Wischmeyers Logbuch: Schöpferische Zerstörung

„Macht kaputt, was Euch kaputt macht“, ist die populäre Version dessen, was in der Ökonomie „schöpferische Zerstörung“ genannt wird, aber höchstwahrscheinlich anders gemeint ist. Der Kapitalismus in seiner ganzen Erhabenheit entfaltet sich immer wieder neu, wenn zuweilen die Reset-Taste gedrückt wird. Nur wenn einer das Geschirr zerschlägt, kaufen sich alle neue Tassen. Ab und an muß aber auch der ganze Porzellanladen dran glauben, damit was Neues entsteht. Warum will nur der Einzelhändler in der Innenstadt nicht einsehen, daß seine Insolvenz der gerechten Sache dient? Selbst Gott, der Herr, hat in der Sintflut mal reinen Tisch gemacht, damit die alten Strukturen zerschlagen werden. Und hätte nicht ein Meteorit die verdammten Saurier umgebracht, wären wir heute noch mickrige Beutelratten, die als eine Art SPD der Evolution um ihr Überleben bangten. Lesen Sie auch: Urlaub woanders: Dietmar Wischmeyer über die Zeit ohne Arbeit Es spricht eigentlich alles dafür, daß nicht nur in der Ökonomie, sondern in allen menschlichen Bereichen die Zerstörung die Mutter des Fortschritts ist. Zwei winzige Probleme gäb‘s da nur noch zu lösen, sobald die Bereitschaft zum Kaputtkloppen da ist. Das Alte darf nicht zu alt sein; weder die Zerstörung von Palmyra durch den IS noch das Schleifen der Buddhastatuen von Bamiyan durch die Taliban haben moderne Gesellschaften hervorgebracht. Und ich nehme an, daß auch das Bismarck-Denkmal in Hamburg ruhig stehenbleiben kann, ohne den gesellschaftlichen Fortschritt unter den autonomen Kräften der Hansestadt groß zu behindern. Lesen Sie auch: Schöne neue Wörter: Dietmar Wischmeyer zum „Schönsprech“ der Politiker Zum anderen findet sich bei den vom Fortschritt Weggeputzten leider auch wenig Verständnis für ihr systemrelevantes Menschenopfer. Wenn doch nur mehr Einsicht vorhanden wäre für die Naturgesetze der permanenten kreativen Destruktion des Kapitalismus, dann würde sich die Karstadt-Verkäuferin vielleicht mit einem Lächeln in ihr Schwert stürzen. Wir alle würden Amazon viel Glück wünschen auf dem Marsch durch die Institutionen, statt nur so zu tun, als würden wir dort nicht einkaufen. Aber nein, der Mensch verharrt in seiner zugemüffelten Komfortzone, statt sich zu freuen, daß sein Lebensmodell einem viel neueren weichen muß, allerdings dann ohne ihn. Die Parteien, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Kleinfamilien ja selbst die Geschlechter – das sind doch alles alte Zöpfe, die längst abgeschnitten gehören. Oder wollen wir etwa die Frösche fragen, bevor wir den Teich ablassen? Also her mit der schöpferischen Zerstörung: auf ein Neues, hurra hurra die Schule brennt, und wenn alle tot sind, haben wir die totale Herdenimmunität. – Manchmal ist es eben auch einfach nur Zerstörung und wenig schöpferisch. Mehr von Dietmar Wischmeyer gibt es unter www.wischmeyer.de Von Dietmar Wischmeyer