„Hohe Militanz“: Südniedersachsen Schwerpunktregion Aktionen von Neonazis

Wie ist die extrem rechte Szene in Südniedersachsen aufgestellt? Wie hat sie sich entwickelt? Wie ist sie vernetzt? Wer sind ihre Akteure? Dr. Katharina Trittel und Dr. Florian Finkbeiner vom Göttinger Institut für Demokratieforschung und Kristin Harney von der Mobilen Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie geben einen Überblick. Wie hat sich die rechte Szene in Südniedersachsen entwickelt? Harney: Grundsätzlich ist Südniedersachsen seit Jahren eine Schwerpunktregion neonazistischer und extrem rechter Aktivitäten in Niedersachsen, einhergehend mit einer hohen Militanz. Es gibt viele Akteur*innen, die seit Jahren aktiv sind in extrem rechten Kreisen und demnach über überregionale Netzwerke verfügen. Es lässt sich jedoch beobachten, dass der Aktionskreis sich je nach Akteur*innen innerhalb der Region verlagert. So gab es beispielsweise mit dem ab 2015 existenten Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen (FKTN), der später Volksbewegung Niedersachsen wurde und anschließend in der Kleinstpartei „Die Republikaner“ aufging einen Aktionsschwerpunkt in den Landkreisen Göttingen und Northeim, in dem zahlreiche Kleinstkundgebungen in verschiedenen auch kleinen Orten der Landkreise stattfanden. Dieselben Personen sind nun zum Teil in dem Kreisverband Einbeck-Northeim der Partei „Die Rechte“ und somit zunehmend in Einbeck und Umgebung aktiv. Des Weiteren gibt es in den großen Flächenlandkreisen auch extrem rechte Akteur*innen, die vor Ort nicht aktiv werden und keine öffentliche Wahrnehmbarkeit entfalten, aber den ländlichen Raum als Rückzugsort nutzen. Das kann für Personen, die potenziell betroffen sind von rechter Gewalt, eine Unsicherheit im Wohnumfeld erzeugen. Zudem ist die Region Südniedersachsen auch geprägt durch enge Kontakte ins thüringische Eichsfeld sowie nach Nordhessen, wie die Beteiligungen rund um die Organisation des von Thorsten Heise im thüringischen Leinefelde jährlich stattfindenden Eichsfeldtag ebenso zeigen wie die Recherchen von „ Exif “ über die Verbindungen des mutmaßlichen Rechtsterroristen Stefan Ernst aus Kassel in die neonazistische Szene in Südniedersachsen. Das starke antifaschistische Engagement von unterschiedlichen Teilen der Zivilgesellschaft in verschiedenen Regionen in Südniedersachsen ist eine positiv zu nennende Konstante der Region, die der extremen Rechten oftmals eine langfristige Verankerung vor Ort erschwert. Trittel und Finkbeiner: Niedersachsen blickt auf eine lange rechtsradikale Tradition seit 1945 und wurde sogar als „Stammland des Nachkriegsrechtsradikalismus“ bezeichnet, ließ sich mit Fug und Recht als Hort eines aggressiven, mobilisierungsfreudigen und rigorosen Rechtsradikalismus mit tiefem lokalkulturellem Wurzelwerk bezeichnen. Diese Einschätzung bezog sich auf Parteien – man denke an die Gründung der SRP und NPD hier in Niedersachsen – aber auch auf hervorstechende Persönlichkeiten, wie etwa Michael Kühnen in den 1970ern und paramilitärische Jugendbewegungen wie die Wiking Jugend, die gleichfalls in Niedersachsen gegründet und 1994 verboten wurde. Zudem haben sich aus der Tradition der Kameradschaften in etlichen Orten in Südniedersachsen lose Zusammenschlüsse entwickelt; man spricht von einer subkulturellen Zerfaserung, also einer Entwicklung weg von der Organisation in Parteien hin zu fluiden Strukturen, die sich seit den 1990er Jahren zunehmend radikalisiert zeigen. Welche Strukturen und Akteure gibt es? Trittel und Finkbeiner: Die letzten Jahre hat die Identitäre Bewegung (IB) viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen und auch die Sicherheitsbehörden nahmen sie stärker in den Blick. Dies hat sich seit der Einstufung durch den Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ etwas geändert, wobei immer noch Aktivitäten zu verzeichnen sind; allerdings handelt es sich um weniger spektakuläre, das heißt, sichtbare Aktionen, sondern ihr Vorgehen wird klandestiner: Die Mitglieder treten nunmehr in den bereits erwähnten noch loseren Strukturen auf. Allerdings sind die Gruppen des rechtsradikalen Spektrums natürlich keinesfalls trennscharf abgrenzbar: Sie sind auch über die Grenzen von Niedersachsen hinaus vernetzt, Personen oftmals Mitglied in unterschiedlichen Zusammenschlüssen. So haben beispielsweise rechtsradikale Aktivisten aus Braunschweig bereits bei Bragida mitgemischt, später die Kameradschaft „Adrenalin Braunschweig“ gegründet, aber auch Graffitis mit Slogans der Identitären Bewegung gesprüht. Das Entstehen neuerer Zusammenschlüsse lässt sich am Beispiel von Göttingen recht gut verdeutlichen. Bis Herbst 2015 waren einschlägige Akteure der Szene eher im Thüringer Eichsfeld oder im Harzraum präsent. Dann gründete sich mit dem Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen und später der Volksbewegung Niedersachsen eine Gruppierung, die zunächst als Reisegruppe zu -GIDA und Höcke-Veranstaltungen fuhr und dann schließlich im Bündnis mit der NPD eigene Veranstaltungen anmeldete, zu denen auch etwa die Kameradschaft Northeim oder der einschlägig bekannte Thorsten Heise erschienen. Ihr führender Kopf, Jens Wilke, trat 2016 erfolglos im Kommunalwahlkampf als „freier Kandidat“ auf der Liste der NPD in Göttingen an. Harney: Im Februar 2020 wurde der Kreisverband Einbeck-Northeim der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ gegründet. Dieser ging aus den Strukturen der seit 2018 in Einbeck aktiven sogenannten „Kameradschaft Einbeck“ hervor. Einzelne Aktivisten waren zuvor eingebunden in die Strukturen des FKTN beziehungsweise daraus hervorgehenden Strukturen. Die geschaffene Struktur unter dem Dach des Parteienprivilegs ist somit neu, viele der dort auftretenden Personen sind allerdings auch vorher in neonazistischen Kreisen aktiv gewesen. Die Aktivitäten der sogenannten „Göttinger Naziclique“, die auch über Kontakte zu Thorsten Heise verfügt und sich hauptsächlich aus extrem rechten Studierenden zusammensetzt, ist in den letzten Jahren durch Angriffe in der Göttinger Innenstadt wie zum Beispiel der Angriff auf Personen in der „S-Bar“ aufgefallen. Die Präsenz der Gruppe in der Stadt besteht weiter, auch wenn ein Teil der Gruppe nicht mehr direkt in Göttingen wohnhaft ist. Eine öffentliche Berichterstattung über die Gruppe und ihre Aktivitäten sowie eine klare Positionierung einiger Göttinger Gastronomiebetriebe sowie eine deutliche antifaschistische Position von Teilen der Göttinger Zivilgesellschaft haben unserer Einschätzung nach dazu beigetragen, dass die Aktivitäten an Intensität abgenommen haben. Zudem gibt es eine Ortsgruppe der „Identitären Bewegung“ (IB), die wahrscheinlich aus wenigen Personen besteht und vor allem öffentlichkeitswirksam durch Flyerverteilaktionen oder das Anbringen rassistischer Plakate auffällt. Da die IB sich als Gruppe versteht, die auch über die mediale Reproduktion ihrer Aktivitäten kulturelle Hegemonie rechter Ideen erreichen will, ist zu hoffen, dass die Sperrung der Seiten in Sozialen Netzwerken hier einen empfindlichen Punkt trifft. In einigen Regionen gibt es kleine Gruppen mit wechselnden Namen oder lockere Zusammenschlüsse oder Cliquen von Personen, wobei eine rechte Ideologie die Gruppe vereint. Als Beispiel wäre hier die sogenannte„Brigade Sachsa“ zu nennen. Diese haben oft auch keine „feste“ Struktur, wobei dies die Herausforderungen vor Ort nicht mindert. Die NPD als Partei kann in der Region zunehmend weniger Wirkungentfalten. Der sogenannte FKTN ist als Struktur nicht mehr existent. Generell würden wir sagen, dass die Problemlagen oftmals durch Träger*innen extrem rechter Ideologien hervorgerufen werden, auch wenn diese nicht Teil von organisierten Zusammenschlüssen sein müssen. Welches sind die wichtigsten Akteure? Harney: An dieser Stelle ist vielleicht ein Verweis auf Karl-Heinz Weißmann, einen wichtigen Vordenker der Neuen Rechten zu nennen, der aus Göttingen kommt und in Northeim bis Anfang diesen Jahres als Lehrer tätig war. Gut vernetzt in bundesweiten neurechten Kreisen steht Weißmann unter anderem hinter dem neurechten Magazin Cato und prägt somit neurechte Debatten maßgeblich mit. Trittel und Finkbeiner: In Göttingen ist zudem seit 2018 eine Gruppe junger Erwachsener aktiv, die verantwortlich zeichnet für rechte Schmierereien und auch gewalttätige Angriffe. Es handelt sich überwiegend um Studierende, die zum Teil bereits mehrere Jahre in der Jungen Alternative oder der Identitären Bewegung aktiv waren. Welche Aktivitäten gibt es? Trittel und Finkbeiner: Wie bereits erwähnt gehen mehrere Graffitis mit rechtsextremen Inhalten auf das Konto dieser Göttinger Gruppe, ebenso wie Angriffe auf Personen, die nicht in das rechtsradikale Weltbild passen. Insgesamt geht es der Szene zum einen um eine Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, zum anderen um die gezielte Einschüchterung und Verletzung des selbsterklärten „politischen Gegners“. Dieses Ziel wurde auch verfolgt, als zuletzt mehrere Parteizentralen in Göttingen von Unbekannten Drohbriefe erhielten oder eine engagierte Bürgerin in Einbeck Ziel eines Sprengstoffanschlags wurde. Harney: Die Aktivitäten der extremen Rechten in der Region umfassen ein breites Spektrum. Immer wieder gibt es Aktionen von rechter Raumnahme, ob durch die Anmeldung von Kundgebungen, klandestine Liederabende, das Verteilen von Propagandamitteln oder auch die Bedrohungen von Personen, die als Feindbild markiert werden, aufgrund ihres politisch Engagements, ihrer zugeschriebenen Herkunft, sexueller Orientierung oder Religion. Zu dieser Raumnahme zählen auch bewusste Provokationen wie der Besuch der Gedenkstätte in Moringen, die Beschmierung des Gleichstellungsbüros der Uni Göttingen mit rechten, antifeministischen Parolen sowie die Flyerverteilung in Wohnhäusern. Des Weiteren ist die Militanz und die Gewalttätigkeit der extremen Rechten für viele Personen, die zu den „Feindbildern“ zählen, alltagsprägend. Dies zeigte nicht zuletzt der Sprengstoffanschlag auf eine Engagierte in Einbeck, dem Bedrohungen und Einschüchterungen von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vorausgingen. Dabei gilt es auch die besonderen Wirkebenen rechter Gewalt zu benennen, die immer eine Form von „Vorsatz bei Gelegenheit“ sind und keinesfalls nur eine „Rechts-Links“-Auseinandersetzung. Rechte Ideologie führt so zu einer Abwertung und der Ungleichwertigkeitsidee gegenüber nicht-rechten Personen, People of Colour, Jüdinnen und Juden, die als ideologischer Vorsatz gilt und bei Gelegenheit umgesetzt wird. Damit geht einher, dass es immer auch eine stellvertretende Wirkung gibt, bei der die Community der Person ebenfalls verunsichert und eingeschüchtert werden soll. Lesen sie auch: Gefahr von Rechts: Razzien bei Rechtsextremisten in den Landkreisen Göttingen und Northeim Wo sind die Hotspots rechter Aktivitäten? Trittel und Finkbeiner: Die Hotspots sind damit eigentlich schon benannt. Bis zuletzt waren es vor allem Göttingen und Einbeck, auch Braunschweig, sowie traditionell Northeim. Das liegt auch an der engen Verwobenheit der Szene, wie sie sich beispielsweise seit 2015 im Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen gezeigt hat, als es langjährigen NPD-Kadern und Kameradschaftsmitgliedern der Kameradschaften „Northeim“ und „AG Ruhmetal“ gelang, unter diesem Label wieder regelmäßig Veranstaltungen abzuhalten und sogar einen gemeinsamen Wahlkampf im Herbst 2016 zu führen. Nach dessen Scheitern ist ein zunehmend gewalttätiges Auftreten zu verzeichnen. Darüber hinaus gilt Northeim vor allem seit den 1990er Jahren als eine der Schwerpunktregionen des niedersächsischen Rechtsradikalismus. Nicht nur aufgrund der Stärke der NPD, sondern vor allem durch die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), damals eine der schlagkräftigsten Organisationen im deutschen Neonazismus, die 1995 verboten wurde. Sie entstand als eine Art Nachfolgeorganisation der verbotenen „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (ANS), die in den 1970er Jahren von Michael Kühnen initiiert wurde. Die FAP bildete ein Bindeglied zwischen der Skinhead-Szene und den NPD-Strukturen, sie war aber stärker aktionsorientiert als die NPD und verfügte über vielfältige Kontakte. Beispielsweise kooperierten die Northeimer FAP-Gruppen stark mit den Göttinger NPD-Strukturen. Der Göttinger Hans-Michael Fiedler (Gründungsmitglied der NPD und über Jahrzehnte aktiver Lageragent im rechtsradikalen Spektrum Göttingens und Niedersachsens) hatte in den 1980er Jahren enge Kontakte zur FAP und später auch zu Karl Polacek, der entscheidend für die Verankerung der FAP in Südniedersachsen war, dessen Landesvorsitzender später bis zu ihrem Verbot Thorsten Heise wurde. Heise ist in Northeim die Organisations- und Integrationsfigur der rechten Szene. Er war auch entscheidend daran beteiligt, 1997 die „Kameradschaft Northeim“ mitaufzubauen. Aus dieser Zeit resultiert der Ruf dieser Kameradschaft als besonders „radikal“, da sie nachweislich Verbindungen zu Blood-and-Honor und zu dessen militantem, mittlerweile verbotenen, Flügel Combat 18 hatte. Harney: Schwer zu bewerten, da wir entweder die Dinge mitbekommen, die öffentlich bekannt werden, von Journalist*innen und Engagierten wie dem Antifaschistischen Bildungszentrum und Archiv Göttingen in Recherchen veröffentlicht werden oder wir von Personen Problemlagen geschildert bekommen, die uns als Beratungsstelle anfragen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass gerade in ländlichen Regionen von einem hohen Dunkelfeld rechter Aktivitäten auszugehen ist. Das Stadtgebiet Göttingen sowie insbesondere Einbeck zählen aus unserer Sicht zu den Hotspots extrem rechter Aktivitäten in den Landkreisen Göttingen und Northeim. Welche Verbindungen rechter Akteure und Strukturen gibt es zu anderen Akteuren und Strukturen in Niedersachsen und im Bundesgebiet? Trittel und Finkbeiner: Das rechtsradikale bis neonazistische Spektrum hat sich in den letzten Jahren deutlich diversifiziert und verändert: Einerseits haben sich zentrale Lageragenten professionalisiert, wie etwa Thorsten Heise, der als ehemaliger FAP-Kader in den 1990er Jahren rund um Göttingen auf der Straße agierte und inzwischen ausgehend vom nördlichen Thüringen bis weit nach Niedersachsen hinein organisatorische Strukturen bereitstellt. Andererseits bilden sich in den letzten Jahren immer mehr kleinere informelle Gruppierungen, die sich offenbar durch die sozialen Medien vernetzen. Hierdurch werden geografische Hürden der Vernetzung leichtfüßig überwunden, sodass es einfacher wird, Gleichgesinnte zu finden. Diese organisatorische und politische Strukturveränderung prägt inzwischen auch immer stärker die politische Erscheinungsform des organisierten Rechtsradikalismus. Die Beschaffenheit und Diversität dieser Zusammenschlüsse lässt sich gut an einem Beispiel illustrieren, das zeigt, dass sich gewohnte Organisationsformen überlebt haben und eine relative Unübersichtlichkeit herrscht: So war Bragida eine der -GIDAS in Westdeutschland, die am längsten existierte, von Januar 2015 bis mindestens Mitte 2017. Während zu Beginn der Versuch dominierte, sich ein bürgerliches Image zu geben, nahmen an den Veranstaltungen doch immer wieder erkennbar Rechtsradikale teil. Es zeigte sich eine Bündelung unterschiedlichster Protestmotivationen und -gruppen zu einer rechten Strömung, die von Bürgern, die vorher nie politisch aktiv waren, über Angehörige so genannter Bürgerwehren wie „Braunschweig wacht auf“, über das Hooligan-Spektrum bis hin zu Parteien wie „Die Rechte“ oder der NPD – hier vor allem von der Jugendorganisation JN, die wiederum Verbindungen zur Identitären Bewegung und der Jungen Alternative pflegt – getragen wurde. Doch auch Angehörige von Kameradschaften, die aus der Kampfsportszene stammen, so genannte „Reichsbürger“ und AfD-Anhänger wurden bei Bragida gesichtet. Harney: Über die Neugründung des Kreisverbandes „Die Rechte“ Einbeck-Northeim ist die Vernetzung mit anderen Kreisverbänden der Partei „Die Rechte“, wie dem Kreisverband Braunschweig/Hildesheim sowie landes- und bundesweit noch einmal gefestigt. Dies zeigt sich auch in der Präsenz von extrem rechten Kadern wie Christian Worch in Einbeck. Zudem unterstützen sich die südniedersächsischen Kreisverbände gegenseitig bei Kundgebungen und Demonstrationen, um die jeweilige Mobilisierungsschwäche etwas abzufedern. Ein weiterer Teil der Vernetzung passiert durch die Teilnahme an bundesweiten Demonstrationen sowie Rechtsrock-Veranstaltungen. Hier ist auch der Kontakt zu Thorsten Heise und damit zur NPD zu nennen, der in der Region immer noch eine Schlüsselperson ist und eine Möglichkeit der Vernetzung mit weiteren bundesweiten Akteur*innen der extremen und militanten Rechten bietet. Die IB Niedersachsen bietet für Interessierte zum Beispiel Schulungsveranstaltungen oder Gemeinschaftsaktivitäten an, die wiederum auch zur Stärkung von Netzwerken beitragen sollen. Recherchen zu Heise: Welche Rolle spielen die Parteien (NPD, Die Rechte, Der III. Weg, Republikaner) bei der Organisation von Rechts und deren Zusammenhalt? Trittel und Finkbeiner: Parteien sind die zentralen Akteure im organisierten Rechtsradikalismus. Es gab zwar immer wieder demonstrative Gegenbewegungen im rechtsradikalen Spektrum gegen solche Organisationsformen wie etwa in den 1990er Jahren mit der Entstehung der sogenannten Freien Kameradschaften, die sich von den als träge empfundenen Parteistrukturen abgrenzen wollten und den politischen Druck stärker über die Straße aufbauen wollten. Aber diese Form des Aktionismus ist inzwischen integriert in die strategische Ausrichtung rechtsradikaler Akteure. Denn Parteien stellen neben den organisatorischen Strukturen vor allem personelle und finanzielle Ressourcen bereit, die den Akteuren Stabilität garantieren. Hierdurch hat sich eine Art politische und regional-kulturelle Arbeitsteilung herauskristallisiert. Die klassischen Rechtsaußenparteien von NPD über den „III. Weg“ bis zur Partei „Die Rechte“, die 2012 von dem Kameradschaftsführer und ehernen Anti-Parteiaktivisten Christian Worch mitgegründet wurde, sind auch in Niedersachsen jeweils nur in einzelnen Regionen politisch überhaupt noch wahrnehmbar – und wenn, dann versuchen sie in diesen Regionen als Partei vor allem auf der Straße aufzutreten. Hieran sieht man, dass diese tradierten Rechtsaußenstrukturen an Attraktivität verloren haben. Vor diesem Hintergrund vollzieht sich mit dem Auftreten der AfD auf der politischen Bühne ein politisch-organisatorischer Formwandel des Rechtsradikalismus. Welche Rolle spielen „völkische Siedler“, Reichsbürger und Aktivitäten der Gruppe „Nordadler im Harz und Nordthüringen“? Harney: Über gezielte Ankäufe von Immobilien in den Landkreisen Northeim und Göttingen für sogenannte Siedlungsbewegungen ist uns nichts bekannt, was aber nicht bedeutet, dass es diese nicht gibt. Der ländliche Raum mit zum Teil niedrigen Immobilienpreisen kann aber als Rückzugsraum für extrem rechte Akteur*innen unterschiedlicher Strömungen attraktiv sein, da man sich dem eventuell in der Stadt höheren zivilgesellschaftlichem Druck versucht zu entziehen und in dem ländlichen Raum ein völkisches, naturnahes Konzept zu leben. Hier liegt der Schwerpunkt der sogenannten „völkischen Siedler“ unserer Einschätzung nach vor allem in der Region Nord-Ost Niedersachen. Kommunen sollten wachsam sein, um bei dem Immobilienkauf extrem rechter Aktivist*innen möglicherweise früh intervenieren zu können. Die Verbote der Gruppierungen „Nordadler“ und „Geeinte deutsche Völker und Stämme“, die beide auch in Südniedersachsen aktiv waren, zeigen, dass insbesondere Reichsbürger*innen oftmals so lange nicht erkannt werden, bis sie durch Schreiben an Behörden und Gerichte in Erscheinung treten. Die Mobile Beratung Niedersachsen gibt es nach Auskunft von Kristin Harney, Leiterin des Reginonalbüros Süd, seit 2017. Seit 2020 liegt die Trägerschaft beim Verein WABE (Weser-Aller-Bündnis: Engagiert für Demokratie und Zivilcourage). „Zu Beginn haben wir versucht, unser Angebot bekannt zu machen und es kamen viele Anfragen im Bereich der politischen Bildung aus denen Beratungsprozesse erwuchsen. Mittlerweile bezieht sich der Großteil unserer Arbeit auf die prozessorientierte Unterstützung von Einzelpersonen, Initiativen und Bündnissen, Kommunen und auch Betrieben und Vereinen im Umgang mit konkreten Herausforderungen und Problemlagen im Bereich von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vor Ort“, erläutert Harney. Dabei gebe es immer neue Schwerpunkte, die abhängig seien von dem lokalen Kontext und den Bedarfen der Ratsuchenden. „In den letzten Monaten stiegen beispielsweise Anfragen zu dem Umgang und den Hintergründen von Verschwörungserzählungen an“, so Harney. In den ersten drei Monaten 2020 habe es mehr als 70 Beratungsfälle in dem Regionalbüro Süd gegeben. „Wir bekommen gemessen an der Anzahl von Hass und Hetze im Online-Bereich wenige konkrete Anfragen dazu im Büro Süd, sondern eher, wenn die Online-Hetze vor Ort in den Offline-Bereich übergeht. Wir verweisen bei Online-Vorfällen auch gern an Projekte wie Jugendschutz.net oder das niedersächsische Projekt LoveStorm “, schildert Harney. Seit dem 1. Juli gibt es bei der Mobilen Beratung eine neue Betroffenenberatung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Südniedersachsen. Sie liegt in der Trägerschaft von Asyl e.V. in Hildesheim. „Extrem rechte Bedrohungen gegen Politiker*innen, insbesondere auf der kommunalen Ebene gibt es immer wieder, wie auch die Drohungen gegen Parteibüros demokratischer Parteien in Göttingen zeigen“, sagt Harney. Wie vor Ort mit Bedrohungen umgegangen werden kann, welche Strategien es sowohl für engagierte Einzelpersonen, als auch für Politiker gebe, sei Teil der Beratungen vor Ort. „Eine klare Positionierung und Solidarität mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ist für uns ein wichtiger Teil des menschenrechtsorientierten Miteinanders“, sagt Harney. Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Von Michael Brakemeier