Hannover: Wjahat Ahmed Waraich stellt Fotografien aus

Insgesamt 39 Bilder hängen am Zaun zwischen Schule und Wohnblock am Märchenweg im Sahlkamp. „Früher hieß dieser Weg Dunkelweg“, erzählt Wjahat Ahmed Waraich. Dabei ist es hier alles andere als dunkel. Die Wege sind neu gemacht. Es gibt viele Bäume und saubere Holzbänke, die zum Verweilen einladen. Einen Wohnblock, der schon etwas älter ist, gibt es auch. Davor befindet sich eine Rasenfläche, auf der Kinder spielen. Fotos aus Benin, Indien und Pakistan: Mit seinem legeren Sakko hebt sich Waraich, der hier aufgewachsen ist, dezent ab von den vielen Menschen in Freizeitkleidung. Er deutet auf ein Bild, das eine ältere Frau zeigt. „Obwohl sie sehr krank und auch arm ist, strahlt sie eine große Würde aus“, findet Waraich. Das Fotos hat er selbst gemacht - wie viele andere bei seinen Reisen nach Benin, Indien oder Pakistan. Die Menschen auf den Porträts, die in der Ausstellung „Grenzgänger“ zu sehen sind, blicken dem Betrachter direkt in die Augen. Waraich hat sie auf Augenhöhe fotografiert. Er kennt ihre Geschichten. Sie sind zu ihm gekommen, um sich von ihm behandeln zu lassen. Der Stadtteiltreff Sahlkamp, die Grundschule Hägewiesen, die Flüchtlingsinitiative Unter einem Dach und viele Privatpersonen haben mitgemacht: Vier Monate lang lud die Open-Air-Ausstellung „Grenzgänger“ am Märchenweg im Sahlkamp dazu ein, sich mit Themen wie Armut, Hoffnung und Würde auseinanderzusetzen. Etwa 30 Menschen aus dem Stadtteil reichten Malereien, Zeichnungen oder Fotos ein. Bis zum 27. Oktober können sie zusammen mit den Werken der „Grenzgänger“-Ausstellung im Neuen Rathaus besichtigt werden. Initiiert wurde die Ausstellung von Sergen Pasalilar (Jurastudent) und Wjahat Ahmed Waraich (Arzt), die beide im Sahlkamp aufwuchsen. Ihre Fotografien und Gemälde bildeten den Auftakt für weitere Projekte. „Mit der Sahlkamp-Galerie wurde ein öffentlicher Ort für Kunst geschaffen, der auch weiterhin genutzt werden soll“, erklärt Waraich. Pasalilar betont: „Künstler zu sein hat vor allem etwas mit Emotionen zu tun. Deswegen kann jeder künstlerisch tätig sein.“ Bei der Umsetzung wurden Pasalilar und Waraich von Kuratorin Maya Brockhaus und Grafikdesigner Arne Busch unterstützt, der auch das Logo für die größte Open-Air-Galerie Hannovers entworfen hat. Die ursprünglichen Plakate der „Grenzgänger“-Ausstellung sind noch bis 4. November am Märchenweg zu sehen. Danach werden je zwei der Banner von der Nähwerkstatt der Flüchtlingsinitiative Unter einem Dach zu Tragetaschen verarbeitet. Die Ausstellung im Bürgersaal des Neuen Rathauses ist bis zum 27. Oktober täglich geöffnet. Der Eintritt ist frei. Als Arzt in Entwicklungsländern unterwegs: Einmal im Jahr nimmt der 33-Jährige drei Wochen Urlaub, um als Arzt mit einer Hilfsorganisation in einem Entwicklungsland zu arbeiten. Diese Arbeit gebe ihm Kraft, obwohl man vieles sehe, was mit der Schulmedizin unvereinbar sei. „Die meisten Menschen können sich gar keinen Arzt leisten“, berichtet Waraich. „Sie gehen stattdessen zum Schamanen oder vertrauen auf Voodoozauber.“ Wissenschaft gegen Tradition: Was für andere ein heftiger Kulturschock wäre, nimmt Waraich einfach hin. Er räumt aber ein, dass das nicht immer leicht sei. „Damit umzugehen erfordert viel Sensibilität“, sagt er. „Wir können nicht als ausländische Mediziner dort hingehen und sagen, der Schamane mache alles falsch. Die Menschen vertrauen ihm, und wir müssen das respektieren. Wir möchten Hilfe anbieten, aber keine Konflikte heraufbeschwören.“ Vorsitzender der SPD Vahrenheide/Sahlkamp: Zehn Jahre macht Waraich das nun schon, zusätzlich zu seinem regulären Job im Klinikum Region Hannover. Studiert hat er in Frankfurt. Die unbefriedigende Situation der Kollegen im Praktischen Jahr nahm er 2009 zum Anlass, in die SPD einzutreten und sich in der Hochschulpolitik für bessere Lebens- und Ausbildungsbedingungen einzusetzen. Heute ist Waraich Vorsitzender der SPD Vahrenheide/Sahlkamp. Dort lernte er auch Sergen Pasalilar kennen, der die Gemälde der Ausstellung entworfen hat. Arzt im Klinikum, Auslandseinsätze, Kommunalpolitik, Kunst – ist das nicht ein bisschen viel? Waraich überlegt kurz und schüttelt dann den Kopf. „Für mich ist die Arbeit bei der SPD ein Ausgleich zur Arbeit im Krankenhaus“, erklärt er. „Man hilft den Menschen auf einer anderen Ebene, wenn man als Kommunalpolitiker arbeitet. Als Arzt ist man ja immer nah am Menschen. Als Politiker auch, aber anders.“ Er bedauert, dass er als Kommunalpolitiker wenig Einfluss auf die Probleme im Gesundheitswesen nehmen könne. „Etwa darauf, dass geburtshilfliche Leistungen kaum vergütet werden, orthopädische Leistungen wie neue Hüften hingegen schon. Der Mensch gerät bei uns zunehmend aus dem Blickfeld, dafür wird der Arztjob immer mehr ein Schreibtischjob mit Schwerpunkt auf ökonomischen Fragestellungen.“ „Die sozialen Probleme haben keine Nationalität“: Wenn er von seiner Arbeit erzählt, spricht Waraich ruhig und ohne Frust. Er hat für sich einen Weg gefunden, der zu ihm passt. Eine Entscheidung fiel ihm dabei sicher nicht leicht: Nach Studium und Promotion am Krebsforschungszentrum Heidelberg hätte er die Möglichkeit gehabt, fünf bis sechs Jahre für einen Postdoc nach Harvard zu gehen. „Das Angebot war natürlich sehr attraktiv“, erinnert sich Waraich. „Ich habe an diesem Punkt allerdings gemerkt, dass man nicht alles haben kann im Leben und manchmal Prioritäten setzen muss. Die Nähe zu meinen Eltern und meiner Familie war mir ebenfalls wichtig, ich bin ein Familienmensch. Daher bin ich hierher zurückgekommen.“ Verwurzelt im Sahlkamp: Mit „hierher“ meint Waraich den Sahlkamp, wo er auch heute wieder lebt. Für ihn ist seine Heimat kein Brennpunkt, sondern eine „Großstadt im Kleinen“, in der verschiedenste Bevölkerungsgruppen und Lebenswirklichkeiten aufeinandertreffen. Eines ist Waraich dabei wichtig zu betonen: „Die sozialen Probleme, die es hier gibt, haben keine Nationalität. Die betreffen nicht nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die betreffen alle.“ Es stört ihn, dass rechte Gruppierungen immer wieder bestimmte Gruppen hervorhöben. „Die Sinti und Roma, die Bosniaken, die ‚Kopftuchträger’ und so weiter. Die Menschen hier erleben das als Alltagsrassismus“, sagt er. !Und auch das wollen wir mit unserer Ausstellung zeigen: Die Menschen hier sind mehr als die Stigmata, auf die sie von manchen reduziert werden.“ Von Anna Kiefer