Osteroder Tierforscher widmet sich Leben der Dachse und kritisiert Abschuss

Insgesamt 371 Abschüsse von Dachsen gab es 2018 im Landkreis Göttingen, laut Dr. Ortwin Schwerdtfeger, anerkannter Tierforscher aus Osterode, die meisten in Niedersachsen. Begründet wird die hohe Abschusszahl durch eine starke Zunahme des Dachsbestandes. „In diesem großen Gebiet lässt sich dies insgesamt nicht feststellen. Ferner geben die Abschusszahlen ja nur an, wie viele Dachse mindestens der Natur entnommen wurden und nicht, wie viele dort noch übrig geblieben sind. Langjährig durchgeführte Bestandserfassungen fehlten offenbar“, so Schwerdtfeger. Dass der Dachs (Meles meles) als Raubtier geführt wird, ist auf seine Verwandtschaft mit den echten Mardern zurückzuführen. Sie entspricht aber nicht seiner Lebensweise. Der Dachs ist überwiegend dämmerungs- und nachtaktiv, schläft in großen von Artgenossen gegrabenen Erdhöhlen und hält dort auch Winterruhe. Erst im Sommer kann man ihm persönlich begegnen. Er hat sonst keine natürlichen Feinde. Die Hauptnahrung der Dachse besteht aus Würmern, Kleintieren sowie Obst und Pflanzen. Fett und Pelze wurden genutzt: Unbeliebt machen sie sich am Rande von Mais- oder Getreidefeldern, bei denen sie auch Pflanzen herunterziehen und fressen. Schwerdtfeger: „Im Vergleich zu den Wildschweinen richten sie aber sonst kaum Schaden an.“ In der Mitte des letzten Jahrhunderts war noch kaum etwas über die Biologie des Dachses bekannt, berichtet der Osteroder Eulenexperte. Ein kurzbeiniger Dachshund trieb den Dachs in eine blinde Röhre, aus der er von den Jägern ausgegraben wurde. Sein für den Winter gespeichertes Fett und sein Pelz wurden damals genutzt. So wurden sogar in Barbis Dachshaarpinsel hergestellt. Erst in den 70er Jahren war es an der Zeit, die artgerechten Verhaltensweisen und die Dispersionsdynamik weiträumig zu erforschen. Diese wurde besonders von E. Neal in einem größeren Gebiet in England sorgfältig untersucht. Die Ergebnisse wurden in einem BLV-Wildbiologie-Buch zusammengefasst. Lesen Sie auch: Immer mehr Dachse in Niedersachsen – Naturschützer kritisieren Jagd Dachse besitzen laut Schwerdtfeger einen sehr guten Geruchssinn. Ein Dachs hat Analdrüsen unter dem Schwanz, die auch beim Koten eine stark riechende Flüssigkeit ausspritzen. In der Nähe eines besetzten Baues gibt es mehrere oft benutzte Kotgruben. Hierdurch kann sich die Aufteilung der Aktivitätsbereiche verschiedener Familien in einem Gebiet ergeben, und Neuansiedlungen können ermöglicht werden. Ein Erdbau ist meistens der Mittelpunkt des Aufenthaltes einer Dachsfamilie. Dort schlafen sie tagsüber und halten hier auch ihre Winterruhe. Die Baue bestehen aus Kesseln, die mit Röhren verbunden sind. Im Sommer können die Dachse bereits am späten Nachmittag außerhalb ihres Baues erscheinen. Sie halten sich zunächst am Bau auf. Jungdachse balgen sich dann gern. Erst im Spätsommer ziehen sie mit zur Nahrungssuche. Vor 50 Jahren ging der Dachsbestand im Harz immer mehr zurück. Ein Grund dafür war, dass bei Bekämpfung der grassierenden Tollwut neben den Fuchsbauen irrtümlich auch Dachsbaue begast wurden. Probleme ergaben sich in größeren Höhenlagen für die Dachse auch bei der Fettspeicherung für die Winterruhe. In den strengen Wintern mussten die Dachse dann noch neue Nahrung suchen. Dadurch tauchten Dachse bei hoher Schneelage auch in Siedlungsbereichen auf. Als die Winter milder wurden, siedelten sich auch wieder Dachse in höheren Lagen an. Es gibt aber dort auch jetzt noch freie Stellen. „Eigene Begegnungen mit Dachsen führten dazu, dass ich mich selbst intensiv mit dem Leben der Dachse befasste. Insbesondere untersuchte ich die zu erwartende Verbreitung im westlichen Harzvorland genauer. Diese wissenschaftliche Untersuchung konzentrierte sich auf die Lage der Dachsbaue. Sie wurden ab 1974 durch Nachfragen bei der Jägerschaft und naturinteressierten Einheimischen durchgeführt“, erläutert der Osteroder. Die Baue wurden jährlich mindestens zwei Mal auf typische Grabaktivitäten, Spuren und Pfade kontrolliert. Insgesamt konnten 120 ehemalige Dachsbaue festgestellt werden. Die Hälfte dieser Baue wurde in den folgenden Jahren besiedelt. Lesen Sie auch: Immer mehr Dachse in Niedersachsen – Naturschützer kritisieren Jagd Dieses Projekt wurde von Prof. A. Festetics vom Institut für Wildbiologie und Jagdkunde der Uni Göttingen unterstützt. 1990 hatte Schwerdtfeger dann die neuen Erkenntnisse zur Biologie des Dachses beim beliebten Wildbiologischen Seminar der Uni öffentlich dargestellt. Weitere Informationen erfolgten beim Deutschen Säugetierverband, der Kreisjägerschaft Osterode, bei den Mitarbeitern des Nationalparks und den Umweltberichten des Landkreises Osterode. Ältester Dachsbau bei Herzberg: Mit denselben Methoden wurde 1986/87 im Rahmen einer Diplomarbeit von W. Meyer das Vorkommen des Dachses in dem südlich angrenzenden Gebiet bis Göttingen erfasst. Damals war also die Verbreitung des Dachses im jetzigen Kreis Göttingen weitgehend bekannt. Diese Projekte wurden 1987 durch eine einzigartige Aktion ergänzt. Der größte und älteste Dachsbau des Gebietes lag im Kiesgebiet der Aue südlich von Herzberg. Da der Kiesabbau an dieser Stelle genehmigt worden war, konnte die Struktur und Tektonik des Dachsbaues durch Abgraben erfasst werden. Lesen Sie auch: Prozess in Herzberg: Dachs mit Gülle ertränkt Auf einer Fläche von 225 Quadratmetern waren noch 90 Einfahrten erkennbar. Der schon historische Bau befand sich oberhalb des Kiesbettes in einer bis zu zwei Meter dicken Lößschicht. Es konnten 50 Kessel festgestellt werden, die durch Röhren mit einer Gesamtlänge von 250 Metern verbunden waren. Diese Arbeiten führte J. Lipfert im Rahmen seiner Diplomarbeit durch. Die Ergebnisse wurden dann von ihm zusammen mit E. Schneider und Dr. Schwerdtfeger auf einer internationalen wildbiologischen Tagung in Polen vorgetragen. Der Dachs findet im südlichen Harzvorland ideale Bedingungen vor. Er bewohnt dort auch zugängliche Karsthöhlen. „Bei den Kontrollen der Dachsbaue habe ich regelmäßig Naturinteressierte verschiedenen Alters mitgenommen. Sie waren durchweg begeistert und erstaunt, was es noch für interessante Tiere bei uns gibt. Dabei hatten sie das Leben der Dachse oft nur in meinen Filmen gesehen. Dies förderte ihr Naturverständnis“, freut sich der Tierforscher. Lesen Sie auch: Weniger Rehe erlegt als geplant: Duderstädter Jägerschaft stellt Streckenbericht vor Durch die überhöhten Abschusszahlen seien in dieser Population massive Eingriffe in die artspezifische Sozialstruktur ohne Berücksichtigung der Populationsdynamik vorgenommen worden, lautet seine Kritik. Die Mortalität durch den Straßenverkehr ist ohnehin hoch. Nabu, BUND und andere Naturschutzverbände waren schon vor Jahren dagegen, den Dachs in die Abschussliste aufzunehmen. Betont wurde dies auch durch die Nominierung des Dachses als „Tier des Jahres 2010“. „Auch wenn man ihn selten persönlich sieht: Der einheimische Dachs ist ein geheimnisvoller Repräsentant der Gipskarstlandschaften des Südharzes und bedeutend für die heimische Fauna.“ Von HK / mp