Verkehrsgerichtstag Goslar: Experten fordern Blinker und Helmpflicht für E-Scooter

Der Arbeitskreis Elektrokleinstfahrzeuge war der erste beim 58. Deutschen Verkehrsgerichtstag, der wegen Überfüllung geschlossen werden musste. Das Interesse am Thema war riesig, haben doch immer mehr Städte mit einer Flut von E-Scootern und den damit einhergehenden Problemen zu kämpfen. Moderator der Runde war Professor Stefan Strick, Präsident der Bundesanstalt für Straßenwesen, neben ihm referierten vier Podiumsteilnehmer über Verkehrssicherheit, Versicherungsrecht und gesetzliche Regelungen im Ausland. Unter den 240 Teilnehmern im Goslarer Energieforschungszentrum befanden sich auch viele Polizisten, Richter, Hochschullehrer und Verkehrsexperten verschiedener Verbände. Welches sind die größten Probleme mit E-Scootern? Bundesweite Zahlen über Unfälle mit Beteiligung elektrischer Tretroller gibt es nicht, doch Vertreter etlicher Kommunen berichteten über ähnliche Probleme wie in Hannover. E-Scooter-Fahrer wüssten oft nicht, dass sie ein Kraftfahrzeug führten – und vielen entsprechenden Verkehrsregeln unterworfen seien. Die meisten verstünden die Roller als Spaßmobile und seien betrunken unterwegs, häufig würden verkehrswidrig Fußgängerzonen genutzt und rote Ampeln ignoriert. Wird das Versprechen eingelöst, Verkehr von der Straße zu holen? Bislang nicht. Als Verkehrsmittel, um den Weg zur Arbeit zu erleichtern und – in Verbindung mit Bus und Bahn – die „letzte Meile“ auf zwei Rädern zu bewältigen, hat sich der E-Scooter noch nirgendwo etabliert. Er gilt als Freizeitvehikel, wird auch gern von Touristen für Stadterkundungen genutzt, hilft aber kaum, den Autoverkehr einzudämmen. Welche Rolle spielt die Vermietung von E-Scootern? In der öffentlichen Wahrnehmung eine sehr große, sind Anbieter wie Lime und Tier mit ihren E-Scootern in den Innenstädten doch sehr präsent. Allerdings habe es im September 2019 deutschlandweit „nur“ 55.000 gewerblich genutzte E-Scooter gegeben, erklärte Lars Zemke vom Bundesverband Elektrokleinstfahrzeuge, aber mehr als 200.000 privat betriebene. Das Hauptproblem an dieser Stelle: Nur 23 Prozent sind mit einer Betriebserlaubnis unterwegs, der Rest bewegt sich illegal im öffentlichen Verkehrsraum. Einen E-Roller ohne Kennzeichen zu fahren, so Tibor Pataki vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, könne mit einer Geldstrafe oder gar mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden. Sind Verkehrsverstöße immer leicht festzustellen? Polizeibeamte aus verschiedenen Städten beklagten, dass sie massive Probleme hätten, Fahrer von elektrischen Rollern aufgrund von Zeugenbeobachtungen – mit notiertem Kennzeichen – ausfindig zu machen. Manche Verleihfirmen verweigerten die Herausgabe von Namen – mit Hinweis auf den Datenschutz. Andere hätten nur – oftmals fiktive – E-Mail-Adressen zu bieten. Und bei Touristen aus dem Ausland seien Delikte wie Straßenverkehrsgefährdung oder Unfallflucht besonders schwer zu verfolgen. Etliche Teilnehmer des Arbeitskreises forderten, die Versicherungskennzeichen größer zu gestalten, da die Miniaturschilder bei Dunkelheit oder schlechtem Wetter kaum zu erkennen seien. Wie verschafft man E-Scootern mehr Raum? Große Einigkeit herrschte im Forum, dass die Infrastruktur für Radfahrer in den Städten erheblich ausgebaut werden müsse. Nur dann würden sich Tretrollerfahrer und Radler auf allzu schmalen Radwegen nicht mehr so sehr ins Gehege kommen. Und nur so könne man E-Scooter-Nutzer dazu bringen, nicht mehr auf Bürgersteige auszuweichen. Eine solche Ausweitung des Straßenraums „von außen nach innen“, wie sie Detlev Lipphard vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat postulierte, ginge natürlich zu Lasten der Autofahrer – sie müssten dann auf die eine oder andere Fahrspur verzichten. Wie kann das Tretrollerfahren sicherer werden? Sehr häufig gefordert wurde in Goslar die Einführung von Blinkern, entweder hinten oder an der Lenkstange montiert. Besonders das Rechtsabbiegen mit ausgestrecktem Arm, das mit einem abrupten Nachlassen des Vortriebs verbunden ist, erfordert hohes fahrerisches Geschick – das einem beschwipsten Partygast meist fehlt. Auch eine Helmpflicht für E-Scooter-Nutzer halten viele Experten für zwingend notwendig, verletzen sich doch die meisten verunglückten Tretrollerfahrer am Kopf. Eine Entschleunigung, die der Verkehrssicherheit dient, könnte auch eine Umstellung der Ausleihtarife mit sich bringen: Wer nicht für eine bestimmte Zeit bezahlt, sondern für die zurückgelegte Entfernung, dürfte entspannter durch die Stadt rollen. Und schließlich kam auch noch die Idee einer Mini-Fahrerlaubnis auf den Tisch: Viele junge Leute hätten aus Desinteresse gar keinen Kfz-Führerschein mehr – und dementsprechend wenig Ahnung von Verkehrsregeln. Wie sind die gesetzlichen Regelungen im Ausland? Nicht einheitlich. Es gibt in einigen Ländern Bestimmungen, die der in Deutschland seit Juni 2019 gültigen Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung ähneln, etwa in Österreich. Doch im Prinzip „kocht jeder sein eigenes Süppchen“, wie es Peter Jaklin vom ADAC formulierte. Mal dürften E-Scooter höchstens 20 Kilometer pro Stunde fahren, mal 25 oder gar 30. In Frankreich sind nachts Warnwesten vorgeschrieben. In Barcelona dürfen die Scooter im Schritttempo auf Gehwegen genutzt werden, und in Mailand sind sie komplett verboten worden. Auch Promillegrenzen oder eine Helmpflicht variieren von Land zu Land. Lesen Sie auch: Gericht verhängt harte Strafe für Trunkenheitsfahrt auf Tretroller Polizei in Hannover greift durch Verbände sehen E-Scooter zunehmend kritisch Von Michael Zgoll

Verkehrsgerichtstag in Goslar - Experten fordern Blinker und Helmpflicht für E-Scooter