Der Göttinger Galerist Oliver Ahlers präsentiert Kunst von Kollwitz und Bittersohl

Der Lockdown verhindert derzeit Kulturveranstaltungen, wie wir sie gewohnt waren. Theatervorstellungen sind ebenso abgesagt wie klassische und U-Musik-Konzerte. Auch Galerien müssen ihre Türen geschlossen halten. Der Göttinger Galerist Oliver Ahlers hat dennoch zwei Schauen zusammengestellt. Er zeigt Bilder von Anna Bittersohl, geboren 1982, und der Klassikerin Käthe Kollwitz (1867-1945) – vorerst allerdings nur online auf der Internetseite seiner Galerie. Ein Dreivierteljahr hat es gedauert, dann waren die Eichenholzplatten wieder zurück. Zwölf dieser Tafeln hatte Ahlers vor Monaten auf den Weg zu seiner Künstlerin Bittersohl gebracht – ohne Rückgabetermin. „Künstler darf man nicht unter Druck setzen,“ sagt der Galerist. Nicht alle seiner Kollegen arbeiten so. Langsames Wachstum, wenig Bewegung: Der Ahlers-Mitarbeiter Frank-Peter Alpers hatte die Idee. Bevor es Leinwände gab, hätten die Künstler auf Eichenholz gemalt, „so hat alles angefangen.“ Eiche „wächst am langsamsten und bewegt sich am wenigsten.“ Senkrecht in einer Kiste aufbewahrt, hatten sie die grundierten Holzbretter zu Bittersohl nach Leipzig geschickt. Viel Zeit hätten die Platten auf dem Fußboden ihres Ateliers verbracht, berichtet Bittersohl, deren Arbeitsraum unmittelbar an das Atelier des deutschen Malerstars Neo Rauch in einer ehemaligen Spinnerei liegt. Die Malgründe hätten dabei Farbspuren anderer Arbeitsprozesse abbekommen, und sie selbst erfahren, wie das Farbmaterial auf dem Holz reagiert. Dann habe es sich nach und nach gefügt. „Die Handlung an einem Bild ergab den nächsten Eingriff für das andere und plötzlich hat sich irgendwie so etwas wie eine den Arbeiten eigene, zusammengehörige malerische Geschichte entwickelt.“ Auf einem feinen Grat: Wie zwölf Kapitel eines Buches sieht Bittersohl inzwischen diese Arbeit, die Wände der Kiste wie Buchdeckel. Betrachter könnten die Kapitel nach eigenem Gusto sortieren. „Too tired to sleep“ hat sie das Werk genannt, „Zu müde zum Schlafen“. Sie hält die Bilder auf einem feinen Grat zwischen gegenständlicher Malerei und Abstraktion. Figuren erscheinen, Farbkompositionen erinnern an Landschaften. Menschliche Körper gehen beinahe auf in Natur. Eine Arbeit hat sie „Experiment mit Luftpumpe“ genannt. Sie erinnert an Versuche, die Mitte des 17. Jahrhunderts real umgesetzt wurden. Tiere wurden in einen Glaskolben gesetzt und die Luft mit einer Pumpe herausgesogen. Mitte des 18. Jahrhunderts malte Joseph Wright of Derby ein Bild dieser Szene. Neben solchen eher lockeren Assoziationen überzeugen diese Gemälde im Format 40 mal 30 Zentimeter durch eine sehr ausgereifte, spannungsreiche Malerei, die je nach Lichteinfall unterschiedlich wirken – „und nie langweilig wird“, sagt Alpers. Das allerdings können Ausstellungsbesucher erst nach Ende des Lockdowns erleben. Mappe mit Lichtdrucken: Sehr gefragt sei Bittersohl derzeit auf dem Kunstmarkt, berichtet Galerist Ahlers. Die Bilder würden so schnell verkauft, dass kaum eine Ausstellung zustande käme. Einige Bilder aus der Eichenbox hätte er bereits verkaufen können, doch die Künstlerin habe das verhindert. Alle zwölf Werke sollen zusammenbleiben. Lesen Sie auch Ausstellung mit Werken von Käthe Kollwitz im Alten Rathaus Göttingen eröffnet Ausstellung im Alten Rathaus Göttingen Kollwitz und verfemte Künstler Göttinger Galerie Ahlers zeigt lange verschollene Fotos aus dem Chelsea Hotel Eine zweite Ausstellung hat Ahlers auf den Weg gebracht, auch auf seiner Homepage. Er präsentiert eine Mappe mit Lichtdrucken nach Zeichnungen von Käthe Kollwitz. 24 Drucke umfasst die Mappe, Motive, die die Künstlerin selbst ausgesucht hatte. Identische Wiedergabe eines Originals: Der Lichtdruck wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Edeldruckverfahren entwickelt. Es ermöglichte die nahezu identische Wiedergabe eines Originals. Das Verfahren war allerdings so aufwendig, dass es bis Mitte des 20. Jahrhunderts wieder verschwand. Käthe Kollwitz zählt zu den bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Bekannt wurde sie mit ihren realistischen Darstellungen der Lebensumstände des ganz einfachen Menschen. Sie gilt als politische und sozial engagierte Künstlerin. Schon früh schuf Kollwitz einen Grafikzyklus zum Weberaufstand. Sie fasste die Unterdrückung der Bauern in Bildern, und beschäftigte sich intensiv und mit der Emanzipation. Sie schuf Bilderzyklen zum Hunger von Kindern in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, zum Leben der Arbeiterklasse und gegen den Krieg. Schon Mitte der 1920er-Jahre thematisierte sie bildnerisch den Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen. Anna Bittersohl studierte in Nürnberg und wechselte bald danach nach Leipzig. In der ehemaligen Spinnerei hatte sie sich in gleich zu Beginn für ein Atelier beworben – und auch zugesprochen bekommen. Seitdem arbeitet sie Wand an Wand mit dem bekannten Malerstar Neo Rauch. Die Mappe, die Ahlers präsentiert, firmiert unter dem Namen „Richter-Mappe“. Sie versammelt vor allem Bleistift-(Selbst-)Porträts und Studien, ausgesprochen typische gezeichnete Sujets, realistisch und sozial motiviert. Hier geht es nicht um Glanz und Gloria, sondern um reale Lebensumstände zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Von Peter Krüger-Lenz