„Wahlen stehen vor der Tür“: Schlagabtausch zum Göttinger Dragoneranger

Jetzt fehlt nur noch die Verabschiedung im Rat, dann ist das ursprünglich geplante Industriegebiet auf dem Dragoneranger in Weende vorerst Geschichte. In den Haushaltsberatungen haben sich die Mehrheitsparteien von SPD und Grüne im Göttinger Rat im Bauausschuss am Donnerstag mit ihren Änderungsanträgen für den Haushaltsplanentwurf der Verwaltung durchgesetzt. Einzig CDU und FDP stimmten dagegen. Sie sprachen sich weiterhin für ein Industrie- und Gewerbegebiet am Dragoneranger aus – wenn auch mit deutlich reduzierter Fläche. „Der Dragoneranger wird nicht als Gewerbegebiet entwickelt“, heißt es im Antrag von Rot-Grün. Und weiter: „Die Planungen von Gewerbegebieten werden unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit unter besonderer Berücksichtigung der Ökologie neu überarbeitet. Für brachliegende, nicht genutzte Gewerbeflächen soll ein Kataster erstellt werden.“ Die ursprünglich von der Verwaltung für die Jahre 2021 bis 2023 im Haushaltsentwurf eingestellten Kosten für die Erschließung des Gebietes von drei Millionen Euro haben SPD und Grüne in ihren Änderungsanträgen komplett auf null gesetzt. Das Geld soll stattdessen in Radwege, Schulen und Digitalisierung fließen. CDU wirft SPD Wendehalspolitik vor: „Die Wahlen stehen vor der Tür“, kommentierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Olaf Feuerstein den Vorstoß von SPD und Grünen. Gerade die SPD betreibe Wendehalspolitik und falle ihrem eigenen Oberbürgermeister damit in den Rücken. Feuerstein erinnerte daran, dass der Rat der Stadt Göttingen mehrheitlich – und damit mit den Stimmen von SPD und Grünen – bereits 2017 mit der Änderung des Flächennutzungsplanes die Weichen gestellt habe, das Gebiet als Industriegebiet auszuweisen. Die Verwaltung habe seitdem tausende von Arbeitsstunden in das Projekt gesteckt und die Stadt die Grundstücke angekauft, sodass sie heute im Besitz der kompletten Fläche des geplanten Industriegebietes ist. Die Verwaltung hatte stets betont, dass die Ausweisung des Industriegebiets Dragoneranger vor allem für die Firma Sibo-Beton von Bedeutung sei. Diese betreibt derzeit an der August-Spindler-Straße ein Betonwerk, das von den Grundstücken der Firma Sartorius umgeben ist. Das Betonwerk sollte am Dragoneranger einen neuen Standort bekommen, damit Sartorius weiter expandieren kann. CDU sorgt sich um den „größten Gewerbesteuerzahler der Stadt“: „Wir haben Sartorius die Zusicherung auf Erweiterung gegeben. Sartorius ist der größte Gewerbesteuerzahler der Stadt. Wollen wir den ausbremsen?“, fragte Feuerstein. Felicitas Oldenburg (FDP) folgte Feuersteins Argumentation und betonte ebenfalls die enorme Bedeutung von Sartorius für die Stadt. Wie Feuerstein schlug Oldenburg ein deutlich kleineres Gewerbegebiet am Dragoneranger vor. Einer kompletten Streichung des Gebietes könne die FDP aber keinesfalls zustimmen. Widerspruch für Feuerstein gab es von Fraktionsspitzen von SPD und Grünen, Tom Wedrins und Rolf Becker. Sartorius bekomme „immense Unterstützung“ durch die Stadt Göttingen, sagte Wedrins und erinnerte an das Schnellverfahren für den Bebauungsplan „Eisenbreite“ – für Sartorius, die Möglichkeit, sich weiter am Standort auszubreiten. SPD zitiert CDU-Oberbürgermeisterkandidat: Zudem hielt Wedrins der CDU die Aussagen ihres Oberbürgermeisterkandidaten Ehsan Kangarani vor. Der hatte etwa einen „ökologisch nachhaltigen Flächennutzungsplan mit größtmöglicher Schonung der Bodenressourcen“ als Ziel genannt. Dass Kangarani aber auch an der geplanten Umsiedlung des Betonwerkes festhält, erwähnte Wedrins nicht. Wedrins betonte zudem, dass auch der Ortsrat in Weende gegen das Industriegebiet gestimmt hatte. Es gebe in dem Ortsteil ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen das Gebiet, das nicht nur aus der Bürgerinitiative Dragoneranger bestehe. Würde dem nun nicht Rechnung getragen, „verlieren wir die gesellschaftliche Akzeptanz in Weende“, machte Wedrins deutlich. Wedrins erinnerte auch an die Februar-Sitzung des Rates. Hier hätten alle Fraktionen Anträge zum Thema Klimaschutz gestellt – auch die CDU. Und nun, drei Wochen später, so Wedrins, spielten die Argumente für mehr Klimaschutz plötzlich keine Rolle mehr. „Ich hatte gedacht, dass das inzwischen Konsens unter den Fraktionen ist“, sagte Wedrins. Grüne gegen Flächenverbrauch: „Bestes Ackerland zu asphaltieren, das geht nicht mehr“, sagte Grünen-Fraktionschef Becker. Die Landesregierung habe sich zum Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch im Land zu halbieren. „Wir müssen auch mal damit anfangen“, sagte Becker. 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Der Bauausschuss stimmte nach langer Diskussion letztlich mit sieben Ja- und drei Nein-Stimmen sowie einer Enthaltung mehrheitlich für den nach zahlreichen Änderungsanträgen aktualisierten Haushaltsplan 2021. Der Rat der Stadt entscheidet nun abschließend am Freitag, 12. März, über den städtischen Haushalt. Nicht nur den Acker gerettet: Die Bürgerinitiative (BI) Dragoneranger hat sich unterdessen erfreut über die Entwicklung und „das Umdenken“ im Rat geäußert. „Wir haben nicht nur den Acker gerettet, nun gehen auch drei Millionen Euro aus dem Stadthaushalt in Klimaschutz und Schulen – ein doppelter Gewinn“, sagt Astrid Gieske von der BI. Deike Terruhn schickt einen Dank an alle Unterstützer. „Während ich mich über diese irrsinnigen Pläne der Stadt ärgerte, bin ich nun wieder versöhnt. Wir wurden als Bürger und Bürgerinnen gehört, der Protest hat sich gelohnt.“ Das zeige, dass jeder etwas bewegen könne, so Terruhn weiter. „Es darf aber keine Hintertür offenbleiben. Wir wollen den Dragoneranger langfristig sichern – er muss mit einer erneuten Änderung des Flächennutzungsplans umgehend ins Landschaftsschutzgebiet zurückgeführt werden. Andere Mehrheitsverhältnisse im Rat nach den Wahlen im September, könnten die Versiegelungspläne schnell wieder aufleben lassen“, unterstreicht Dorothea Meldau, ebenfalls BI-Mitglied. „Gerne darf es auch ein bisschen mehr sein: Die Fläche könnte ökologisch-wirtschaftend aufgewertet werden. Hecken, Blühstreifen oder Feuchtbiotope fördern die Biodiversität. Einer der neuen Radwege könnte hier entlangführen“, fügt Terruhn hinzu. Am Sonnabend, 6. März, planen Parents for Future zwischen 14 und 15 Uhr eine Aktion zum Thema „Flächenversieglung“ am Dragoneranger, informiert die BI. Von Michael Brakemeier