. Heike Klankwarth, Vorstandsvorsitzende der Volksheimstätte, bestätigt die geplanten Erhöhungen. Sie betragen 40 Cent pro Quadratmeter, erläutert sie. Für eine durchschnittliche Volksheimstätten-Wohnung liege die Erhöhung damit bei rund 20 Euro im Monat. Bei einigen Betroffenen kommt das nicht gar nicht gut an. „Solidarität in Zeiten der Krise?“, fragt eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern – enttäuscht, dass die Volksheimstätte die Erhöhung nicht ausgesetzt hat. Denn ihre „finanzielle und berufliche Zukunft“ sei wegen der Corona-Pandemie „völlig unklar“. Minijob weg wegen Corona, hauptberuflich Kurzarbeit beantragt, schildert die Mutter. „Und dann eine Mieterhöhung? Soll das ein schlechter Scherz sein?“, fragt sie. Erhöhung „nicht leicht gefallen“: Klankwarth hat geahnt, dass die Erhöhungen zu Irritationen führen würden. In einem Info-Schreiben vom Freitag schreiben sie und Henning Birkholz, Abteilungsleiter Vermietung, an die Mieter: „Sicher wundern Sie sich, dass Sie ausgerechnet jetzt unser Schreiben zur Mieterhöhung in Ihrem Briefkasten vorfinden. Bitte seien Sie versichert, dass uns die Entscheidung diese Mieterhöhungsbriefe heute zu verteilen, absolut nicht leicht gefallen ist. Dennoch müssen wir die wirtschaftliche Lage unserer Genossenschaft langfristig im Blick behalten“, schreiben Klankwarth und Birkholz. Dazu gehörten „moderate Mieterhöhungen über längere Zeiträume“. Nur so könnten Instandhaltungen und Sanierungen in den Wohnungen der Volksheimstätte garantiert werden. Die Volksheimstätte hat nach eigenen Angaben rund 2500 Wohnungen im Bestand. Bereits zu Beginn des Jahres, also vor der Corona-Krise, hatten Volksheimstätten-Mieter in einem ersten Wohngebietsabschnitt ihre Mieterhöhungen bekommen. Jetzt sei das nächste Abschnitt an der Reihe, der dritte soll in Kürze folgen. Es gehöre zur Fairness, „dass alle Mitglieder gleich behandelt werden“, heißt es in dem Info-Schreiben weiter. Daher müssen „wir nun wie geplant weiter vorgehen“, erklären Klankwarth und Birkholz. Jetzt die für den ersten Wohngebietsabschnitt schon erfolgten Mieterhöhungen wieder rückgängig zu machen und die Erhöhungen zunächst in der Corona-Krise auf Eis zu legen, sei nicht möglich. „Zu aufwändig“, erklärt Klankwarth. „Seit Jahren“ keine Erhöhung: Schon „seit Jahren“ habe es bei der Volksheimstätte keine Mieterhöhung gegeben, sagt Klankwarth. Zudem läge die Durchschnittsmiete mit 5,50 Euro pro Quadratmeter bei der Volksheimstätte ein bis drei Euro unter „Mietpreischeckpreisen“, argumentiert Klankwarth. Hinzukomme, dass die jetzigen Mieterhöhungen eigentlich schon für 2019 geplant waren, eine „komplette EDV-Umstellung“ habe das aber damals verhindert, sagt Klankwarth. Lesen Sie auch: Coronavirus – Justizministerium will Mieter vor Kündigung schützen Anwältin Andrea Obergöker, Rechtsberaterin beim Deutschen Mieterbund Göttingen (DMB), fordert die Volksheimstätte nun auf, die Mieten angesichts der kritischen Lage nicht zu erhöhen. „In Zeiten wie diesen“ müsse darauf vorerst verzichtet werden, meint Obergöker. Dass die Volksheimstätte mit der Fairness argumentiere, um an den Mieterhöhungen festzuhalten, hält sie für unangemessen. Gerechtigkeit bei Mieten gebe es ohnehin nicht. Der Volksheimstätte wirft die Anwältin bei ihrer Argumentation „Verschleierung von Profitinteressen“ vor. „Sie wollen nicht verzichten“, sagt Obergöker. Das Schreiben, das Mieter „eine Mieterhöhung als Akt der Solidarität mit den schon zur Zahlung verpflichteten Mitmieter*innen“ abfordert, sei „ja wirklich fast zynisch“. Das Verhalten der Volksheimstätte, so Obergöker, sei auch deshalb „besonders kritikwürdig“, weil es sich bei der Volksheimstätte um ein Unternehmen in der Rechtsform einer Genossenschaft handele, einer juristischen Person also, die nach dem Gesetz das Vermögen der Genossen – also streng gesehen, der Mieter – zu vermehren habe. „Hier muss man erwarten, dass die Genossenschaft die Erhöhungen aussetzt und die gerade durchgeführten zurück nimmt“, sagt Obergöker. Dies wäre das „einzig angemessene Verhalten“ eines der Gemeinnützigkeit verpflichteten Unternehmens in Zeiten der Corona-Krise mit den großen wirtschaftlichen Ungewissheiten eines jeden und insbesondere eines jeden Mieters. DMB-Vorstand Cornelius Blessin gibt zusätzlich zu bedenken, dass auch vermeintlich geringe Mieterhöhungen bei geringem Einkommen gravierende Folgen haben kann. „Da ist ganz schnell der Boden erreicht“, sagt er und vermutet, dass mit Monatsende, wenn Mietzahlungen fällig werden, der Beratungsbedarf von Mietern – nicht nur von der Volksheimstätte – beim DMB steigen wird. Der Deutsche Mieterbund Niedersachsen/Bremen (DMB) rechnet erst in einigen Wochen mit dem Risiko möglicher Mietrückstände durch die Corona-Krise. Derzeit gebe es kaum Anfragen von Mitgliedern, sagte Landesgeschäftsführer Randolph Fries am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist im Moment kein Thema.“ Mit Blick auf die Einkommenslage bei den Mietern betonte er, dass meistens zuerst noch Überstunden und Urlaube verrechnet würden und dann oft Kurzarbeitergeld greife. Er wies darauf hin, dass Vermieter erst beim Ausbleiben von zwei vollständigen Monatsmieten das Recht auf fristlose Kündigung hätten. Der Landesverband Niedersachsen/Bremen zählt mehr als 100 000 Mieterhaushalte als Mitglieder. Fries, der zugleich Präsidiumsmitglied des Deutschen Mieterbundes ist, sagte, dass nur etwa 50 Prozent der Vermieter große Wohnungsunternehmen seien. „Die anderen 50 Prozent sind Privateigentümer, denen die Corona-Krise möglicherweise auch zusetzt. Und denen bricht dann noch die Miete weg.“ Es sei niemandem geholfen, in diesem Falle Vermieter und Mieter gegeneinander zu hetzen. „Die meisten Mieterverhältnisse sind aber sowieso befriedet.“ Der DMB habe gemeinsam mit dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) einen „Sicher-Wohnen-Fonds“ gefordert. Daraus sollten bei Mietproblemen während der Corona-Krise Zahlungen finanziert werden. Dies bedeute aber in keinem Fall, dass die Mieter frei von Zahlung seien, betonte Fries. Mieten müssten so oder so gezahlt werden. Auf der Suche nach „individuellen“ Lösungen: Und wie geht es nun für die alleinerziehende Mutter weiter? Klankwarth versichert: „Für jeden einzelnen Mieter werden wir eine Lösung finden.“ Jeder, der die Volksheimstätte kenne, wisse das. „Sie können sich darauf verlassen, dass wir alles tun werden, um Sie in dieser schwierigen wirtschaftlichen Zeit, wo immer es gut zu unterstützen. Wir prüfen jeden Fall individuell und werden gemeinsam eine Lösung finden“, versprechen Klankwarth und Birkholz. Telefonisch ist die Volksheimstätte unter 0551 / 506740 zu erreichen. Per Mail an vh@volksheimstaette.de. Auch in Mainz hatte am Wochenende ein Schreiben der stadtnahen Wohnbau GmbH für Wirbel gesorgt, weil darin auch mitten in der Coronakrise eine Mieterhöhung bekannt gegeben wurde. In den sozialen Medien hatte es „wütende Reaktionen“ gegeben. Demnach hätten sich Mieter über Steigerungen von vier Prozent beschwert. Am Montag kündigte die Gesellschaft, sie werde „im Vorgriff auf eine mögliche Gesetzesregelung“ in Not geratenen Privatpersonen und Gewerbetreibenden die Miete stunden. Der Mainzer Sozialdezernent und Wohnbau-Aufsichtsrats-Chef Eckart Lensch (SPD) teilte mit, es habe sich um routinemäßige Erhöhungen gehandelt. Die Steigerung liege „deutlich unter den Mieterhöhungen für vergleichbare Wohnungen“, heißt es in seiner schriftlichen Stellungnahme. Der Zeitpunkt der Mitteilungen sei nun „unglücklicherweise mit der Coronakrise zusammengefallen“. Das Unternehmen mit mehr als 10.000 Wohnungen werde aber allen in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Mietern helfen: „Niemand wird seine Wohnung verlieren.“ Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Von Michael Brakemeier

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