Der Bund Deutscher Architekten sprach kürzlich von einem besonderen Bauwerk, Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) gar von einem fantastischen, zukunftsweisenden Gebäude: Doch die vor wenigen Wochen eröffnete Förderschule auf der Bult ist offenbar eine große Enttäuschung. Wegen zahlreicher Baumängel läuft der Betrieb längst nicht so wie er sollte. Die Probleme in dem 21 Millionen Euro teuren Neubau sind so gravierend, dass sich die Schulleiterin jetzt in einem Brief an die Eltern gewandt hat.
Kurz vor den Sommerferien hatten Schüler und Lehrer die neuen Räume in der Erwartung bezogen, dass „viele noch erforderliche bauliche Maßnahmen noch in den Ferien beendet werden“. So schreibt es Schulleiterin Kathrin Nippold in dem Brief, der der HAZ vorliegt. Das sei aber nicht geschehen, daher gebe es „aktuell viele Einschränkungen“ in dem neuen Schulgebäude.
Laut Nippold kann bisher kein einziger Fachraum genutzt werden. Das hat Folgen für den Unterricht in den Fächern Biologie, Physik, Chemie, Werken, Kunst, Hauswirtschaft, Musik, Informatik und im Bereich Berufsorientierung – er sei „nur sehr eingeschränkt möglich“. In vielen Bereichen ist unter anderem der Fußboden noch nicht fertiggestellt.
Wasserdruck ist zu niedrig für die Klos
Die Toiletten in der 1. und 2. Etage können teilweise nicht genutzt werden, schreibt Nippold weiter, weil der Wasserdruck nicht konstant sei. Zudem stehe durch den Abriss des alten Schulgebäudes in den nächsten Monaten „nur ein sehr begrenzter Schulhofbereich zur Verfügung“.
Die Schulleiterin äußert in dem Schreiben die Hoffnung, dass die Region Hannover als Schulträgerin die Fertigstellung des Gebäudes „konsequent und zielführend“ vorantreibt, um ein gutes pädagogisches Arbeiten zu ermöglichen.
Die Förderschule auf der Bult
Auf der Bult werden seit 1978 Kinder mit Verhaltensproblemen in den Schuljahrgängen ein bis zehn unterrichtet. Derzeit gehen 200 Schüler dorthin. Sie sollen dort nur vorübergehend betreut werden. Die Kinder sollen zur Ruhe kommen, stabilisiert werden, damit sie möglichst bald wieder zu einer Regelschule gehen können.
Die 110 Lehrer sind auch im mobilen Dienst tätig, sie beraten Regelschulen und überprüfen, ob Kinder einen emotionalen oder sozialen Förderbedarf haben. Laut Region bleiben die Kinder im Durchschnitt 1,3 Jahre an der Förderschule, dann kehren sie an die Regelschule zurück.
Gegenüber der HAZ erklärte die Schulleiterin, man sei im vergangenen Schuljahr in „eine Baustelle“ gezogen und habe gehofft, dass man nach den Sommerferien endlich die Kartons hätte auspacken und die Fachräume benutzen können. Doch passiert sei in den sechs Wochen nichts. „Wir fanden alles unverändert vor.“ Vorgewarnt worden sei sie weder von der Region noch von den Architekten.
Noch immer sei der Raum für Berufsorientierung von Handwerkern blockiert, die naturwissenschaftlichen Räume seien weiterhin nicht nutzbar. Dementsprechend können die fachpraktischen Anteile der Fächer nicht unterrichtet werden und später wohl auch nicht bewertet werden.
Die ganze Situation sei für die Schüler mit dem sozial-emotionalen Förderbedarf und ihre Lehrer eine große Herausforderung, sagt Nippold. Wann der Neubau endlich vollständig fertiggestellt sei, stehe noch überhaupt nicht fest.
Bau dauerte drei Jahre
Das alte Schulgebäude, das jetzt abgerissen wird, galt in der Regionspolitik schon lange als Schrottimmobilie und musste trotzdem jahrelang weiter genutzt werden. Der Bau der neuen Schule hatte im Juni 2016 mit einem öffentliche gefeierten Spatenstich begonnen und sollte eigentlich nach zwei Jahren beendet sein. Im vergangenen Oktober wurde bekannt, dass Firmen beim Neubau erheblich gepfuscht haben. Probleme mit der Telefonanlage gab es dann ausgerechnet bei der Eröffnung im Juni 2019.
Region Hannover: Lehrer wollten umziehen
Die Region Hannover als Bauherr verweist wegen der Mängel auf Absprachen: Der Umzug vor den Sommerferien in das neue Gebäude habe auf ausdrücklichen Wunsch von Schulleitung und Lehrerkollegium stattgefunden, sagt Regionssprecherin Frauke Bittner. Es sei allen Beteiligten bekannt gewesen, dass auch nach dem Umzug noch einige Arbeiten im Neubau abzuschließen seien.
Es sei außerdem Teil der Planung gewesen, dass das alte Gebäude erst dann abgerissen werde, wenn der Umzug beendet sei und das alte Gebäude leer stehe, ergänzt Bittner. Durch den Abriss komme es derzeit zu Beeinträchtigungen. Für den Pausenbereich gebe es vor dem Schuleingang geeignete Ausweichflächen mit Spielgeräten, sagt die Sprecherin.
Der passende Estrich kommt erst in den Herbstferien
In den Fachräumen für Biologie und Chemie sei der Estrich zu dünn, um Tische mit Elektroanschlüssen am Boden zu befestigen, berichtet Regionssprecherin Bittner. Das sei ein Sicherheitsrisiko. In den Herbstferien käme neuer, dickerer Estrich in die Fachräume, damit anschließend die Tische sicher befestigt werden könnten.
Die Sprecherin bestätigte auch Probleme mit dem Wasserdruck. Dieser sei am Hausanschluss einfach nicht hoch genug. „Dadurch springt die Druckerhöhungsanlage nicht an“ – die Toiletten bekämen nicht genug Wasser. „Das Problem wurde erst im Betrieb festgestellt“, berichtet Bittner. Die Region befinde sich im Gespräch mit dem Versorgungsunternehmen Enercity.
Sollten Förderschulen nicht eigentlich abgeschafft werden?
Lange war nicht klar, ob die Förderschule Bult überhaupt neu gebaut wird. Denn die frühere rot-grüne Landesregierung wollte diese Schulart eigentlich abschaffen und alle Kinder mit besonderem Förderbedarf in normale Schulen integrieren. Nach lauten Protesten kam dann die Kehrtwende: Nur die Förderschulen Lernen werden nach und nach abgeschafft. Die anderen bleiben – damit auch die Schulen, die Kinder mit emotionalen oder sozialen Problemen betreuen wie die Förderschule auf der Bult.
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Von Mathias Klein und Saskia Döhner