Belagerung im Jahr 1626: Älteste Göttinger Stadtansicht wird restauriert

Der Himmel hellt auf. Ein weiteres Stück in der Größe einer Spielkarte kommt in hellem Blaugrau zum Vorschein. Restauratorin Viola Bothmann hat bereits eine der vier Leinwandbahnen des großformatigen Belagerungsgemäldes vom alten Überzug befreit. Mit einem großen Wattestäbchen geht die Expertin ans Werk. Die aus dem 17. Jahrhundert stammende Stadtansicht mit Szenen aus dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) wird von Bothmann im Städtischen Museum Göttingen restauriert. Im vergangenen Jahr hat Bothmann erste, kleine Flächen bearbeitet, um das weitere Vorgehen festzulegen. Seit Mitte Januar ist sie nun bei der Arbeit im Museum. Sie arbeitet im Ausstellungsraum. Das Museum ist im Corona-Lockdown geschlossen. Das Ölgemälde mit Szenen der Belagerung durch die katholische Partei und deren General Tilly im Jahr 1626 stammt vermutlich von dem Göttinger Maler Justus Münch, in dessen Werkstatt es in den Jahren 1645 /46 entstand. Die Stadt Göttingen war Auftraggeber. Im Ratssaal im Alten Rathaus erinnerte dieses Gemälde ebenso wie ein weiteres aus der Werkstatt Münch an die Ereignisse des Krieges. Beide Stadtansichten sind seit 1893 im Besitz des Museums. Sie gelten als älteste Göttinger Ansichten mit genauer topografischer Darstellung. Einwirkungen von Luft und Licht: 1972 wurde das große Bild, das 1,44 mal 2,48 Meter misst, restauriert. „In 50 Jahren hat sich durch Luft- und Lichteinwirkungen ein dunkler Überzug gebildet, der mit Ethanol abgenommen werden kann“, erklärt Bothmann. Das Alter der Farbe und des Untergrundes spiele immer eine Rolle, ob überhaupt mit Lösungsmittel gearbeitet werden könne. Die selbständige Restauratorin geht davon aus, dass sie für die Firnisabnahme etwa 120 Arbeitsstunden benötigt. Dann sind noch Beschädigungen zu reparieren und das großformatige Bild erhält zum Abschluss, voraussichtlich zur Jahresmitte, einen neuen Überzug. An zwei Stellen hat Bothmann bereits Proben aufgetragen. In der linken, unteren Bildecke ist der Überzug der Wahl. Die Ecke in Schulheftgröße lässt erkennen, was der Überzug bringt: „Er gibt dem Bild Tiefe und hat eine Schutzfunktion“, erklärt die Diplom-Restauratorin, die auch für Gemäldegalerien, das Landesmuseum, die Landeskirche und die Kunstsammlung der Universität Göttingen tätig ist. Ruinierte Stadt Göttingen: Auf vier zusammengefügten Leinwandbahnen ist die Kriegsszenerie abgebildet. Die Nähte sind zu erkennen und auch, dass die vierte Bahn gestückelt wurde. Zur Zeit der Herstellung war Göttingen durch die Kriegsfolgen eine ruinierte Stadt. Der Rat der Stadt hatte zwar die Kunstwerke in Auftrage gegeben, aber der Künstler musste sparsam mit dem Leinen umgehen – und auch mit der Farbe. Es dominieren Töne, die aus vergleichsweise günstigem Eisenoxidrot, Bleiweiß und Azurit entstanden. Das starke und wie als Farbtupfer eingesetzte leuchtende Zinnoberrot war hingegen teuer. Die Tillysche Fahne, die am unteren Bildrand bei einer Reitergruppe zu erkennen ist, wird so zum Hingucker. Neue Details zu erkennen: Wo die Restaurierung des Gemäldes fortgeschritten ist, werden Details sichtbar: Gauben auf dem Dach des Paulinerklosters, vor dem Stadtwall Flächen mit Ackerfurchen und Gartentoren. Andrea Rechenberg, Leiterin des Städtischen Museums, blickt auf die bearbeitete Fläche: „Die Dramatik der Situation kommt wieder zur Geltung. Und damit das Ziel, das der Stadtrat damals hatte: Das Gemälde sollte an die Belagerung erinnern, sollte aufrütteln.“ Nach der Untersuchung der beiden Belagerungsgemälde durch den Göttinger Kunsthistoriker Dr. Thomas Appel bringe nun die Restaurierung weiteren Erkenntnisgewinn, so Rechenberg. „Bei der Arbeit im Museum sind verschiedene Kompetenzen gefragt auf der Suche nach der Bedeutung von Objekten“, betont die Museumsleiterin. Der Göttinger Kunsthistoriker Dr. Thomas Appel hat die beiden Belagerungsgemälde, die Szenen aus dem Dreißigjährigen Krieg in Göttingen zeigen und aus dem 17. Jahrhundert stammen, untersucht. Seine Erkenntnisse über das Ereignisbild von Daniel Münch, das die Belagerung durch die Truppen des kaiserlichen Generals Octavio Piccolomini im Jahr 1641 thematisiert, und das später vermutlich von Justus Münch angefertigte Gemälde mit Szenen aus dem Jahr 1626, gehen weit über die kunsthistorische Betrachtung der beiden Objekte hinaus. In dem Buch „Göttinger Stadtgeschichte im Bild“ (Wallstein Verlag 2020, 103 Seiten, 14 Euro) belegt Appels Recherche die Aufträge an den Maler und Ratsherrn Daniel Münch für die großformatigen Bilder. Beschrieben werden auch weitere Tätigkeiten und Objekte der Werkstatt Münch. Ratsprotokolle und Einträge in Kirchenbüchern gaben Aufschluss über die Aufträge und Gepflogenheiten. Die Belagerungsgemälde hatte der Rat der Stadt Göttingen in Auftrag gegeben, um an die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) in Göttingen zu erinnern. Mehr als 250 Jahre hingen die Gemälde im Alten Rathaus. Die Gemälde sind im Städtischen Museum Teil der Dauerausstellung „Stadt. Macht. Glaube“. Sie thematisiert die Situation in Göttingen im 16. Jahrhundert mit gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen und den daraus resultierenden Folgen für die Stadt. Von Angela Brünjes