Wischmeyers Logbuch: Lob der Exformation

Wer will das alles wissen, was uns täglich um die Ohren und Augen gehauen wird. Wir erhalten zuviel Informationen über das, was Idioten denken, und lähmen damit die letzten Schlauen. Dagegen ist der gekenterte Getreidesack im Reich der Mitte noch eine der angenehmsten Nachrichten, denn er gehört zur Kategorie „irrelevant“. Unangenehm und richtige Rezeptions-Zeitfresser sind die Verlautbarungs-Worthülsen der Politiker, die uns täglich in Tagesschau und Heute anwanzen: „Rhabarber, rhabarber“, forderte Minister Dingenskirchen, „Blablabla“, versicherte dagegen Pressesprecher Mustermann. Wen interessiert das Pingpong-Gefussel, mit dem uns die veröffentlichte Meinung maltraitiert. Doch sie steckt in einem Dilemma, kreißt eine Hinterbankmumie zu einem kontroversen Thema einen Furz, müssen der Parität halber die Absonderungen der politischen Gegner auch gemeldet werden. „Gähn“, sagt sich der Zuschauer und wechselt zu einem Kanal mit LKW, die im Schlamm rumorgeln. Die Belanglosigkeit des politischen Hülsensprechs läßt uns einschlafen, ihr Gegenteil allerdings ebenso, es ist der permanente Alarmismus der Breaking News und des Brennpunkt-Journalismus. Lesen Sie auch: Wischmeyers Logbuch: Von Andi Scheuer und seinen bescheuerten Ideen Kein Flächenbrand im Cortex: Das menschliche Hirn ist für dieses Dauerfeuer nicht gemacht. Um im Cortex keinen Flächenbrand zu entfachen, muß es ständig 90% aller Informationen, die ihm die Sinne zutragen, ignorieren. Alles, was nicht wichtig für das augenblickliche Überleben ist, wird beiseite geschoben. Deshalb haben es auch Themen wie Klimawandel, Überbevölkerung oder Artensterben so schwer, sie sind im Augenblick ihrer Wahrnehmung als Nachricht für das Überleben irrelevant. Erst wenn wir sie mehrfach mental wiedergekäut haben, erreichen sie uns auch emotional. Bei fast allen dieser Meldungen folgt darauf eine Ohnmachtserfahrung. Nur sehr selten steht es in unserer Macht, angemessen darauf zu reagieren. Der Regenwald am Amazonas wird vernichtet, die Biene stirbt, Mikroplastik ist im Blattsalat und was jetzt? Der Abfluß ist verstopft, das ist eine relevante Breaking News. Simplify your life gilt auch und gerade für den Durchsatz im Großrechner unterm Pony. Doch sollte man es bewußt tun und niemals vergessen, daß die Welt „an sich“ komplexer ist, als man es jetzt gerade gebrauchen kann, sonst landet man bei den Verschwörungsidioten. Lesen Sie auch: Baller-Pandemie Aus der Physik wissen wir, daß nicht nur Reduktion zur Eintönigkeit führt, sondern auch das Überangebot. „Weißes Rauschen“ und „Wärmetod“ gibt es auch im Zufluß an Informationen. Je mehr notwendigerweise auch widersprüchlicher Details zum Covid-19-Virus in einem Individuum zusammenkommen, desto orientierungsloser wird sein Handeln. Deshalb fährt man mit kontrollierter Exformation besser als der Info-Junkie mit seiner Sucht nach ständig erhöhter Dosis relevanter Nachrichten. Und nun hab‘ ich Durst. Lesen Sie auch: Was kann nach dem Göttinger Tageblatt noch kommen, Dietmar Wischmeyer? Mehr von Dietmar Wischmeyer gibt es unter www.wischmeyer.de. Von Dietmar Wischmeyer