Sollen Kinder künftig erst dann eingeschult werden, wenn sie richtig Deutsch sprechen können? Der Vorstoß des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Carsten Linnemann, hat zu einer erregten Debatte in Deutschland geführt. In Niedersachsen stieß die Initiative auf durchweg breite Ablehnung.
Tonne: Ausgrenzung ist der schlechteste Weg
Linnemann hatte der „Rheinischen Post“ gesagt: „Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden.“ Zu Begründung führte Linnemann an, dass er vielfach Eltern erlebe, „die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt“.
„Die Vorschläge von Herrn Linnemann sind kein Lösungsansatz, sondern ausschließlich schädlich“, sagte Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD). „Das Ausgrenzen von Kindern hat noch nie dazu geführt, dass man große Erfolge beim Sprachenlernen erzielt. Tonne räumte aber auch ein, dass es für Lehrer eine „Riesenherausforderung“ sei, in einer Klasse zu unterrichten, in der drei Kinder überhaupt kein Deutsch verstünden. Den Kindern aber tue man keinen Gefallen, wenn man sie noch nicht in die Schule lasse: „Das Zusammensein mit Gleichaltrigen ist ein wesentlicher Faktor, um Sprache zu lernen.“ Und gerade Kinder im Grundschulalter lernten die Sprache „irre schnell“. Außerdem vertrage sich Linnemanns Forderung nicht mit der gesetzlichen Schulpflicht.
Grundschulverband: Ausgrenzen widerspricht unserem Ethos
Auch Laura Pooth, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, hat kein Verständnis für den Vorstoß des Paderborner Unions-Abgeordneten: „Das geht gar nicht.“ Zugewanderte Kinder brauchten Integration und müssten in der Gemeinschaft lernen. Eva Osterhues-Bruns, Vorsitzende des Grundschulverbandes, sagt, es müsse beides geben – gemeinsame Erlebnisse mit der Klasse und extra Sprachunterricht in kleineren Gruppen. Dafür müsse man aber auch das nötige Personal bereitstellen. Das Ausgrenzen bestimmter Kinder widerspreche dem Ethos der Grundschulen, denn gerade in den ersten vier Jahren lernten die Kinder aus einem Stadtteil gemeinsam.
Osterhues-Bruns verweist darauf, dass es in den achtziger und neunziger Jahren Versuche gegeben habe, „Gastarbeiterkinder“ in eigenen Klassen zu unterrichten; dies sei aber wieder aufgegeben worden seien. Besser sei eine flexible Schuleingangsstufe, wie sie viele Schulen in den Jahrgängen 1 und 2, manche auch in den Klassen 1 bis 4 anbieten. Kinder können dann die ersten beiden Schuljahren in einem Jahr, regulär in zwei oder auch in drei Jahren durchlaufen.
Vorschulpflicht auch für deutsche Kinder?
Linnemann hatte dafür plädiert, Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse zunächst in eine verpflichtende Vorschule zu schicken. Der Schulleitungsverband kann sich die Einführung einer Vorschule gut vorstellen. Das betreffe aber nicht nur Kinder mit ausländischen Wurzeln, sondern auch deutsche Kinder, denn auch immer mehr von ihnen hätten Sprachförderbedarf, sagt Vorsitzender Frank Stöber.
Das bestätigt Eva Osterhues-Bruns vom Grundschulverband, selbst Konrektorin an einer Grundschule bei Cuxhaven: Insgesamt nehmen der aktive und passive Wortschatz, aber auch das Textverständnis bei Kindern ab, viele Begriffe seien nicht mehr bekannt. Stöber fordert, dass Kindern mit Defiziten parallel zum normalen Unterricht verpflichtend Sprachförderung in den Grundschulen angeboten wird.
Auch Mareike Wulf, Bildungsexpertin der CDU im Landtag, hält Linnemanns Vorschlag aus pädagogischer Sicht für wenig sinnvoll. Kinder lernten am besten alltagsintegriert im Kindergarten mit Gleichaltrigen Deutsch. Das sieht auch Julia Willie Hamburg (Grüne) so, eine Kindergartenpflicht mache aber erst Sinn, wenn es flächendeckend die dritte Kraft in den Kitas und somit genug Erzieher für die Sprachförderung gebe.
Von Saskia Döhner