Tochter von 2012 verstorbenem Patienten aus Hannover bekommt 100.000 Euro Schmerzensgeld

Ein ebenso spektakuläres wie zähes Kunstfehler-Verfahren ist mit der Zahlung von 100.000 Euro Schadensersatz an die Tochter des 2012 verstorbenen Hannoveraners Helmut Brecht beendet worden. Auf einen entsprechenden Vergleich einigten sich nach einer mehr als sechs Jahre währenden juristischen Auseinandersetzung die von der hannoverschen Medizinrechtlerin Annette Corinth vertretene Tochter und das Henriettenstift in Hannover. Im Vorjahr hatte die Klinik mit der Krankenversicherung des Patienten in einem vorgelagerten Verfahren schon einen zweiten Vergleich geschlossen. 16 Fremdkörper im Bauchraum: Nach einer Darmoperation im hannoverschen Henriettenstift im September 2009 hatten Ärzte und Pflegekräfte in den Folgemonaten 16 Fremdkörper im Bauchraum des damals 74 Jahre alten Patienten entdeckt. So war bei einem Aufenthalt im Klinikum Springe (Region Hannover) eine Nadel herausgespült worden, Monate später eiterten zwei weitere Kompressen-Teilstücke heraus, bevor eine Revisions-OP des Henriettenstifts im August 2010 noch 13 weitere Fremdkörper wie Jodoform- und Verbandsstreifen zutage förderte. Später verklagten Ehefrau Margot (die 2019 verstarb) und Brechts Tochter das Krankenhaus und den verantwortlichen Chefarzt auf Zahlung von Schmerzensgeld. Sie empfanden es als skandalös, dass der renommierte Mediziner und die Klinik jegliche Verantwortung von sich wiesen und einen ambulanten Pflegedienst verdächtigten, die 16 Teile in den Körper des Hannoveraners hineinpraktiziert zu haben. Versicherung bot zunächst 500 Euro an: Das erste Angebot der Klinik-Versicherung lag bei spärlichen 500 Euro, 2012 wurde dieser Betrag auf 15.000 Euro aufgestockt. Immer wieder verwies das Henriettenstift auf die Vorerkrankungen von Brecht wie Herzinfarkt, Nierenprobleme und einen entzündeten Darm nach Prostatakrebs-Bestrahlungen. Doch im Anschluss an die OP im September 2009 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Seniors nochmals erheblich, es traten vermehrt Komplikationen auf. Bis zu seinem Tod zweieinhalb Jahre später reihte sich bei dem Patienten eine Entzündung an die andere. Er litt unter enormen Schmerzen und war ans Bett gefesselt. Nach Auskunft von Rechtsanwältin Corinth hatte ein gerichtlich bestellter Gutachter dem Henriettenstift bereits 2015 eine fehlerhafte postoperative Versorgung vorgeworfen. Dieser Professor, Chefarzt an einer Würzburger Klinik, habe eindeutig das Verbleiben der Fremdkörper für den weiteren Krankheitsverlauf von Brecht nach 2009 und für seinen Tod 2012 verantwortlich gemacht, so die Medizinrechtlerin. Ein Verschulden des später tätigen Pflegedienstes habe der Sachverständige klar verneint. Vergleich vor Verhandlungstermin: Der 100.000-Euro-Vergleich kam kurz vor dem ersten öffentlichen Verhandlungstermin im Verfahren der Tochter gegen das Henriettenstift zustande; möglicherweise wurde die Einigung beschleunigt, weil der Chefarzt wenig Interesse an einem Auftritt vor Gericht hatte. Nun erst, zehneinhalb Jahre nach der verhängnisvollen OP und acht Jahre nach dem Tod von Helmut Brecht, ist das Ringen um ein angemessenes Schmerzensgeld beendet. „Dieser Fall zeigt exemplarisch die fehlende Zahlungsbereitschaft und die Verzögerungsstrategien“, klagt Anwältin Corinth, „die Versicherungen in Arzthaftungsprozessen selbst bei eindeutigen Fällen an den Tag legen.“ Von Michael Zgoll

Landgericht Hannover - Nach OP 16 Fremdkörper im Bauch vergessen – 100.000 Euro Schmerzensgeld