Herzberger im TV zu sehen: „Bestatter Leiminger und der Tote vom Glockenturm“

Wer Otto Henschel gut kennt, wird sicher jederzeit bestätigen, dass der Mann Film-Qualitäten hat. Allein durch sein Auftreten: Der großgewachsene Rolling-Stones-Fan mit langen Haaren und einer schon im Habitus erkennbaren Begeisterung für Motorräder wäre leicht in einem Tarantino-Streifen einzusetzen. Als Rocker. Oder als Gangster-Boss. Oder, besonders effektvoll, als cooler Bestatter von Halbwelt-Figuren. Da könnte Henschel dann auch gleich seine Fachkenntnis einbringen, um die Szenen möglichst realistisch zu gestalten. Schließlich ist das sein Beruf: Der Herzberger führt in vierter Generation ein Bestattungsinstitut. Und jetzt ist er damit tatsächlich zu einem Engagement beim Film gekommen: Er hat eine Komparsenrolle als Bestatter in der fünften Episode von „Harter Brocken“ mit Aljoscha Stadelmann alias Frank Koops, die in St. Andreasberg gedreht wurde. Wobei er noch gar nicht wisse, wie viel von seinem Auftritt tatsächlich im fertigen Film zu sehen ist, sagt Henschel im Gespräch mit unserer Zeitung: „Ich bin gespannt, was von mir gezeigt wird, alles – oder gar nichts“, sagt er schmunzelnd. Die ganze Szene, in der er auftaucht, habe etwa eine Minute gedauert. Was davon nach dem Schnitt übrig geblieben ist, können er und alle interessierten Zuschauer am Donnerstag ab 20.15 Uhr im Ersten herausfinden, oder schon ab Montag in der ARD-Mediathek. Henschels alter Leichenwagen brachte ihm die Rolle: Obwohl Henschel bekannt ist wie der redensartliche bunte Hund – in Herzberg jedenfalls – war er nicht die erste Wahl des Castingteams der Produktionsfirma: „Die haben bei meiner Kollegin Petra Reuter in Scharzfeld angerufen. Sie brauchten einen Leichenwagen und einen Komparsen.“ Und nun zahlte sich Henschels Liebe zu alten Autos aus, die sich auch in seinem Dienstwagen widerspiegelt. „Die haben einen klassischen Leichenwagen gesucht, aber sie hatte nur einen Modernen.“ Die meisten Bestatter, so auch die Scharzfelder Kollegin, würden heute umgebaute Kleinbusse oder Transporter verwenden, erläutert er. Die seien in der Anschaffung einfach günstiger, als die aufwendig umgebauten Autos, die man als Leichenwagen sofort an ihrem aufgesetzten Kastenaufbau mit Gardinen verhängten Fenstern erkennt. Henschels Bestattungskraftwagen, ein umgebauter Mercedes-Benz der unter Kennern sehr geschätzten Baureihe W124, Baujahr 1991, den er nur behalte, weil er daran hänge, entsprach genau den Vorstellungen – und so kamen die Filmleute auf Henschel zu: „Können Sie mit dem Wagen dann und dann in Andreasberg sein, haben sie gefragt. Ich sollte dann auch Komparse sein. Und ich sollte einen Notsarg mitbringen“, erzählt er. Ein Notsarg, auch Unfall- oder Zinksarg genannt, ist ein spezieller Sarg zum Transport einer Leiche – die meisten Fernsehkrimi-Fans kennen das: „Die sind in jedem Tatort zu sehen“, weiß der Bestatter. Bevor Henschel endgültig engagiert wurde, wurden er, sein Wagen und der sogenannte Notsarg aber noch auf Filmtauglichkeit gecheckt. Dazu musste Henschel Fotos an eine Mitarbeiterin vom Casting schicken. „Den Reklameschriftzug auf dem Wagen wollten sie entfernen, aber der ist lackiert. Ich habe gesagt: Das kommt nicht infrage. Sie haben dann ein Schild drüber geklebt: Bestattungen Leiminger. Die wollten wohl nicht, das ich Werbung mache“, erzählt er augenzwinkernd. So kam Henschel auch zu einem Film-Namen. Zwei Drehtage in St. Andreasberg: Der Herzberger wurde für zwei Drehtage nach St. Andreasberg bestellt. Vor Ort spielte ein Mitglied des Filmteams dann seine Assistentin. Das Drehbuch sah folgenden Auftritt für ihn vor: Henschel alias Leiminger sollte mit dem Wagen am bekannten Glockenturm der Bergstadt vorfahren. „Wir sollten dann den Notsarg etwa 50 Meter um den Turm herum tragen. Da lag ein Schauspieler auf dem Bauch – die Leiche. Die war vom Dach gefallen. Wir sollten ihn umdrehen und in den Sarg legen. Deckel drauf, anheben und die 50 Meter zum Auto zurück, das dort mit offener Heckklappe stand. Und gerade als wir wegfahren wollen, ruft Aljoscha Stadelmann dann: ‚Halt! Wir müssen noch eine Gesichtserkennung am Handy machen.‘“ Der Tote trägt nämlich ein Mobiltelefon bei sich, das nur durch ein Foto seines Besitzers freigeschaltet werden kann, erklärt Henschel den Zusammenhang. Und die Polizisten benötigten Zugriff auf die Daten. „Aljoscha macht dann ein Foto vom Gesicht der Leiche im Sarg, er öffnet ihr sogar ein Auge.“ Für die Rubrik „Fehler im Film“: Eigentlich werde ein Toter immer mit dem Kopf zur Fahrzeugfront, zum Fahrer hin, in den Wagen geschoben, erläutert Henschel. Um der Handlung willen – aber von der Bestatterpraxis abweichend – wurde das in diesem Fall andersherum gemacht. Dann war Henschels Szene vorbei. „Wegfahren brauchte ich nicht.“ Sprechen auch nicht. Keine Sprechrolle - aber dafür schwer zu tragen: Doch beendet waren die Dreharbeiten für ihn damit nicht: „Es hat natürlich nicht auf Anhieb geklappt. Es wurden 20 Takes. Am Ende war ich richtig kaputt. Der Kamerad war schwer!“ Die Leiche beziehungsweise deren Darsteller habe etwa 80 bis 85 Kilo gewogen. Dazu das Gewicht des Sarges. Sie haben den Schauspieler jedes Mal an Armen und Beinen umgedreht und in den Sarg befördert. „Zwanzigmal anheben, dann den schweren Sarg über eine unebene Wiese tragen.“ Viele Fernsehzuschauer könnten sich vermutlich gar nicht vorstellen, wie viel so ein Sarg mit Leiche wiege. „Im Tatort wird das immer unrealistisch dargestellt“, findet Henschel. „Schnell die Leiche in den Sarg und weggetragen.“ Aber so leicht sei das nicht. „Zum Schluss haben sie Sandsäcke in den Sarg gelegt, weil ich nicht mehr konnte.“ Die waren erheblich leichter als der Mann, aber nicht so leicht, dass das Tragen des Sargs unrealistisch ausgesehen hätte. Ein paar Worte mit Schauspieler Moritz Führmann gewechselt: Die Szene, in der er auftaucht, wirke durchaus echt, findet Henschel, er habe ähnliche Situationen in seinem Berufsleben schon erlebt, „mit der Polizei vor Ort, die sagt: Nehmt ihn mit“. In solchen Fällen werde der Tote dann in der Regel entweder in eine Friedhofskapelle gebracht – oder in die Gerichtsmedizin nach Göttingen, zur Obduktion. So auch im Film, es war ja ein Kriminalfall, sagt der Bestatter. „Bei einem Mordfall erfolgt die Obduktion sehr rasch, manchmal schon nach ein paar Stunden.“ Auf einen Schockeffekt hatte das Filmteam bei der Leiche aber verzichtet: Der Tote vom Glockenturm sei trotz des Sturzes nicht blutverschmiert gewesen, berichtet Henschel. Lesen Sie auch Die KUNST-Gala 2021 in Göttingen soll stattfinden Göttingen: Preise für Junges und Deutsches Theater Göttinger Musikerin Frau Pauli veröffentlicht neues Album Die Dreharbeiten haben sich für ihn ziemlich hingezogen: „Wir haben drei Stunden gewartet, bis wir überhaupt dran waren. Und da war nichts los.“ Zu den Schauspielern habe er kaum Kontakt gehabt, „die waren ein bisschen unnahbar“. Einzig mit Moritz Führmann, der den Postboten spielt, habe er ein paar Worte wechseln können. „Der ist umgänglich.“ Doch er habe auch erlebt, dass Schauspielerei schwere Arbeit sein kann. Nun sei er gespannt, ob sich die Mühe gelohnt hat und er auch im fertigen Film zusehen ist. Trotz der Mühsal mit dem Sarg – Spaß habe es ihm schon gemacht. Falls es in einem neuen Teil von „Harter Brocken“ wieder einen Part für Bestatter Leiminger gebe, sei er gern wieder dabei. Von Martin Baumgartner