Die Methode hat bei Göttinger Drive-in-Theater in DT-Tiefgarage Premiere

Ob Fahrersitz oder Rückbank – bei der aktuellen Produktion des Deutschen Theaters (DT) Göttingen sitzt der Zuschauer nicht wie gewohnt im bequemen Sessel vor der Bühne, sondern im eigenen Auto und fährt von Szene zu Szene. Nahezu kontaktlos geht es im Drive-in-Theater im Viertelstundentakt durch die DT-Tiefgarage, wo die Schauspieler an vier Bühnenstationen die Geschichte erzählen. Am Sonnabend hatte die Inszenierung des Stücks „Die Methode“ Premiere. „Die Methode“ entstand nach der 2007 erstmals aufgeführten RVorlage von Juli Zeh mit dem Titel „Corpus Delicti“ und ist angesichts der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen im öffentlichen Leben aktueller denn je. Im Jahr 2057 gilt die Gesundheit jedes einzelnen als Staatsdoktrin. Grundlage des gesamten Staatswesens ist nicht mehr die Demokratie, sondern „Die Methode“. Der Staat zwingt seine Bürger zu gesundheitlicher Prävention, entscheidet über den persönlichen Umgang und behandelt das Rauchen einer Zigarette als Delikt. Vier Monologe: Bei „Die Methode“ in der DT-Fassung unter der Regie von Antje Thoms ist das Original auf vier Monologen reduziert worden. Die Insassen der Fahrzeuge hören Schauspieler über einen Lautsprecher, den es von Sicherheitswächtern am Einlass gibt. An der Einfahrt zur Tiefgarage werden die Regeln der Methode erklärt. Die Vorstellung ist gut durchgetaktet – jede Viertelstunde darf ein Auto einfahren, während die Fahrzeuge drinnen jeweils eine Station weiter gelotst werden. An der Produktion ist das große Ensemble beteiligt. Jede Figur ist fünffach besetzt. Auch der technische Aufwand für das Drive-in-Theater ist enorm. Dabei sehen am Premierenabend gerade einmal Zuschauer in acht Autos das Stück. Bei weiteren Vorstellungen sollen es doppelt so viele sein. Zunächst wirkt das Ganze ein wenig surreal und befremdlich. Noch während man den Schauspielern an ihren isolierten Positionen über den Bluetooth-Lautsprecher im Wagen zuhört, beschleicht einen das Gefühl, belauscht, beobachtet und stets kontrolliert zu werden. Gestalten in weißen Schutzanzügen mit Mund-Nase-Masken – die Sicherheitswächter – sind allgegenwärtig, weisen denjenigen mit harschen Worten zurecht, der vor seiner gebuchten Zeit vorfährt, und schleichen immer mal wieder ums Auto herum. Trotz Distanz Auge in Auge mit den Akteuren: Wer dem gesunden Menschenverstand widerspricht, ist krank, gefährdet den kollektiven Körper, die Gesellschaft. Das ist der Rahmen, den „Die Methode“ vorgibt. An vier Schauplätzen begegnet der Theaterbesucher jeweils einer Figur, die aufgrund der Corona-Auflagen genauso isoliert ist, wie das Publikum in den Fahrzeugen. Zu den Akteuren entsteht dennoch trotz der abgeschotteten Distanz eine gewisse Nähe. Man sitzt Auge in Auge mit den Akteuren. An der ersten Station in der Tiefgarage lernt der Zuschauer Moritz Holl kennen, der das Leben als ein Angebot betrachtet, das man auch ablehnen kann, und der sich dem Diktat der Vernunft widersetzt. Im Folgenden geht es um tiefgreifende gesellschaftliche Fragen. Hat man ein Recht auf Krankheit? Was passiert mit Menschen in der Isolation? Wie viel Freiheit ist man bereit aufzugeben zugunsten der eigenen Gesundheit? Hat man ein Recht auf Krankheit oder schuldet man der Gesellschaft, sich helfen zu lassen oder sich gesund zu ernähren? Ist es würdig, die eigene Person über die aller Menschen zu stellen? Holl wird von einer systemrelevanten Person erfolglos einem Klärungsgespräch unterzogen, wird unter anderem der Bildung einer Methode-feindlichen Vereinigung angeklagt und muss erfahren, dass sein Strafverteidiger am Ende doch nicht so tough ist, wie er zunächst Glauben machen möchte. An der letzten Station geht es ums Überleben und Holls Schwester Mia im Strudel von Notwendigkeiten und den Tod. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach „Die Methode“ nach dem Stück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh ist ab 9. Mai täglich in der DT – X Tiefgarage zu sehen. Karten sind zum Preis von 34 Euro pro Fahrzeug, egal, wie viele Personen darin sitzen, telefonisch unter 0551/4969 300 sowie online unter www.dt-goettingen.de erhältlich. Wer nicht über ein Fahrzeug verfügt, kann nach Anmeldung unter Telefon 0551/484848 spätestens zwei Tage vor der gebuchten Vorstellung zum Preis von 35 Euro mit einem Puk-Minicar durch das Drive-in-Theater fahren. Juli Zeh, geboren 1974 in Bonn, ist ist eine deutsche Juristin und Schriftstellerin, die unter anderem durch ihr gesellschaftlich-politisches Engagement bekannt ist. Sie gehört seit 2017 der SPD an und wurde 2018 zur ehrenamtlichen Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt. Ihr literarisches Werk setze Zeh Wikipedia zufolge auch für politische Statements ein. Beispielsweise habe sie 2008 beim Bundesverfassungsgericht eine erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepass eingereicht, da nach ihrer Ansicht die obligatorische Erfassung von Fingerabdrücken ein „sinnlose[r] Grundrechtseingriff“ sei. Aktuell machte Zeh von sich Reden, weil sie in einem gemeinsamen Aufruf prominenter Autoren in der Debatte um Grundrechtseingriffe während der Covid-19-Pandemie eine schnellstmögliche Beendigung des sogenannten Lockdowns fordert und die Auffassung vertritt, dass durch die Maßnahmen „die Grundrechte für die gesamte Bevölkerung in manchen Bereichen fast auf null gesetzt“ würden. Markus Decker, Kommentator des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RDN), hält einige Aussagen von Juli Zeh für „ sachlich falsch, moralisch fatal – und ja, in ihrer fehlenden Komplexität einer politischen Intellektuellen unwürdig “. Lesen Sie auch: Deutsches Theater Göttingen inszeniert in der Tiefgarage Mit dem Auto vor die Bühne Corona-Krise: Warum Juli Zeh völlig falsch liegt Sie erreichen die Autorin per E-Mail an b.eichner-ramm@goettinger-tageblatt.de oder unter Telefon 05527/9499712. Von Britta Eichner-Ramm

Premiere von „Die Methode“ - Göttinger DT beschert eine besondere Erfahrung im Drive-in-Theater