Staatsanwaltschaft Göttingen weist Vorwürfe gegen Northeimer Polizei zurück

Die Polizei Northeim hat bei der Bearbeitung von Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern keinerlei Fehler begangen, die strafrechtlich relevant sein könnten. Das ist das Ergebnis einer Prüfung durch die Staatsanwaltschaft Göttingen. Die Staatsanwaltschaft war tätig geworden, nachdem das niedersächsische Innenministerium Anfang Februar den Innenausschuss des Landtages über angeblich erhebliche Versäumnisse der Polizeiinspektion Northeim bei Verfahren unterrichtet hatte, bei denen es einen Bezug zu den Missbrauchsfällen auf dem Campingplatz in Lügde gab. Landespolizeipräsident Axel Brockmann hatte insbesondere moniert, dass die Polizei Hinweise vom Jugendamt Northeim auf auffällige Familien nicht eigenständig bearbeitet und auch nicht an die Staatsanwaltschaft Göttingen weitergeleitet hatte. Das alleinige Weiterreichen von Informationen an die zuständige Polizei in Nordrhein-Westfalen sei nicht ausreichend gewesen, hieß es seitens des Innenministeriums. Hätte die Northeimer Polizei die Informationen weitergeleitet, hätte die Staatsanwaltschaft Göttingen bereits Anfang April 2019 einen Anfangsverdacht gegen namentlich bekannte Männer prüfen und gegebenenfalls Folgemaßnahmen einleiten können. Damit hätten möglicherweise weitere Missbrauchstaten verhindert werden können. Kein Grund für ein Ermittlungsverfahren: Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Göttingen stand damit der Verdacht der Strafvereitelung oder der Körperverletzung im Amt im Raum. Die Strafverfolgungsbehörde habe deshalb den Fall überprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinen Grund gebe, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Eine umgehende Einschaltung der Staatsanwaltschaft Göttingen hätte aller Voraussicht nach zu keinem anderen Ergebnis geführt, als es die Bearbeitung durch die Staatsanwaltschaft Detmold gebracht habe. Die Northeimer Polizei hatte im April 2019 Hinweise des Jugendamtes erhalten. Da es offenbar einen Bezug zu den Missbrauchsfällen auf den Campingplatz in Lügde gab, leitete die Polizei die Informationen an die Polizei Bielefeld weiter, die den gesamten Ermittlungskomplex bearbeitete. Die Hinweise des Jugendamtes seien zwar besorgniserregend gewesen, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Göttingen, Andreas Buick. Zu der Zeit habe jedoch kein Anfangsverdacht wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Bereich der Polizeiinspektion Northeim bestanden. Somit habe auch keine konkrete Gefahr angenommen werden können, die Polizei und Jugendamt zum Eingreifen gezwungen hätte. Die Beschäftigung mit den Informationen des Jugendamtes hätte zwar „möglicherweise polizeiintern etwas intensiver ausfallen können“, strafrechtlich sei dies jedoch irrelevant. Eine Pflicht zur Information der Staatsanwaltschaft Göttingen sei rechtlich nicht zu begründen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte man die Staatsanwaltschaft Detmold kontaktiert, aber keine eigenen Maßnahmen eingeleitet. Ermittlungen führen zu zwei Anklagen: Später ergab sich bei den Ermittlungen im Lügde-Komplex ein Verdacht auf Missbrauchstaten auch im Landkreis Northeim. Die Staatsanwaltschaft Göttingen habe dann im März und Mai 2020 die von der Staatsanwaltschaft Detmold eingeleiteten Verfahren übernommen, sagte Buick. Die Ermittlungen der Polizei Northeim mündeten inzwischen in zwei Anklagen. Ein Tatverdächtiger, ein 49-jähriger Mann aus einem Dorf im Solling, soll ein Bekannter eines der Haupttäter von Lügde sein. Dieser muss sich seit September vor dem Landgericht Göttingen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verantworten. Der zweite Angeschuldigte ist ein 42-jähriger Mann aus dem Landkreis Holzminden. Der Göttinger Rechtsanwalt Steffen Hörning, der in dem derzeit laufenden Missbrauchsprozess als Nebenklagevertreter auftritt, zeigte sich erfreut über das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Prüfung. Er war über die Vorwürfe gegen die Northeimer Ermittler völlig überrascht gewesen und sieht sich nun in seiner Einschätzung bestätigt: „Es gab zu keinem Zeitpunkt irgendein Versagen irgendwelcher Personen der Polizeiinspektion Northeim“, sagte er. Die in Rede stehenden Fehler der Polizei Northeim fallen in die Amtszeit des Göttinger Polizeipräsidenten Uwe Lührig. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte den CDU-Mann Lührig Ende Februar überraschend vorzeitig in den Ruhestand versetzt – mit der nötigen Zustimmung der niedersächsischen Landesregierung. Eine offizielle Begründung für diesen Schritt gibt es nicht. Der NDR hatte unter Berufung auf Politikkreise damals berichtet, dass Lührig vorgeworfen worden sein soll, für Fehler bei Ermittlungen im sogenannten Northeimer Missbrauchsskandal verantwortlich zu sein. Von Heidi Niemann