Wischmeyers Logbuch: Deutschland ist geliefert

Vorbei die Zeit, da man für jede Kleinigkeit in die Einkaufszone dackeln mußte, nur um sich den ewig gleichen Spruch des Ladenschwengels anzuhören: „Wir haben nur, was da steht.“ Noch unwirklicher aus heutiger Sicht erscheint das vermeintliche Service-Angebot: „Könnte ich Ihnen bestellen, müssen sie aber vorher bezahlen.“ Es klingt wie ein Echo aus der letzten Zwischeneiszeit. Allerdings hat sich urplötzlich die Möglichkeit, per online-Bestellung die halbe Welt ins Haus zu holen, in einen Zwang verwandelt. Jetzt ist Deutschland komplett geliefert. Nicht mal zum Kauf der Nordmann-Tanne durfte man ausrücken und sich ambulant ein paar Lumumba einpfeifen. Wie schnell doch aus Komfort Beschwernis werden kann. So wollten wirs nun auch wieder nicht, alles nur im Internet kaufen, jeden Tag -zig Pakete in der Nachbarschaft zusammensuchen und unter Bergen von Luftpolsterfolie, Styroporflocken und Pappkartons ersticken. Früher oft verhöhnt und von selbsternannten „Bewußten“ ohnehin gemieden fangen wir jetzt an, der stinknormalen deutschen Fußgängerzone nachzuweinen. So grottenschlecht haben die Pseudo-Inkas nun auch wieder nicht auf ihrer Panikflöte rumgehustet, das war sogar recht schön und vermählte sich mit dem Glühweinbrodem zu einem Festival der Sinne. Es hockten bettelnde Frauen aus Transsylvanien auf dem Waschbeton, fremdländische Gestalten mit einem befreundeten Lama im Gefolge baten höflich um Futter. Es gab der ansonsten recht nüchternen Einkaufsmeile ein paar folkloristische Farbtupfer und ließ uns erhaben zwischen den darbenden Randgruppenmenschen einherschreiten. Es war wohl das, was wir damals als „Einkaufserlebnis“ bezeichneten. - Alles hinfort, und es kommt wohl auch nicht mehr zurück. Der Hammer-Lockdown führt beim Ladenlurch zum Breakdown und das Lama und seine Freunde hoffen wie wir alle auf die Fata Morgan, oder prosaisch ausgedrückt den „Beschiß“ namens „Novemberhilfe“. Händeringend suchen City-Manager und Einzelhandelsvertreter nach neuen Aufgaben, seitdem in Deutschland alles geliefert ist. Was soll aus unserem Pracht-Boulevard der Gewöhnlichkeit bloß werden, wie wird man den scheuen Konsumenten aus seiner Höhle, hinter dem Bildschirm wieder hervorlocken können, wenn dereinst in ferner Zukunft die Zone wieder geöffnet hat. Ich hätte da eine Idee: Garantiert den Kunden, daß sie euch nicht bewerten müssen, versichert ihnen, daß sie keine Vorschläge für angeblich vergleichbare Artikel erhalten und gestattet ihnen, die Ware in menschenwürdiger Umgebung selbst abholen zu dürfen statt aus einer Packstation im Nieselregen. Dann wird vielleicht sogar das Lama in die Fußgängerzone zurückkehren. Das neue Buch von Dietmar Wischmeyer: „Günther - Aufgewachsen unter Niedersachsen“ ist ab sofort im Handel oder unter www.fsr-shop.de erhältlich. Von Dietmar Wischmeyer