Volle Linienbusse in Göttingen schüren Corona-Ängste

So rappelvoll wie der postcoronale TUI-Jungfernflug nach Mallorca sind die Busse im Raum Göttingen selten. Mit der schleichenden Normalisierung des Alltags und Wiederaufnahme des Schulbetriebs kann es aber auch dort zu Stoßzeiten sehr eng werden. Das stößt bei einigen Fahrgästen, darunter viele auf den Bus angewiesene und zu Risikogruppen gehörende Rentner und Senioren, auf Kritik und weckt Ängste. Der Mindestabstand von 1,50 Metern werde nur selten eingehalten, moniert Stefan Schlegelmich und berichtet von einer Busfahrt mit der Stadtbuslinie 71/72 Esebeck/Zietenterrassen. Nahezu alle Sitzplätze seien besetzt gewesen: „Und es waren nicht alles Mitglieder einer Familie.“ Am Dienstag sei er aus einem Bus der Linie 73 wieder ausgestiegen, weil er zu voll gewesen sei. Bei den Verantwortlichen stoße er auf taube Ohren, beklagt der 55-Jährige, weist auf die aktuellen Hotspots in Göttingen und das Infektionsrisiko hin. Fahrgastzahl ist nicht begrenzt: Allem Pochen auf Regelkonformität sind allerdings Grenzen gesetzt. „Zu Stoßzeiten sind keine Mindestabstände möglich“, räumt Stephanie Gallinat-Mecke ein. Nach einem zwischenzeitlichen Rückgang der Fahrgäste um mehr als 90 Prozent normalisiere sich der Busverkehr zunehmend, sagt die Sprecherin der Göttinger Verkehrsbetriebe (GöVB). Die Landesverordnung, auf die Schlegelmich verweist, sehe Mindestabstände im ÖPNV nur vor, falls sie möglich seien. Verpflichtend sei das nicht. Darauf hätten alle Verkehrsunternehmen gedrängt, da es nicht einzuhalten sei. In den Bussen der GöVB gebe es keine Einschränkungen wie gesperrte Sitzreihen oder Plätze. Schlegelmich hat dafür kein Verständnis: „Es kann nicht sein, dass die Verantwortung auf die Fahrgäste abgewälzt wird.“ Wie beim Einkaufen werde die Maskenpflicht weitestgehend akzeptiert, bei der Platzwahl würden die meisten Fahrgäste auf Abstände achten – falls der Bus nicht zu voll ist, sagt Gallinat-Mecke. Raum zum Ausweichen biete auch der Mehrzweckbereich in den Bussen: „Vieles regelt sich von selbst.“ Bei vereinzelt vorkommenden Verstößen gegen die Maskenpflicht könnten die Busfahrer auf Knopfdruck standardisierte Durchsagen schalten, ansonsten werde bei weiterer Nichtbeachtung über die Leitstelle das Ordnungsamt eingeschaltet. Leere Busse im Umland: Dass die Busfahrer auf die Maskenpflicht hinweisen, begrüßt Anne-Rose Wehe. Die 55-Jährige aus Geismar, die täglich mit dem Bus zur Arbeit pendelt, bestätigt, dass sich die meisten Fahrgäste an die Regeln halten würden: „Leider gibt es aber immer wieder Leute, die es nicht interessiert“. Die Ansagen würden immerhin befolgt, sagt eine ältere Dame aus Grone, die nach Elliehausen zur Gymnastik fahren will und mit Mund-Nasen-Schutz an der viel frequentierten Haltestelle hinter dem Alten Rathaus wartet: „Die Maske ist bei dem schwülen Wetter sehr unangenehm, aber es hilft ja nichts.“ Verständnis zeigt sie dafür, dass Mindestabstände im Bus nicht immer möglich sind. Das gilt aber auch an der Haltestelle. Dort sitzen Wartende wie Hühner auf der Stange – ohne Anstoß daran zu nehmen. Bislang keine Klagen über Verstöße sind Ute Reuter-Tonn, Sprecherin des Verkehrsverbundes Süd-Niedersachsen (VSN), zu Ohren gekommen. Auf der Homepage wird darauf hingewiesen, sich bei der Platzwahl gut zu verteilen, Alltagsmasken zu tragen und die Hygieneregeln zu beachten. Das Fahrgastaufkommen hänge von den einzelnen Linien ab, sagt Reuter-Tonn. Außerhalb Göttingens seien die Busse oftmals ziemlich leer – selbst Buslinien wie die 130 nach Rosdorf oder die Schnellbuslinie 160 nach Duderstadt. Immer mehr Busse in Südniedersachsen werden wegen der Corona-Pandemie mit Schutzscheiben für die Fahrer ausgestattet. Bei den Göttinger Verkehrsbetrieben (GöVB) ist inzwischen fast die Hälfte der 92 Busse umgerüstet worden. „Wir warten noch auf Nachlieferungen, die nach Prototypen für unterschiedliche Bustypen angefertigt werden“, sagt GöVB-Sprecherin Stephanie Gallinat-Mecke. In Bussen ohne Schutzscheibe bleibt die Vordertür geschlossen, Fahrgäste dürfen nur in der Mitte und hinten einsteigen – mit zuvor erworbener Fahrkarte. In bereits umgerüsteten und entsprechend gekennzeichneten Bussen können wieder Fahrkarten direkt beim Fahrer erworben werden, allerdings nur Einzeltickets und Tageskarten. Fahrkarten sind ansonsten sowohl im Kundenzentrum, Groner Straße 40, als auch über eine Smartphone-App erhältlich. Der Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen,, der seit einigen Wochen zusätzliche Reinigungsteams am ZOB Göttingen einsetzt, verweist auch auf die Möglichkeit, Tickets via E-Mail zu bestellen. Lesen Sie auch: Masken, Abstand, Disziplin – So halten sich die Göttinger an die Corona-Regeln Maskenpflicht und Abstand halten in Bus und Bahn Göttinger Verkehrsbetriebe: 780 000 Euro Minus in sechs Wochen Die Corona-Krise stürzt Busverkehr in finanzielle Abgründe Häufigere Reinigung, Masken für Fahrer Von Kuno Mahnkopf

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