Wildbienen: 300 bedrohte Arten in Göttingen

Biene ist nicht gleich Biene. Die Honigbiene kennt fast jeder, Wildbienen eher nicht. Dabei sind es vor allem die Wildbienen, die in ihrem Bestand bedroht sind. Jede zweite Art ist ausgestorben oder bedroht. In Göttingen gibt es eine Gruppe von Biologen und Naturschützern, die sich um die Wildbienen kümmert, den Arbeitskreis Wildbienen. Mahr als 100 heimische Arten bedroht: „Die Honigbiene ist ein Haustier, ihr Bestand wird von ihren Imkern geregelt”, sagt Fionn Pape vom Arbeitskreis. Die Wildbienen hingegen seien komplett von der Natur abhängig. Denn: „Die Tiere sind oft so spezialisiert, dass ihr Überleben an einer einzigen Pflanze hängt”, sagt Thomas Fechtler. Das heißt, wenn eine Nahrungspflanze wie beispielsweise eine spezielle Glockenblume in der freien Landschaft verschwindet, verschwindet auch die passende Biene. „Wildbienen sind wichtigere Bestäuber als Honigbienen“, so Pape. Ein Drittel der Wildbienen sei aber auf nur eine Blüte spezialisiert, so Annika Haß. Eine Folge: Mehr als jede zweite der fast 600 Wildbienenarten in Deutschland ist bereits ausgestorben oder ist bedroht. „Auf der Gesamtartenliste stehen in Niedersachsen mehr als 341 Wildbienenarten, davon sind 62 Prozent gefährdet oder bereits ausgestorben“, sagt Pape. Da die meisten Arten auch in und um Göttingen zu finden seien, sind in der Region laut Pape „rund 100 Arten,“ gefährdet. Die Göttinger Naturschützer setzt sich deshalb besonders für diese Insekten ein. Und ihrer Meinung nach reichen Blühstreifen allein nicht aus. In den herkömmlichen Blütenstreifen sei nur eine begrenzte Anzahl an heimischen Blütenpflanzen enthalten. Blüten, die die hoch spezialisierten Wildbienen benötigen, kommen in den Saatmischungen oftmals nicht vor. „Herkömmliche Blühstreifen helfen also nur wenigen Spezies”, so Fechtler. „Ganz wichtig für die Wildbienen ist beispielsweise auch die Erhaltung der Nisthabitate”, sagt Fechtler. 75 Prozent der Wildbienen nisten in Boden, Böschungen, an Wegrainen und anderen Möglichkeiten. Alten Steinbrüche und Sandgruben seien ebenso wichtig wie artenreiche Futter-Biotope. Fechtler nennt als Beispiel die Kalkmagaerrasenflächen des Kerstlingeröder Feldes und die Rasenhänge bei Roringen. 120 Arten auf einem Feld: Und: „Extensive Landwirtschaft tut den Bienen gut”, sagt Pape. Der Biologe hat bereits zahlreiche Flächen untersucht. Als gutes Beispiel nennt er ein Weizenfeld zwischen Reckershausen und Friedland, das vor wenigen Wochen noch aussah, als wäre es ein Mohnfeld. „Ackerwildkrautschutz” sei deshalb eine wichtige Maßnahme. „Rund 120 Pflanzenarten kommen auf solchen Feldern vor”, sagt Pape. Die Landwirte bekämen bis zu 1400 Euro pro Jahr und Hektar für diese Agrarumweltmaßnahme. Die Wildbienenschützer setzen sich dafür ein, dass halbnatürliche Habitate wie Magerrasen, artenreichem Grünland und trockene Waldränder erhalten werden. Auch die Förderung extensiver Beweidung und die Erhaltung artenreichen Grünlands sei wichtig. Heimische Wildkräuter, so Pape, wachsen dann, wenn auf Düngung und Biozide verzichtet wird. Doch jeder kann etwas für den Wildbienen tun. Im Alten Botanischen Garten, dort, wo das Viktoriahaus stand, haben die Wildbienenschützer eine andere Art Blühstreifen angelegt, wie er auch in Gärten wachsen kann. Dort wachsen Disteln, Wicken und andere Pflanzen, die auf den ersten Blick wie eine große Unkrautwüste wirken. Der Eindruck täuscht: Auf fast jeder der Blüten brummt und summt es. Honigbienen aber auch Wildbienen, wilde Wespen, Schwebfliegen und andere Insekten konkurrieren dort um die besten Pollen. „Wichtig für die Wildbienen ist, welche Blumen wachsen”, sagt Haß. Mohn, Kornblumen, wilde Möhre, Senf, Glockenblumen: Was für die Biodiversität draußen gut ist, funktioniert auch in vielen Gärten. Aber: „In der Stadt alleine werden wir die Biodiversität nicht retten können”, sagt Pape. Eine von vielen Flächen im Landkreis Göttingen, die den Wildbienen guttut, ist der Weizenacker von Stefan Lott an der Kreuzung der B 27 bei Reckershausen und Friedland. Anfang Juni stand er in voller Mohnblüte, viele Autofahrer legten dort einen Fotostopp ein. Das Feld ist nicht nur schön anzuschauen, es bietet auch Futter für Wildbienen. Der Mohn ist verblüht, jetzt blühen die Kornblumen, Ackerrittersporn und die Kratzdistel. Heimische Arten für heimische Insekten. Lott ist Landwirt in der Betriebsgemeinschaft Leinetal, zwölf Hektar Fläche haben die Bauern im Ackerwildkraut Programm. „Wir bringen dort weder Stickstoffdünger noch Pflanzenschutzmittel aus“, sagt Lott. Durch das Programm bekomme er eine Ausgleichszahlung dafür, dass dort der Naturschutz Vorrang vor dem Ertrag hat. Der Weizen, der dort wächst, wird nicht geerntet, sondern gemäht und untergemulcht. Begonnen habe auf der Reckershäuser Fläche alles mit dem Fund der der seltenen Pflanze „Rundblättriges Hasenohr“ durch die Uni Göttingen, sagt Lott. Und auch den Bienen kommt das Programm entgegen: „Auf der Fläche von Stefan Lott kommt eine in Niedersachsen vom Aussterben bedrohte Art vor, nämlich Halictus quadricinctus, die Vierbindige Furchenbiene“, so Biologe Fionn Pape. Von Britta Bielefeld

Insektenschutz - Wildbienen: 100 bedrohte Arten im Landkreis Göttingen