Der Vortrag feiert Deutschland-Premiere am Deutschen Theater

Thomas Blanguernon (Bastian Dulisch) hat nur noch Spott übrig für das französische Theater, für die französische Gesellschaft. Der Theaterautor geht nach Berlin, will dort Fuß fassen, verspricht sich ein erfolgreicheres, sinnvolleres Leben, wird aber zurückrudern: „Um auszusteigen, musste ich erst wieder einsteigen, ich brauchte das Geld.“ Blanguernon geht zurück nach Frankreich, um einen Vortrag über die Krise des Theaters zu halten. Ein Vortrag, „der niemanden interessiert – nicht einmal die, die ihn bestellt hat.“ Nun ist Blanguernon zurück, mit der Gewissheit, dass es ein fataler Irrtum war, diesen Vortrag zu halten, in einem Land, in dem kommerzielle Interessen über künstlerischer Qualität stehen, Menschen weggesperrt oder abgeschoben werden. Er kritisiert den Konsumrausch und die Ellenbogengesellschaft. Blanguernon zieht in den Krieg gegen das Theater und den französischen Staat, den er beschimpft als ein kopfloses, enthirntes Huhn. Bei ihm geht es um die Wurst – Pferdewurst mit Vinaigrette. „Eine Nation mit Soßengeschichte hat einen versoßten Geist“, schimpft Blanguernon. Frankreich und sein Nationalismus schlagen ihm auf den Magen. Textliche und schauspielerische Hochleistung: Es ist schwere Kost, die die Ein-Mann-Performance „Der Vortrag“ auftischt, wenn Dulisch sich in Rage redet. Das macht er überaus pointiert, mit enormer Präsenz und Leidenschaft – eine textliche und schauspielerische Hochleistung. Und als wäre das nicht genug, spielt er zwischendurch melancholisch schöne Trompeten-Einlagen von Miles Davis. Da entsteht eine große Schere zwischen Inhalt und Aufführung. Das Theater in der Krise? Bei Dulisch ist das nicht zu sehen. „Wenn das Theater verschwindet, wird es immer einen geben, der es noch träumt“, sagt Blanguernon. Dulisch träumt es nicht, er ist es. Wenig Requisiten, atmosphärisches Licht: Dafür braucht das Stück wenig Requisiten: ein Tisch, ein Stuhl, atmosphärisches Licht, besonders schön bei den Trompetenstücken, und ansonsten viel Raum für Dulischs Entfaltung. Der Vortrag“ von Christophe Pellet feierte am Freitagabend Deutschland-Premiere im Deutschen Theater. Gespielt wurde es zuvor bereits in Linz in Österreich. Gerhard Willert hat das Stück inszeniert und aus dem Französischen übersetzt. Er ist seit 1998 Schauspieldirektor am Landestheater in der Stadt Linz. Das Stück habe ihn angesprungen. „Es macht physisch was mit mir“ hatte Willert im Vorgespräch gesagt. Bastian Dulisch ist für den Vortrag ein Glücksgriff. Er lebt den Blanguernon, angesprungen mit geballter physischer Kraft. Dulisch ist nach der gut anderthalbstündigen Performance erschöpft und strahlend. Jubelnder Applaus. Hat er sich verdient! Weitere Aufführungen im DT-2 am Freitag, 31. Januar, und Donnerstag, 27. Februar, jeweils um 20 Uhr. Karten gibt es an der Theaterkasse, Telefon 0551/4969-300 Bastian Dulisch ist seit der Spielzeit 2019/20 am Deutschen Theater Göttingen engagiert. Das Schauspiel hat er am Hamburger Studio Frese gelernt. Dulisch arbeitet schon seit Langem mit Regisseur Gerhard Willert zusammen. Er hat den Thomas Blanguernon im „Vortrag“ bereits bei der Inszenierung in Linz gespielt. Dulisch hat unter anderem am Thalia Theater in Hamburg gespielt, außerdem führte er auch schon Regie in eigenen Produktionen. Im Deutschen Theater Göttingen ist Dulisch derzeit auch in weiteren Stücken zu sehen: Iphigenie auf Tauris, Warten auf Godot, Die Hauptstadt, und dosenfleisch. Von Eida Koheil

Theaterkritik - „Der Vortrag“ feiert Deutschland-Premiere am Deutschen Theater