Weihnachten und Corona in Göttingen: Frau Müller und die Vorfreude

„Ich mache es mir schön“, sagt Erna Müller und zeigt auf ihre Weihnachtsdekoration. Auf dem Sofa liegt das Weihnachtskissen aus der ehemaligen DDR, auf dem Couchtisch ein selbstgebastelter Adventskranz. Die Kerzen des Kranzes stellte Müller sicherheitshalber in Gläser. „Nicht dass die Zweige noch Feuer fangen – wie eines Tages der Weihnachtsbaum meiner Bekannten“, sagt sie. Müller ist 80 Jahre alt und wohnt seit etwa 60 Jahren in Grone. Damals zog sie aus Adelebsen in die Wohnung, die sich über einer Arztpraxis befindet. „Früher betrieben mein Mann und ich ein Lebensmittelgeschäft in den Ladenräumen“, sagt sie. Seit einigen Jahren befindet sie sich jedoch in Rente. An Platz fehlt es ihr in ihrer großen Wohnung nicht, in der sie heute alleine wohnt. Früher lebte sie hier mit drei Kindern und ihrem Ehemann. Die sind aber immer noch präsent: In dem langen Flur, der zu ihrem Schlafzimmer führt, hängen dutzende Familienfotos an der Wand. Positiv durch die Corona-Zeit: Die Vorweihnachtszeit werde sie trotz Corona genießen, ist sich Müller sicher. „Man muss alles positiv sehen“, sagt sie. Alleine werde sie das Weihnachtsfest nicht verbringen. Jedoch kann sie nicht wie üblich ihre beiden Söhne sehen: „Mein einer Sohn wohnt in Dubai mit seiner Familie, der wird nicht nach Göttingen fliegen können.“ Üblicherweise sei die Familie aus der Ferne aber stets zum Weihnachtsfest angereist. Ganz in der Nähe, in Esebeck, wohnt hingegen Müllers anderer Sohn mit seiner Familie. „An Heiligabend wollen sie mich in meiner Wohnung besuchen. Am ersten Weihnachtstag fahre ich wiederum nach Esebeck“, sagt sie. Insgesamt falle das Fest in diesem Jahr jedoch kleiner als gewöhnlich aus. Die Familie feiert nur im engsten Kreis. Die Corona-Pandemie bestimmt im Winter 2020/21 das Leben in Deutschland. In der Vorweihnachtszeit ist das für viele besonders deutlich zu spüren: Große Feiern mit Familie, Freunden oder Kollegen fallen aus - besonders ersteres bedeutet für manchen eine erhebliche Umstellung. Wie erleben die Menschen in Göttingen und der Region die Situation, und wie bereiten sie sich auf dieses außergewöhnliche Weihnachten vor? Dieser Frage sind die Tageblatt-Volontäre Anja Semonjek und Tammo Kohlwes nachgegangen – und haben diese Menschen getroffen: Die Familie: Kerstin und Markus Wahle aus Rosdorf und ihre fünf Töchter, die in der Krise die Weihnachtszeit auf ganz neue Weise schätzen lernen. Tipps für junge Familien in der Corona-Weihnachtszeit gibt die pädagogische Fachberaterin Bianka Degenhard. Die alleinstehende Seniorin: Erna Müller aus Göttingen, die sich von Corona nicht die Vorfreude auf die Feiertage nehmen lässt. Tipps für den Umgang mit Isolation in der Corona-Weihnachtszeit gibt Angstforscher Borwin Bandelow. Die WG: Klara Albrink und ihre Mitbewohner, die sich auf die Feiertage in gemeinsamer Selbstisolation vorbereiten. Tipps für ein harmonisches Miteinander und gegen Lagerkoller in der Corona-Weihnachtszeit gibt Konfliktmanager Jan Oberdieck. Das ältere Ehepaar: Ingeborg und Friedhelm Hesse, die in der Corona-Krise neue, alte Wege finden, mit Freunden und Verwandten in Kontakt zu bleiben. Tipps für Familien, die ihr Miteinander in der Corona-Weihnachtszeit ganz anders organisieren müssen, gibt Psychologe Bernd Schmidt. Kirche, Geschenke und Kaffee: Die Kirche besuchen, Geschenke einpacken und nachmittags Kaffee trinken – das macht Weihnachten für Müller aus. Und natürlich leckere Gerichte zubereiten: „Rehfleisch, Rotkohl und Klöße und Birnen gefüllt mit Preiselbeeren habe ich in den vergangenen Jahren gekocht. 2019 hatte ich 15 bis 20 Gäste zum Essen eingeladen“, sagt sie. Auch in diesem Jahr wird sie etwas Schmackhaftes kochen und die Kirche will sie auch besuchen. Seit einigen Jahren vermisst Müller die Veranstaltungen in der Stadthalle, die es früher in der Adventszeit gab. „Etwa zum 10. Dezember sind vor allem die älteren Bewohner aus Göttingen dort stets zusammengekommen“, erinnert sich Müller. Die Stadthalle sei dann voll mit Menschen gewesen. Festlich sei die Stimmung dadurch gewesen, dass der Oberbürgermeister eine Rede gehalten habe, Chorgesänge hätten zudem für eine besinnliche Atmosphäre gesorgt. „Jeder Besucher bekam außerdem einen Weihnachtsstern geschenkt.“ Corona stellt alle vor Herausforderungen, doch manche Gruppen ganz besonders. Vielen älteren Menschen stehen eine ganz andere Weihnachtszeit und ein ganz anderes Weihnachten bevor als sonst. Das kann unter Umständen problematisch werden: Wie umgehen mit fehlendem Kontakt zur Familie? Das Tageblatt hat einen Experten gefragt: Angstforscher Borwin Bandelow erklärt, warum die Situation durchaus Angst machen kann – und was gegen die Furcht vor der Isolation hilft. Lesen Sie auch Weihnachten und Silvester: Sind Corona-Lockerungen über die Feiertage haltbar? Corona: Darf ich meine Familie an Weihnachten besuchen? Corona: Weihnachten 2020 wird ein Fest der Improvisation Weihnachten: So vermeiden Sie Corona-Stress Corona: Quarantäne vor Weihnachten? Corona-Weihnachten 2020: So wird es dieses Jahr trotzdem ein besinnliches Fest Freizeitgestaltung während des Lockdowns: Müller macht es sich nicht nur zur Vorweihnachtszeit schön: Auch an Ideen, was sie in Zeiten des Lockdowns unternehmen kann, fehlt es ihr nicht. „Sicher, es ist vieles anders, ich würde zum Beispiel mal wieder gerne schwimmen gehen. Oder tanzen – das mache ich sehr gerne. Aber das geht halt nicht.“ Mit dem Fahrrad könne sie aber immer noch unterwegs sein, oder zu Fuß, sie könne noch kochen und Kekse backen oder „Rote Rosen“ schauen. Außerdem komme ihr Sohn aus Esebeck jeden Morgen gegen sechs Uhr vorbei, um einen Kaffee mit ihr zu trinken. „Axel arbeitet in Hannover. Daher fährt er morgens mit dem Auto aus Esebeck zu mir, lässt das Auto hier stehen und fährt dann mit dem Rad zum Bahnhof“, sagt sie. Positiv gestimmt ist Müller nicht zuletzt aufgrund einer jungen Nachricht: Schon bald sollen Risikogruppen gegen Corona geimpft werden. „Ich würde mich sofort impfen lassen“, sagt sie. Von Anja Semonjek