Hannover: Scheidender Propst Martin Tenge fordert Umdenken in Gemeinden

Propst Tenge, genau elf Jahre lang waren Sie Hannovers oberster Katholik, jetzt wechseln Sie nach Hildesheim. Ihre Zeit hier war von großen Veränderungen geprägt. Ja, es gab schmerzhafte Kirchenschließungen und Gemeindefusionen. So etwas geht immer zu Lasten der Identität und irritiert besonders die Engagierten. Doch es ist auch klar, dass wir das bisherige System von Kirche nicht aufrechterhalten können. Daher wird es in Zukunft überall Teams von Priestern und anderen Hauptamtlichen geben, die gemeinsam für mehrere Pfarreien zuständig sind. Dafür braucht es bei allen ein großes Umdenken. Das gravierende Problem ist der Priestermangel. Dieser wäre kaum so eklatant, wenn es nicht den Zölibat gäbe, die Verpflichtung zur Ehelosigkeit für katholische Geistliche. Dass es an Priestern fehlt, liegt nicht nur am Zölibat. Auch in der evangelischen Kirche finden sich nicht so viele Pastoren, wie man bräuchte. Der Beruf des Pfarrers ist durch die schrecklichen Missbrauchsfälle zusätzlich in Misskredit geraten. Die Gemeinden rufen alle nach Priestern, doch wenn ein junger Mann sich wirklich überlegt, diesen Weg zu gehen, sagen alle: Überleg gut, ob du dir das antun willst. Eine Trendwende ist allerdings nicht in Sicht. Darum müssen wir das gesamte System der Gemeindestrukturen infrage stellen. Über Generationen war es so, dass der Herr Pfarrer alles Wichtige erledigte, und die anderen halfen mit. Da müssen wir umdenken. Wir müssen lernen, dass Ehrenamtliche die eigentlichen Träger der Gemeinde sind. In Südamerika habe ich erlebt, dass der Priester zwei-, dreimal im Jahr vorbeikam, und das Gemeindeleben funktionierte trotzdem. Vielleicht will Gott die Kirche und die Gemeinden gar nicht so, wie sie in den letzten Jahrzehnten waren. Vielleicht will er sie ganz anders. Auch in Sachen Gleichberechtigung? Frauen pochen – etwa in der Bewegung Maria 2.0 - jetzt verstärkt auf mehr Rechte in der Kirche. Da hat die Kirche tatsächlich extremen Nachholbedarf. Wir müssen die Rolle von Frauen auch in Führungspositionen stärken. Dieses Thema wird für mich auch in meiner neuen Aufgabe als Personalchef des Bistums hohe Priorität haben. In Hannover sind Katholiken klar in der Minderheit. Ist das eine unkomfortable Situation? Im Gegenteil, gerade als Minderheit können wir uns doch als kleine, bescheidene Weltkirche in die Stadtgesellschaft einbringen. Meine Zeit in Hannover habe ich als Zeit des Reichtums erlebt. Etwa dank vieler Begegnungen in den katholischen Gemeinden, und selten habe ich auch eine so intensive Ökumene erlebt wie hier. In der Stadt gibt es einen regen Dialog zwischen den Glaubensgemeinschaften, eine große Wertschätzung zwischen Juden und Muslimen, Christen, Bahai und anderen. Viele haben heute ja Angst, so etwas könnte die eigene Identität verwässern. Dabei erkennt man doch oft erst im Dialog, was den eigenen Glauben ausmacht. Ihr Plan, die Basilika St. Clemens als Hannovers katholische Hauptkirche grundlegend umzugestalten, ist unter anderem aus Kostengründen geplatzt. Dafür haben wir bei der 300-Jahr-Feier der Basilika im vergangenen Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen gezeigt, wie viel Energie in Hannovers Kirche steckt. Und wir haben die Krypta umgestaltet, zu einem architektonisch stimmigen Ort der Trauer und der Hoffnung. Mit dem evangelischen Stadtsuperintendenten Hans-Martin Heinemann und anderen haben Sie an einem Papier über einen möglichen Weg zum gemeinsamen Abendmahl der Konfessionen gearbeitet. Ist das viel beachtete Projekt jetzt ad acta gelegt? Ein Dokument haben wir noch nicht, aber es gibt einen Zwischenstand. Den legen wir in die Hände derer, die nach uns kommen. Das Thema bleibt in den nächsten Jahren eine der wichtigsten Fragen in der Ökumene. Es gibt noch viele andere Prozesse, an denen ich gerne drangeblieben wäre. Auch den Umbau des Hauses der Religionen und den Strukturwandel in Hannovers katholischer Kirche hätte ich gerne mitgestaltet. Alles in allem gehe ich daher mit einem weinenden Auge. Doch nach elf Jahren ist es auch an der Zeit, sich auf etwas Neues einzulassen. Zur Person: Propst Martin Tenge, geboren 1961 in Gütersloh, studierte Theologie in Münster, lebte in Brasilien und Italien. 1989 wurde er in Hildesheim zum Priester geweiht. Er arbeitete als Jugendseelsorger des Bistums, bis er 2008 Propst in Hannover wurde. Hier war er für rund 150 000 Katholiken in der Region zuständig. Jetzt wechselt er als neuer Personalchef des Bistums nach Hildesheim, sein Nachfolger wird der Theologe Christian Wirz. Zur Stabübergabe gibt es am 31. August um 15 Uhr einen Gottesdienst in der Basilika St. Clemens. Von Simon Benne

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