Wie Therapeuten und Klienten trotz Corona-Krise weitermachen

Die Allgemeinverfügungen darüber, welche Art Einrichtungen während der Corona-Krise geöffnet haben dürfen, sowie das geltende Kontaktverbot stellen viele Berufsgruppen und Einzelpersonen vor Herausforderungen. So dürfen auch Psychotherapien laut Verordnung nur in Notfällen weiterhin persönlich erfolgen. Über die Auswirkungen dieser Anordnung für die therapeutische Praxis, für Klienten und Patienten sowie Berater und Therapeuten berichten Neda Mohagheghi, systemische Beraterin und Therapeutin aus Göttingen, und Dorothea Fritzsche, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin aus Osterode. Mohagheghi betreibt ihre Praxis für Paare und Einzelpersonen. In der Corona-Pandemie sieht sie Herausforderung und Chance zugleich, sowohl für ihre Art zu arbeiten als auch für Klienten, die bei ihr Unterstützung suchen. „Die aktuelle Situation wirft Menschen auf sich selbst zurück“, sagt sie über das Kontaktverbot. Mehr Zeit allein, weniger Begegnungen mit anderen, für manche auch weniger Arbeit. Zudem sind viele eingeschränkt darin, ihren Hobbys nachzugehen. „Das kurbelt die Auseinandersetzung mit sich selbst an“, meint die systemische Therapeutin. Für viele sei es eine Herausforderung, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen: „Gefällt mir, was ich sehe? Und was mache ich damit, wenn nicht?“ Solche Fragen, von denen manche Menschen sich im Alltag eher ablenkten, werden nun vermehrt und verstärkt an die Oberfläche kommen, erwartet sie. In der Krise gibt es auch mehr Streitpunkte zu Hause: Auch Ärztin Fritzsche erkennt ähnliche Probleme, vor die Menschen durch Ausgehbeschränkungen und Kontaktverbote gestellt werden. So bedeute etwa die Arbeit im Homeoffice automatisch auch weniger direkten Kontakt zu Kollegen. „Das fehlt den Leuten auch“, sagt sie. Dazu komme noch der in manchen Fällen schon gebuchte oder jetzt ausgefallene Jahresurlaub. Für viele Leute sei das der Höhepunkt des Jahres. „Wenn das wegfällt – so etwas kann sehr belasten.“ Die Situation zu Hause kann sehr vielfältig und unterschiedlich aussehen: „Mir wird erzählt, dass man sich zu Hause mehr auf den Keks geht. Es gibt mehr Streitpunkte und Angriffsfläche als bisher“, schildert Fritzsche. Und auch Mohagheghi kennt solche Fälle: „Wir hocken alle zu Hause und haben unsere Liebsten mehr um uns als sonst.“ Das könne schön sein, aber eben auch anstrengend. Andererseits bedeuten die Verschiebung des Arbeitsalltags in die eigenen vier Wände für manche auch Entlastung. Mohagheghi: „Eine Klientin blüht im Homeoffice richtig auf.“ Eine andere sei bei ihr in Beratung, weil das Thema Einsamkeit diese Frau schon länger beschäftigt. Für Menschen wie sie könne es eine Erleichterung sein zu sehen, dass auch anderen das Alleinsein schwer fällt, sie mit ihrem Problem eben nicht allein sind. „Die Krise scheint bei manchen auch eine entlastende Wirkung zu haben“, sagt die Göttinger Therapeutin. Besonderen Bedingungen und Lebensumstände: Mit den Herausforderungen, den besonderen Bedingungen und Lebensumständen, die die Corona-Krise mit sich bringt, sehe sie viel Arbeit auf sich und ihre Branchenkollegen zukommen, meint Mohagheghi. „Ich rechne mit einem hohen Bedarf an Unterstützung, wenn alles gelaufen ist.“ Bis dahin jedoch sieht der therapeutische Alltag wie auch der private auch bei ihr ganz anders aus als noch vor der Ausbreitung des Virus. Denn nicht nur diejenigen, die Hilfe und Beratung suchen, müssen sich mit der Situation arrangieren. Auch für die Therapeuten bedeutet der Verzicht auf persönlichen Kontakt Veränderung, verlangt, ihr Beratungsmodell, eventuell auch ihre Arbeitsweise generell anzupassen, um weiterhin therapeutisch tätig sein zu können. Persönlicher Kontakt ist momentan die Ausnahme: In Fritzsches Praxis in Lerbach gilt, was derzeit deutschlandweit und in vielen Ländern der Welt Usus ist: Abstand halten, Hygieneregeln befolgen, persönliche Termine nach Vereinbarung und nur, wenn sie tatsächlich notwendig sind. Dabei ist in der Psychotherapie – etwa verglichen mit anderen medizinischen Notfällen – nicht ganz so eindeutig, was einen Notfall ausmacht. Unstrittig würden dazu etwa suizidale Absichten zählen, erklärt die Osteroder Ärztin im Telefongespräch. Doch sei es nicht häufig, dass Betroffene so etwas ankündigen. „Häufig sind es nicht die Patienten, die sich melden“, berichtet Fritzsche. So könnten sich etwa auch Angehörige an sie wenden, wenn jemand in der Familie oder im eigenen Umfeld „Sorgen bereitet“. Doch gebe es auch weniger drastische Fälle, die nicht auf persönliche Therapie verzichten können. „Mit manchen klappt das super gut, mit anderen ist es schwierig“, sagt Fritzsche zur Umstellung auf telefonische Beratung. In die Lerbacher Praxis würden nur noch Patienten kommen, bei denen es unumgänglich sei. Der Normalfall sei momentan, dass therapeutische Sitzungen am Telefon stattfinden. Weiteres Vorgehen abstimmen: Aber auch an ein Online-Angebot per Videochat habe sie bereits gedacht. „Wir nutzen alle Medien. Alles, was eben im Moment möglich ist.“ Dabei gehe es vor allem auch darum, das weitere Vorgehen mit den Patienten und Ratsuchenden abzustimmen, so weit wie eben möglich in Kontakt zu bleiben. Mit vielen Patienten würde sie sich darauf einigen, die Therapie vorübergehend auszusetzen. Ähnlich sieht der Alltag auch bei Mohagheghi aus. Persönlichen Kontakt zu ihren Klienten hat sie nur in begründeten Ausnahmefällen. Und wenn jemand tatsächlich zur Beratung kommen muss, geht es erst einmal um die Hygienemaßnahmen. Man versichere sich gegenseitig, die geltenden Vorschriften einzuhalten, die Hände werden noch einmal desinfiziert, auch während des Gesprächs wird der Abstand gewahrt, erzählt die Therapeutin. Professionelle Weiterbildung: Wann immer möglich, hat auch sie jedoch auf ein mediales Angebot umgestellt. „Ich bin eh technikaffin“, sagt die Göttingerin. Das will sie nun nutzen. Unter anderem bietet sie Trainings und Workshops zur persönlichen oder professionellen Weiterbildung an, etwa für Führungskräfte. Diesen Geschäftszweig habe sie schon seit langem auch auf das Internet ausweiten wollen. „Ich denke, dass Arbeit, die ich da jetzt reinstecke, sich auch nach Corona rentieren wird.“ Am Telefon erzählt sie außerdem von zwei Klienten, die sie schon vor der Krise online betreute. Sie seien aus der Universitätsstadt weggezogen, wollten aber weiterhin von ihr beraten werden. Dem Videoformat gibt sie dabei klar den Vorzug: Sie „brauche auch Gesichtsausdrücke“, um mit den Menschen arbeiten zu können. Daher sei die Arbeit über Video durchaus möglich, nur am Telefon hingegen eher schwierig. Therapiesitzung am Bildschirm ungewohnt: Und aus einem weiteren Grund funktioniere die Online-Therapie: Zuerst habe sie sich gesorgt, ob und wie die Betreuung so fortgeführt werden könne. Aber „die Feinheiten, die man spürt, wenn jemand im gleichen Raum ist“, würden sich auch in einem Videochat übertragen – zwar nicht hundertprozentig so, wie im Präsenztermin, jedoch durchaus in einem Rahmen, der es ermögliche zu arbeiten. Letztlich hänge die Online-Beratung vor allem daran, ob die Klienten sich darauf einlassen können oder wollen. „Das geht nicht bei jedem. Manche können den Bildschirm dazwischen nicht vergessen, was aber auch in Ordnung ist“, beschreibt Mohagheghi. Fritzsche hingegen meint, sie spüre „den Leidensdruck auch am Telefon“. So könne sie sondieren, welche Fälle weiter telefonisch unterstützt werden können, und bei wem sie anders verfahren muss. Für einige Klienten, die Mohagheghi berät, sei die Online-Therapie eine gute Lösung. „Die emotionale Intensität einiger Sitzungen kann auch online funktionieren. Das ist für manche Klienten sehr wichtig“, meint die Göttingerin. Solange diese erhalten bleibe und beide Seiten kommunizieren könnten, wenn etwas auch mal nicht gut laufe, schätze sie die Therapie per Video als echte Alternative. Und die offene Kommunikation sei ohnehin Grundlage jeder zielführenden Beratung. „So schlimm und belastend die aktuelle Situation mit Corona auch ist, sie birgt auch viele Möglichkeiten“, sagt Mohagheghi. Und das gilt ebenso für die therapeutische Praxis wie auch für die Menschen, die, in welcher Form auch immer, von der Corona-Pandemie betroffen sind. Kein Mangel an Zeit: „Ich finde, sich um sich selbst zu kümmern, sich etwas Gutes zu tun, ist sehr wichtig“, sagt die Göttinger Beraterin. Ob Homeoffice, Quarantäne oder Kurzarbeit – vielen Menschen mangelt es momentan nicht an Zeit. Mohagheghis Empfehlungen: Auf sich achten und sich mitteilen, ob im Kontakt mit der Familie im eigenen Haushalt oder online, etwa bei „digitalen Meetups“. Es sei wichtig, im Austausch zu bleiben. „Ich merke auch an mir selber, wie gut es tut, mal andere Gesichter zu sehen“ – wenn auch nur am Bildschirm. Auch könne man die Zeit nutzen, um etwa alte Kontakte wieder aufzufrischen – es gehe schließlich allen ähnlich – oder, um sich eine feste Morgenroutine zu schaffen. Ob Sport und Yoga, ein Spaziergang an der frischen Morgenluft oder das abendliche Kochen, es komme nicht darauf an, was es ist, sondern darauf „Kleinigkeiten zu nutzen, die gut tun“. „Kreative Fähigkeiten“: Auch Fritzsche schlägt ähnliches vor: Man könne die Zeit etwa nutzen, um die Dinge zu tun, die man sich schon lange vorgenommen habe. „Die Leute können außerdem auf kreative Fähigkeiten zurückkommen“, was viele bereits tun würden. Auch Fritzsche ist der Ansicht, ob Sport, Malen oder Musizieren – das liege an jedem selbst. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Von Felix Gräber

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