Protest gegen privates Bauvorhaben am Rande der Innenstadt von Hardegsen

Ein Privatgrundstück auf Höhe der einstigen Stadtmauer soll in Hardegsen bebaut werden. Die Pläne sorgen für Protest von Anwohnern, die inzwischen von mehr als 500 Hardegsern unterstützt werden. Am Donnerstag, 18. Juni, werden Mitglieder von Stadtrat und Verwaltung über die Bauvoranfrage diskutieren. Klein-Frankreich wird im Volksmund die Straßenzeile genannt, die die Adresse Hinterstraße hat. Für eines der hinteren Grundstücke, das jahrelang Grünbrache war und am Rand mit einer Doppelgarage bebaut ist, hat die Stadtverwaltung eine überarbeitete Bauvoranfrage zur Entscheidung erhalten. Für das Areal in Privatbesitz zwischen Hinterstraße und dem Fußweg Wahlgasse ist ein zweiteiliges Gebäude, das neun oder zehn Wohneinheiten erhalten soll, geplant. In diesem Jahr haben die Hinterstraßen-Anwohner von den Bauplänen erfahren. Sechs Familien haben sich zusammengetan, weil sie „den besonderen Charakter dieser Straße erhalten wollen“, so Dagmar Heitmüller. Der Blick auf die Reihe der denkmalgeschützten Fachwerkhäuser ist nach Ansicht der meist alteingesessenen Eigentümer durch den Neubau beeinträchtigt. Und sie halten „die Größenordnung des Vorhabens für völlig überdimensioniert – so ist das eine Katastrophe“, sagt Andreas Jedamzik. Um zwei Meter werde der Neubau den First seines Hauses in direkter Nachbarschaft überragen, erklärt der Hausbesitzer mit Blick auf ihm vorliegende Baupläne. Zweiteiliger Neubau: Die Entwürfe eines Duderstädter Architekturbüros wurden überarbeitet: Statt des zuerst geplanten kompakten Gebäudes mit bis zu elf Wohneinheiten und bis zu 16 Fahrzeug-Stellplätzen geht es inzwischen um einen zweiteiligen Neubau mit bis zu zehn Wohneinheiten und zwölf Stellplätzen. Der Landkreis Northeim hat die Pläne als genehmigungsfähig beurteilt – auch mit Blick auf das denkmalgeschützte Ensemble in der Nachbarschaft und die Einwände von den Bürgern. Die Stadt Hardegsen hat nun gemeindliches Einvernehmen zu erklären. Bürgermeister Michael Kaiser (parteilos) kündigte am Dienstag auf Tageblatt-Anfrage an, er werde dem Fachausschuss und dem Stadtrat vorschlagen, das gemeindliche Einvernehmen herzustellen. Das Bauprojekt ist nach Ansicht des Bürgermeisters eine Ergänzung der Altstadt-Randbebauung und folge den Anforderungen des Gesetzgebers, statt neuer Flächenversiegelung der Innenverdichtung und Nachbebauung den Vorrang zu geben. Kaiser gibt zu bedenken, dass der Flächennutzungsplan auch eine gewerbliche Nutzung des Geländes zulasse. Baukulturelles Erbe: Die Anwohner seien lange Zeit der Meinung gewesen, so Jedamzik, dass das Grünland in Privatbesitz nicht bebaut werden dürfe. Darunter fließe teils verrohrt der Schöttelbach und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts sei dort ein Friedhof gewesen, berichtet Jedamzik und beruft sich auf den ehemaligen Stadtarchivar. Der Grüngürtel vor der einstigen Stadtmauer, die in den Fundamenten und Mauern der Häuser teilweise noch sichtbar ist, sollte erhalten bleiben, wünschen sich die Anwohner. Und wenn nicht, dann sollte ein deutlich kleineres und der Umgebung angepasstes Gebäude entstehen, fordert Anwohnerin Heitmüller. Sie befürchtet, dass die gewachsene Struktur durch den Neubau gravierend verändert wird. Was jetzt vorgestellt werde, entspreche nicht dem Leitbild der Stadt Hardegsen, wonach „das baukulturelle Erbe der Region in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen und zu erhalten“ ist. Wie Heitmüller befürchtet auch Nachbarin Sieglinde Schulz, dass die von der Lange Straße abzweigende Einbahnstraße „eine Mausefalle wird“. Die Stellplätze neben dem Neubau seien knapp bemessen, die Erreichbarkeit des Gebäudes für Müllabfuhr und Feuerwehr ebenso. Und, das vermuten die Nachbarn, schon die Bauarbeiten zeigen werden, dass die Erreichbarkeit der Baustelle für Baufahrzeuge mehr als schwierig werden wird bei einer Breite der Straße von 3,36 Meter an der der Grundstückeinfahrt nächstgelegenen engsten Stelle. Ortstermin am Donnerstag: Da es unterschiedliche Meinungen zu dem Bauvorhaben gibt, will Bürgermeister Kaiser das Verfahren durch die Debatte in den Ratsgremien transparent machen. „Nachbarschaftsbelange sind zu würdigen. Und das ist unabhängig von der Vehemenz des Vortrags zu gewährleisten“, so Kaiser, der darauf verweist, dass normalerweise für eine Bauvoranfrage wie die vorliegende eine Entscheidung der Stadtverwaltung ausreichend ist. Am Donnerstag, 18. Juni 2020, kommen die Mitglieder des Auschusses für Stadtplanung, Bauen und Umwelt um 17.15 Uhr an dem Grundstück Hinterstraße 4 zusammen. Anschließend wird die Sitzung im Musikraum der Grundschule, Am Gladeberg 5, fortgesetzt. Der siebenjährige Krieg machte auch vor Hardegsen nicht Halt. Und nach dem Ende des Krieges im Jahr 1763 zogen nicht alle Soldaten wieder ab, sondern ließen sich in der Stadt nieder. In der Hinterstraße sollen vor allem französische Soldaten eine Unterkunft gefunden und sich ihren Lebensunterhalt als Eseltreiber verdient haben. Das gab dem Viertel den Namen Klein-Frankreich. Dort stehen heute noch die meisten der damaligen Gebäude. Deren Besitzer machen seit Tagen in Hardegsen mit einer Protestaktion auf sich aufmerksam und informieren in Flyern: Per Online-Petition und Unterschriftensammlung fordern sie Unterstützung für ihr Anliegen, dass ein Grundstück in zweiter Reihe der Hinterstraße nicht wie in einer der Stadtverwaltung zur Entscheidung vorliegenden Bauvoranfrage umgesetzt wird. Für den Ortstermin der Rats- und Verwaltungsmitglieder am Donnerstag, 18. Juni, um 17.15 Uhr auf dem Grundstück ist „stiller Protest“ angekündigt. Die Autorin erreichen Sie per E-Mail an a.bruenjes@goettinger-tageblatt.de Lesen Sie auch: Tierärzte wollen Schulbauernhof Hardegsen mit Impferlösen unterstützen Schwertransport zum Umspannwerk Rosdorf Zehn Morde an Frauen in Niedersachsen – und ihre Geschichte „Rekordniveau“: Hier investiert die Stadt Hardegsen im kommenden Jahr Von Angela Brünjes

Neubau in Hardegsens Innenstadt - Protest gegen Baupläne an der Stadtmauer